Strategie & Management
Deutschland braucht mehr ChemieStart-ups
Es bleibt die Frage, woher die Gründer kommen sollen?
Die chemische Industrie könnte innovativer sein, so viele Stimmen. Der Kurs von Chemie-Start-ups als Impulsgeber steht daher auf einem Allzeithoch. Mehr Gründungen sollen her. Hilfreiche Angebote gibt es genug. Doch wo kommen die vielen Mutigen her? Gründer gibt es nicht im 3-D-Druck. Dabei würden uns mehr Entre- und Intrapreneure guttun; Gründer, die die eigene Firma wagen, und angestellte Projektleiter, die in Ausgründungen hineinwachsen.
Mark Twain, der amerikanische Schriftsteller, sagte: „Der einzige Mensch der Veränderung möchte, ist ein nasses Baby.“ Nun stehen wir am Beginn des dritten Jahrtausends großen Herausforderungen gegenüber: Klimaveränderung, wachsende Erdbevölkerung, Ernährung, Gesundheit, Mobilität, Wege aus der Armut und Wohlstand für alle. Keine einfachen Aufgaben, wenn wir berücksichtigen, dass Ende Juli Erdüberlastungstag ist: So weitermachen geht nicht. Veränderung ist nötig, aber wir fühlen uns in unserer Komfortzone wohl. Doch Energie- und Chemie-Wende sind gesellschaftlich und politisch gewollt und damit demokratischer Mehrheitsentscheid. Die in der Europäischen Union ausgerufene Kreislaufwirtschaft und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind keine Modeerscheinungen. Wir brauchen mehr Innovationen und zwar schnell. Als Strategie sind neue Unternehmen ein plausibler Weg.
Hohlräume füllen Die Chemie ist einer der stärksten Branchen und die Basis alles Materiellen. Immerhin 97 % aller unserer Produkte enthalten mindestens einen chemischen Prozessschritt. Mit Bioökonomie und Digitalisierung rütteln zwei Megatrends an den bestehenden Wertschöpfungsketten. Unternehmertum hat es schon immer gegeben: Auch BASF, Bayer und Hoechst sind einst in Garagen entstanden. Doch bis vor wenigen Jahren interessierte sich in ganz Europa kaum jemand für die scheinbar Verrückten. Wer anstatt einer wissenschaftlichen Hochschulkarriere oder den bis in die 1980er Jahre sicheren Berufseinstieg in die Industrie aktiv verweigerte oder passiv nicht schaffte, galt als Außenseiter oder nicht gut genug. In Deutschland sind es seit 2007 jährlich zwischen neun und 24 Gründungen, junge Unternehmen aus den Bereichen Neue Materialien und Nanomaterialien, Fein- und Spezialchemikalien, Technologie und Hardware, Auftragsforschung und Services, Katalysatoren und Enzyme, sowie Analytik und zunehmend Digitalisierung. Das ist ein Anfang. Mit in Deutschland allein pro Jahr mehr als 10.000 Studierenden und 2.000 promovierten Chemikern ist die Zahl jedoch zu gering. Es wird gern auf die in unseren Köpfen schlummernden „Bodenschätze“ Wissen, Kreativität und Innovationsfähigkeit verwiesen; wir sollten diese Bodenschätze nun umfassend heben, um dauerhaft global wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch Steuern finanzierte Forschung darf den Bürgern durchaus mehr nützliche Produkte und aus Unternehmensneugründungen entstandene Hightech-Arbeitsplätze zurückgeben als bisher. Das ist Konsens. Anders sind die in den letzten Jahren intensivierten Programme zur Förderung von Start-ups in der Chemie nicht zu erklären: Inkubatoren, Akzeleratoren und Corporate Venture Fonds. Doch die Gebäude füllen sich nur langsam mit deutschen Gründungen und die Fonds investieren überwiegend im Ausland. Das Angebot an Start-ups ist noch viel zu gering, um Portfolios aufzubauen, und der Markt ist ein globaler. Was könnte eine Verbesserung bewirken?
Im Studium thematisieren Grundsätzlich wäre Unternehmertum schon im Kindergarten und in der Schule zu thematisieren. Wenn wir aber mehr Chemie-Gründer sehen möchten, sollten wir es spätestens im Studium in aller Breite und Intensität tun. Dabei geht es über die Einblicke in das Patentwesen weit hinaus. Als die Gesellschaft Deutscher Chemiker bereits vor 15 Jahren mit dem sog. Drei-Kanal-System der Karriere neben der universitären und industriellen Laufbahn die Unternehmensgründung in den Fokus rückte, meldete sich einer von 100 Studierenden, dass er über eine Gründung nachdenke. Dabei bringen Chemie-Studierende beste Voraussetzungen mit: analytisches Denkvermögen, verantwortliches Experimentieren, sicheres Planen, im Team arbeiten und – im Unternehmeralltag wichtig – eine hohe Frustrationsstabilität. Das ist eine gute Basis. Das Thema Entrepreneurship muss in die Unis, und zwar heute. Zu warten, bis unsere administrativen Prozesse greifen und Unternehmertum in den Curricula verankern, dauert zu lange. Jeder ist gefragt beizutragen, das Potenzial breit anzusprechen. Heute bedienen wir nur die, die sich bereits für diesen dritten Pfad der Chemiker-Laufbahn entschieden haben. Das ist ungenügend.
Falsche Glaubenssätze bekämpfen Wir brauchen die breite Thematisierung und die Ansprache vieler, um Talente zu finden, denn: Nicht jeder der mit einer Gründung liebäugelt, versteht die Zusammenhänge. Drei Beispiele:
Selbsteinschätzung vornehmen Projekte sollen zwar bis zum Ende gedacht werden, doch auch der erste Schritt ist wichtig. Was bedeutet Unternehmertum für mein Leben und bin ich dafür geeignet? Theoretisches zur GmbH-Gründung gibt es im Internet und in Büchern. Praxistipps kommen aus Netzwerken und Clustern, durch die Teilnahme an Businessplan-Wettbewerben wie dem Science4Life Venture Cup mit Fokus auf Life Sciences und Chemie. Details können mit Steuerberatern und Rechtsanwälten besprochen werden. Ob jemand als Typ zum Unternehmer geeignet ist, prüft im frühen Stadium allerdings niemand, um schlecht Geeignete herauszufiltern und gut Geeignete zu motivieren: Wie lange kann ich ein unregelmäßiges Einkommen hinnehmen? Wie fähig bin ich, andere zu führen und zu motivieren oder Aufgaben zu delegieren? Wie gut ist meine Auffassungsgabe und Fähigkeit, Aufgaben zu priorisieren und zu entscheiden? Kann ich ohne Druck anderer arbeiten, zeige ich Initiative und bin ich ein Problemlöser? Kann ich Misserfolge gut wegstecken, Krisen meistern und habe ich Improvisationstalent? Alles Fragen aus den für Gründer wichtigen Bereichen Risikobereitschaft, Auftreten, Organisation, Motivation und Belastbarkeit. Jeder Unternehmer treibt eigenverantwortlich sein Vorhaben voran, braucht die Unterstützung der Familie und das Verständnis, dass ein Arbeitstag auch länger als acht Stunden dauern kann. Er geht kontrolliert Risiken ein.
Ausblick wagen Für die Produktion von mehr Gründern und damit mehr Chemie-Start-ups fehlt uns noch ein wichtiger Baustein in der Wertschöpfungskette: die breite Thematisierung von Unternehmertum, weit bevor es zur Gründung kommt. Am schlagkräftigsten geht dies durch Personen, die es schon gewagt haben und schlaflose Gründernächte kennen. Auf jeden Fall ist ein Gründer-Selbsttest empfohlen oder das Investment eigenen Geldes in Start-ups. Es steigert die Überzeugungskraft jedes Beteiligten. Ohne Gründertypen in ausreichender Zahl tragen wir wie die Schildbürger mit allen Initiativen ins fensterlose Rathaus nur Licht in Säcken. Wir brauchen mehr Menschen, die unsere Erdprobleme anpacken. Unternehmertum und das praktische Wissen darüber in aller Breite bei allen Beteiligten ist eine sehr gute Strategie. GDCh-Kurs
Mark Twain, der amerikanische Schriftsteller, sagte: „Der einzige Mensch der Veränderung möchte, ist ein nasses Baby.“ Nun stehen wir am Beginn des dritten Jahrtausends großen Herausforderungen gegenüber: Klimaveränderung, wachsende Erdbevölkerung, Ernährung, Gesundheit, Mobilität, Wege aus der Armut und Wohlstand für alle. Keine einfachen Aufgaben, wenn wir berücksichtigen, dass Ende Juli Erdüberlastungstag ist: So weitermachen geht nicht. Veränderung ist nötig, aber wir fühlen uns in unserer Komfortzone wohl. Doch Energie- und Chemie-Wende sind gesellschaftlich und politisch gewollt und damit demokratischer Mehrheitsentscheid. Die in der Europäischen Union ausgerufene Kreislaufwirtschaft und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen sind keine Modeerscheinungen. Wir brauchen mehr Innovationen und zwar schnell. Als Strategie sind neue Unternehmen ein plausibler Weg.
Hohlräume füllen Die Chemie ist einer der stärksten Branchen und die Basis alles Materiellen. Immerhin 97 % aller unserer Produkte enthalten mindestens einen chemischen Prozessschritt. Mit Bioökonomie und Digitalisierung rütteln zwei Megatrends an den bestehenden Wertschöpfungsketten. Unternehmertum hat es schon immer gegeben: Auch BASF, Bayer und Hoechst sind einst in Garagen entstanden. Doch bis vor wenigen Jahren interessierte sich in ganz Europa kaum jemand für die scheinbar Verrückten. Wer anstatt einer wissenschaftlichen Hochschulkarriere oder den bis in die 1980er Jahre sicheren Berufseinstieg in die Industrie aktiv verweigerte oder passiv nicht schaffte, galt als Außenseiter oder nicht gut genug. In Deutschland sind es seit 2007 jährlich zwischen neun und 24 Gründungen, junge Unternehmen aus den Bereichen Neue Materialien und Nanomaterialien, Fein- und Spezialchemikalien, Technologie und Hardware, Auftragsforschung und Services, Katalysatoren und Enzyme, sowie Analytik und zunehmend Digitalisierung. Das ist ein Anfang. Mit in Deutschland allein pro Jahr mehr als 10.000 Studierenden und 2.000 promovierten Chemikern ist die Zahl jedoch zu gering. Es wird gern auf die in unseren Köpfen schlummernden „Bodenschätze“ Wissen, Kreativität und Innovationsfähigkeit verwiesen; wir sollten diese Bodenschätze nun umfassend heben, um dauerhaft global wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch Steuern finanzierte Forschung darf den Bürgern durchaus mehr nützliche Produkte und aus Unternehmensneugründungen entstandene Hightech-Arbeitsplätze zurückgeben als bisher. Das ist Konsens. Anders sind die in den letzten Jahren intensivierten Programme zur Förderung von Start-ups in der Chemie nicht zu erklären: Inkubatoren, Akzeleratoren und Corporate Venture Fonds. Doch die Gebäude füllen sich nur langsam mit deutschen Gründungen und die Fonds investieren überwiegend im Ausland. Das Angebot an Start-ups ist noch viel zu gering, um Portfolios aufzubauen, und der Markt ist ein globaler. Was könnte eine Verbesserung bewirken?
Im Studium thematisieren Grundsätzlich wäre Unternehmertum schon im Kindergarten und in der Schule zu thematisieren. Wenn wir aber mehr Chemie-Gründer sehen möchten, sollten wir es spätestens im Studium in aller Breite und Intensität tun. Dabei geht es über die Einblicke in das Patentwesen weit hinaus. Als die Gesellschaft Deutscher Chemiker bereits vor 15 Jahren mit dem sog. Drei-Kanal-System der Karriere neben der universitären und industriellen Laufbahn die Unternehmensgründung in den Fokus rückte, meldete sich einer von 100 Studierenden, dass er über eine Gründung nachdenke. Dabei bringen Chemie-Studierende beste Voraussetzungen mit: analytisches Denkvermögen, verantwortliches Experimentieren, sicheres Planen, im Team arbeiten und – im Unternehmeralltag wichtig – eine hohe Frustrationsstabilität. Das ist eine gute Basis. Das Thema Entrepreneurship muss in die Unis, und zwar heute. Zu warten, bis unsere administrativen Prozesse greifen und Unternehmertum in den Curricula verankern, dauert zu lange. Jeder ist gefragt beizutragen, das Potenzial breit anzusprechen. Heute bedienen wir nur die, die sich bereits für diesen dritten Pfad der Chemiker-Laufbahn entschieden haben. Das ist ungenügend.
Falsche Glaubenssätze bekämpfen Wir brauchen die breite Thematisierung und die Ansprache vieler, um Talente zu finden, denn: Nicht jeder der mit einer Gründung liebäugelt, versteht die Zusammenhänge. Drei Beispiele:
- „Ich bin seit zwei Jahren auf der Jobsuche und habe immer über Selbstständigkeit nachgedacht.“
- Arbeitslosigkeit ist sicher kein guter Ratgeber, und zwischen einer Selbstständigkeit als Freiberufler und einer Unternehmensgründung liegen Welten.
- „Geld ist das Problem. Schließlich kann man an jedem Thema forschen.“ An jedem Thema zu forschen wäre sicher Verschwendung von öffentlichem oder privatem Kapital. Sinnhafter für ein junges Unternehmen ist es, sich auf Machbarkeit, Prototypen, Markt, Kunden sowie Vertrieb und Verkauf zu konzentrieren, also ein funktionierendes Geschäftsmodell aufzubauen.
- „Nennen Sie mir jemanden, der Geld für Gründungsideen und Projekte übrig hat!“ Das ist die größte Fehleinschätzung überhaupt. Unternehmertum ist keine Wohlfahrt.
Selbsteinschätzung vornehmen Projekte sollen zwar bis zum Ende gedacht werden, doch auch der erste Schritt ist wichtig. Was bedeutet Unternehmertum für mein Leben und bin ich dafür geeignet? Theoretisches zur GmbH-Gründung gibt es im Internet und in Büchern. Praxistipps kommen aus Netzwerken und Clustern, durch die Teilnahme an Businessplan-Wettbewerben wie dem Science4Life Venture Cup mit Fokus auf Life Sciences und Chemie. Details können mit Steuerberatern und Rechtsanwälten besprochen werden. Ob jemand als Typ zum Unternehmer geeignet ist, prüft im frühen Stadium allerdings niemand, um schlecht Geeignete herauszufiltern und gut Geeignete zu motivieren: Wie lange kann ich ein unregelmäßiges Einkommen hinnehmen? Wie fähig bin ich, andere zu führen und zu motivieren oder Aufgaben zu delegieren? Wie gut ist meine Auffassungsgabe und Fähigkeit, Aufgaben zu priorisieren und zu entscheiden? Kann ich ohne Druck anderer arbeiten, zeige ich Initiative und bin ich ein Problemlöser? Kann ich Misserfolge gut wegstecken, Krisen meistern und habe ich Improvisationstalent? Alles Fragen aus den für Gründer wichtigen Bereichen Risikobereitschaft, Auftreten, Organisation, Motivation und Belastbarkeit. Jeder Unternehmer treibt eigenverantwortlich sein Vorhaben voran, braucht die Unterstützung der Familie und das Verständnis, dass ein Arbeitstag auch länger als acht Stunden dauern kann. Er geht kontrolliert Risiken ein.
Ausblick wagen Für die Produktion von mehr Gründern und damit mehr Chemie-Start-ups fehlt uns noch ein wichtiger Baustein in der Wertschöpfungskette: die breite Thematisierung von Unternehmertum, weit bevor es zur Gründung kommt. Am schlagkräftigsten geht dies durch Personen, die es schon gewagt haben und schlaflose Gründernächte kennen. Auf jeden Fall ist ein Gründer-Selbsttest empfohlen oder das Investment eigenen Geldes in Start-ups. Es steigert die Überzeugungskraft jedes Beteiligten. Ohne Gründertypen in ausreichender Zahl tragen wir wie die Schildbürger mit allen Initiativen ins fensterlose Rathaus nur Licht in Säcken. Wir brauchen mehr Menschen, die unsere Erdprobleme anpacken. Unternehmertum und das praktische Wissen darüber in aller Breite bei allen Beteiligten ist eine sehr gute Strategie. GDCh-Kurs
- Aus der Forschung zum eigenen Unternehmen in der Chemie
4. März 2020, Frankfurt am Main
GDCh-Kurs: 409/20
Leitung: Holger Bengs