Der Weg ist digital
Digitalisierung in Produktion und Einkauf bei der BASF
Ausgehend vom privaten Umfeld hat die Digitalisierung zunächst Unternehmen wie Samsung oder Amazon erreicht, die Produkte für Endkonsumenten anbieten. Aber auch in der Prozessindustrie verändern sich Arbeitsprozesse nachhaltig. Bei BASF sind von diesen Veränderungen vor allem Bereiche wie Forschung, Produktion, Instandhaltung und Logistik betroffen. Neben Vorteilen wie verbesserte Effizienz, höhere Verfügbarkeit und bessere Vernetzung stellt dieser Umbruch die Beteiligten jedoch auch vor Herausforderungen, die nur in Kooperationen mit dem externen Markt gelöst werden können. CHEManager Redakteur Volker Oestreich sprach mit Matthias Fankhänel, Abteilungsleiter Technische Expertise und stellvertretender Vorsitzender des NAMUR, und Dirk Reinelt, Abteilungsleiter des globalen technischen Einkaufs, über Herausforderungen, denen sich ein Chemieunternehmen wie BASF gegenübersieht und wie diese im Team gelöst werden.
CHEManager: Was passiert gerade bei BASF im Hinblick auf Digitalisierung?
Dirk Reinelt: BASF treibt Digitalisierung in allen Bereichen und Funktionen voran. Die besondere Bedeutung des Themas ist auch daran zu erkennen, dass vor rund drei Jahren ein eigenes 4.0-Team gegründet wurde, das direkt an den Vorstand berichtet. Die Aufgabe: Chancen und Auswirkungen einer zunehmenden Digitalisierung und erhöhten digitalen Vernetzung für BASF zu evaluieren und umzusetzen. Der Fokus hin zu mehr Kundennutzen und größerer Effizienz durch digitale Vernetzung passen gut zu unserem Verbundkonzept. Auch im Einkauf ergeben sich dadurch neue Geschäftsmodelle, Synergien und die Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten verschieben sich. Die gemeinsame Ausgestaltung der Digitalisierung liegt dabei im Zentrum unserer Aktivitäten.
Matthias Fankhänel: Im Produktionsumfeld geht es darum, unsere Prozesse so zu verbessern, dass wir unsere Kunden besser bedienen können. Die Digitalisierung unterstützt in erster Linie Produktionsabläufe im Betrieb und erlaubt zudem das Aufsetzen von effizienten Planungs- und Instandhaltungs-prozessen. Mit den bisher gestarteten Initiativen, eine davon beispielsweise zum Thema Augmented Reality (AR) legt BASF einen klaren Fokus darauf, einen Mehrwert für die Produktion zu schaffen. Diese Initiativen bringen Vorteile für den regulären Anlagenbetrieb, die Instandhaltung und auch Turnaround-Prozesse.
Welche spezifischen Herausforderungen für die Chemieindustrie sehen Sie?
M. Fankhänel: Die Chemieindustrie hat einen starken Fokus auf Assets. Einmal gebaut, stehen die Anlagen im Schnitt für 35 Jahre – oder länger. Diese langlebigen Anlagen stellen einen sehr hohen Wert für das Unternehmen dar, der zum Beispiel bei BASF den Jahresumsatz des Unternehmens übersteigt. Diesen Bestand an Anlagen wollen wir natürlich so optimal betreiben wie neue Anlagen. Die Herausforderung besteht darin, die Anlagen entsprechend nachzurüsten und weiterzuentwickeln, um den Anschluss an die voranschreitende Digitalisierung nicht zu verlieren. Digitale Abläufe und Prozesse in neue Anlagen einzuplanen ist dagegen um einiges einfacher.
D. Reinelt: Die Herausforderungen des Einkaufs bestehen eher darin, die Spreu vom Weizen zu trennen. Was wir benötigen sind Systeme, die es uns erlauben durch offene Schnittstellen und Interoperabilität verschiedener Systeme die Digitalisierung wie eine Art Landschaft nach und nach für unsere Standorte zu entwickeln und voran zu bringen. Durch die zuvor angesprochenen langlebigen Anlagen müssen auch bei der Auswahl der Lieferanten einige Besonderheiten beachtet werden. Die Lösungen und Produkte, die wir einkaufen benötigen einen sehr hohen industriellen Reifegrad ebenso wie langfristig verfügbare Servicekonzepte. Idealerweise sind sie international einsetzbar und erfüllen höchste Sicherheitsanforderungen, Stichwort Explosionsschutz. Diese Besonderheiten werden in internen Procurement Verbund-Teams besprochen und entschieden.
Welche aktuellen Beispiele für bereits umgesetzte Digitalisierungsprojekte gibt es bei BASF?
D. Reinelt: Mit dem 2017 gemeinsam mit SAP gestarteten Pilotprojekt „Digital Asset Network“ will BASF eine digitale Informationskette zwischen Herstellern von technischem Equipment, wie zum Beispiel Pumpen, die in den Produktionsanlagen zum Einsatz kommen, technischen Dienstleistern und seinen Produktionsanlagen aufbauen. Die Idee ist, mithilfe eines cloudbasierten Kollaborationsnetzwerks verschiedene technische Equipment-Daten auszutauschen. Dazu zählen zum Beispiel Bedienungs- und Instandhaltungsanleitungen, technische Spezifikationen und Ersatzteillisten. Auf diese Weise soll ein vollständig integrierter Informationsspeicher entstehen – ein gläsernes Asset sozusagen. Mit solch einer neuen einheitlichen Quelle für Informationen kann die Effizienz von Engineering und Instandhaltungsprozessen über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage weiter verbessert werden.
M. Fankhänel: In der Instandhaltung beispielsweise nutzen wir industrietaugliche Smartphones und Tablets zur besseren Dokumentation von Wartungsarbeiten: Mitarbeiter können so bei ihren täglichen Aufgaben in der Anlage auf einfach zu bedienende Apps zugreifen. Diese Apps bieten einen schnellen Zugriff auf nötige Informationen aber auch die Möglichkeit zur Anleitung von Arbeitsprozessen. Seit 2017 gibt es integrierte Lösungen für das Produktionsumfeld, die nun global innerhalb der BASF ausgerollt werden. Zurzeit schaut meine Abteilung auch darauf, wie beispielsweise AR dazu beitragen kann, vorhandenes Expertenwissen global verfügbar zu machen. Ein nächster Schritt wird die Unterstützung der Kollegen in den Technikzentren sein. Als Kollaborationstool wird die Microsoft Hololens im Einsatz getestet. Die Brille ermöglicht die Zuschaltung von Experten im Falle eines Fehlers in einer Anlage und dies weltweit. Wir gehen davon aus, dass die Verwendung der Hololens dazu beitragen wird, schneller zu agieren und so langfristig Ausfallzeiten zu reduzieren.
Einen Schritt weiter gehen wir mit unserer Initiative Predictive Maintenance – die vorausschauende Instandhaltung – die es uns ermöglicht, aktiv etwas zu unternehmen bevor ein Fehlerfall überhaupt eintritt. Sie basiert im Wesentlichen auf analytischen Daten und stellt Methoden bereit zur Ermittlung und Vorhersage von Unregelmäßigkeiten in kritischen Produktionsanlagen. Das Reliability Center von BASF übernimmt diesen Service, beobachtet kontinuierlich besonders kritische Ausrüstung und Maschinen und warnt die Kollegen rechtzeitig – bevor ein Schaden entsteht oder es zu einem Ausfall kommt.
Wie wollen Sie die Digitalisierung umsetzen und wie gestalten Sie die dazu passenden Lieferanten- und Kundenbeziehungen?
M. Fankhänel: Zunächst geht es darum, in der gesamten Prozessindustrie ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Dies geschieht auf der Ebene der NAMUR – dort wurde die NAMUR Open Architecture NOA entwickelt: Dabei handelt es sich um einen gemeinsamen Entwurf zur Erweiterung der klassischen Automatisierungspyramide. Diese ermöglicht es, Monitoring oder Anlagenoptimierungslösungen unter Einbezug von zusätzlicher Sensorik außerhalb der Automatisierungspyramide und innerhalb einer hochverfügbaren IT-Infrastruktur umzusetzen. NOA bildet die Grundlage für die Diskussion und Zusammenarbeit mit unseren Zulieferern. Das kann zu Lösungen auf Betriebsebene, wie der Vorhersage von Fouling für Reaktoren in einer Anlage, aber auch zu globalen Lösungen wie die Überwachung von kritischen Maschinen in unserem Reliability Center führen.
Die wichtigste Grundlage bei allen Entscheidungen ist der sichere Betrieb der Anlagen. Alle implementierten Maßnahmen bei der Automatisierung werden hinsichtlich der Sicherheit bewertet. Das ist bei uns Pflicht und wir arbeiten dabei eng mit den Experten für Cybersicherheit aus der IT zusammen.
D. Reinelt: Getrieben durch die Digitalisierung verändern sich die Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten rasant. Wie begegnen wir also diesen Herausforderungen? Wir wollen einerseits ein starkes eigenes Know-how in vielen Bereichen aufbauen, beispielsweise in der Forschung. Zweitens arbeiten wir intensiv an neuen Kooperationsmodellen zwischen Kunden und Lieferanten von Digitalisierungsausrüstung, mit etablierten Lieferanten genauso wie mit Start-Ups. Unsere Zielsetzung ist es, gemeinsam die zukünftige Zusammenarbeit zu gestalten. Und drittens beteiligen wir uns natürlich an Industriekooperationen wie beispielsweise der NAMUR.
Welchen Ausblick können Sie geben und was sind die nächsten Schritte bei BASF?
M. Fankhänel: BASF hat den Anspruch, die digitale Transformation in der Chemiebranche anzuführen. Wir können und wollen noch viel erreichen und es wird an vielen Punkten weiter geforscht – ich sehe noch viel Potenzial in neuen Technologien wie 3D-Druck oder Robotik. So arbeiten wir an additiv gefertigten Bauteilen aus Metall für den Nutzen einerseits im Forschungs- und Entwicklungsumfeld, aber auch zum Einsatz in unseren Produktionsanlagen. Aufgrund der Möglichkeiten, die additive Fertigung bei Produktionszeiten aber auch bei Designmöglichkeiten bietet, rechne ich hier mit starken Veränderungen.
D. Reinelt: 3D-Druck bietet aber auch jetzt schon vielfältige Möglichkeiten. Bauteile mit einer hohen Komplexität zum Beispiel können in wesentlich kürzerer Zeit hergestellt werden. Die dadurch ermöglichte Designfreiheit erlaubt in manchen Fällen eine verbesserte Bauteil-Form – die wiederum in einigen Fällen sogar die Qualität des Endprodukts verbessert hat! Besonders bei der Beschaffung von Ersatzteilen bringt diese Technologie Vorteile: Das Ausdrucken von Bauteilen mit langen Lieferzeiten wird dazu beitragen, Stillstände und Ausfallzeiten zu reduzieren und die Produktion unabhängiger von Zulieferern zu machen.