Chemie & Life Sciences

Chemische Industrie wird immer grüner

In Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen forscht die Branche an klimaneutralen Lösungen

07.12.2022 - Auf der Achema 2022 wurde der „Green Chemistry“ ein eigener Bereich gewidmet. Die „Green Innovation Zone“ über nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft beleuchtete grüne Innovationen und die Herausforderungen der Prozessindustrie auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion.

Wie wird die chemische Industrie grün? Diese Frage stellt sich in Zeiten des Klimawandels immer öfter, und einige Antworten darauf konnten Besucher auf der diesjährigen Achema in Frankfurt am Main finden. Es gibt zahlreiche interessante Konzepte, bei der die chemische Industrie in Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen an „grünen“, klimaneutralen Lösungen forscht. Ein Ziel der chemischen Industrie in Deutschland sind defossilisierte und zirkuläre Produktionsprozesse. 

Auf der diesjährigen Achema wurde der „Green Chemistry“ ein eigener Bereich gewidmet. Die „Green Innovation Zone“ über nachhaltige Produktion und Kreislaufwirtschaft beleuchtete grüne Innovationen und die Herausforderungen der Prozess­industrie auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion. Der Verzicht auf fossile Brenn- und Rohstoffe und der Einsatz entsprechender Ersatzstoffe ist dabei eines der wichtigsten Ziele auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.
BASF auf dem Weg zu „Net Zero“
Die Highlight-Session „Fossilfreie Produktion“ zeigte, dass die Transformation der Prozessindustrie in diesem Bereich bereits enorme Fahrt aufgenommen hat. Auf dieser Fahrt sind allerdings zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen. Welche Rolle spielen z. B. emissionsarme Energiequellen, die Nachhaltigkeit von Rohstoffen und deren Kreislaufführung? Marco Bosch, Head of Carbon Management Technologies bei BASF, zeigte den Weg von BASF zu Net Zero (Netto-Null-CO2-Emissionen) auf. Der Ludwigshafener Chemiekonzern verkündete schon im letzten Jahr das anspruchsvolle Ziel, ab dem Jahr 2050 weltweit klimaneutral zu produzieren. Eine deutliche Reduzierung von CO2-Emissionen um 25 % soll sogar schon bis 2030 realisiert werden. Im Zentrum der langfristigen Umstellung hin zu Net Zero ab 2050 steht vor allem der Einsatz neuer Technologien, bei denen fossile Energieträger wie Erdgas durch elektrischen Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. „Um diese Einsparpotenziale zu erreichen, ist Transparenz wichtig. Man muss zunächst wissen, wo diese CO2-Emissionen in der Produktion entstehen, aber auch, warum diese entstehen. Die Analyse bei uns ergab, dass die Hälfte der Emissionen energiebedingt, die andere Hälfte prozessbedingt ist. Wir haben einen Net-Zero-Accelerator, um zu analysieren, wie wir CO2einsparen können. Man muss beispielsweise genau verstehen, wie etwa ein Steamcracker arbeitet, um zu erkennen, wo man die Stellschrauben verändern kann“, betonte Bosch auf der Highlight Session. 

Person

 

  „Wir bieten unseren Industriekunden eine Art One-Stop Shop   für angewandte Forschung und Entwicklung – und das in   einer Vielzahl von möglichen Kooperationsformaten“ 

 Stefan Löbbecke, Geschäftsstellenleiter, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT

 


Gerade Steamcracker spielen auf dem Weg hin zu einer CO2-armen Chemieproduktion eine zentrale Rolle. Sie sind der wichtigste industrielle Prozess zur Herstellung von Basischemikalien wie Ethylen, Propylen oder Butadien. Ein großer Einspareffekt bei Emissionen von Treibhausgasen ist daher durch die Beheizung mit nachhaltig erzeugtem Strom anstelle fossiler Brennstoffe möglich. Die BASF schätzt, dass sich durch die Umstellung der Spaltöfen von einer fossilen Befeuerung mit Erdgas auf eine Elektroheizung auf Basis von regenerativ erzeugtem Strom rund 90 % der Treibhausgas-Emissionen eines Crackers vermeiden lassen. Gemeinsam mit dem Chemiekonzern SABIC und dem Anlagenbauer Linde hat der Konzern bereits mit dem Bau der weltweit ersten Demonstrationsanlage für großtechnische elektrisch beheizte Steamcracker-Öfen begonnen. Sie wird vollständig in einen der bestehenden Steamcracker am Verbundstandort der BASF in Ludwigshafen integriert. Die Inbetriebnahme der Pilotanlage ist für 2023 geplant und soll die kontinuierliche Olefinproduktion mit erneuerbarer Energie als Wärmequelle unter Beweis stellen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen des Förderprogramms „Dekarbonisierung in der Industrie“ mit 14,8 Mio. EUR gefördert, um die Entwicklung der neuartigen Ofentechnologie zu unterstützen.
Zur Net-Zero-Strategie passt auch, dass BASF seit kurzem mit dem Datenanalyse-Start-up Carbon Minds kooperiert. Das Spin-off der RWTH Aachen soll konsistente Daten für den chemischen CO2-Fußabdruck in Übereinstimmung mit der BASF-Standardmethodik bereitstellen. Carbon Minds nutzt ein digitales Modell der weltweiten Chemie­industrie, um Transparenz zu den ökologischen Auswirkungen globaler Lieferketten zu schaffen. Das Start-up gehörte zu den zehn Finalisten, die sich beim Achema-Gründerpreis in einer eigenen Session und in der Start-up Area präsentieren konnten. Im Rahmen der Partnerschaft mit der BASF soll nun eine neue Datenbank mit mehr als 80.000 Datensätzen für über 1.000 chemische Produkte in 190 Regionen entwickelt werden. Mit dieser Initiative wollen die beiden Unternehmen die Harmonisierung von Carbon-Footprint-Methoden in verschiedenen Branchen fördern und die Voraussetzungen für vergleichbare Carbon Footprints für Chemie- und Kunststoffrohstoffe schaffen. Raoul Meys, Mitbegründer und CTO von Carbon Minds, erklärte in einer Pressemeldung hierzu: „Bei der Berechnung der CO2-Fußabdrücke von Produkten besteht eine der größten Herausforderungen für Chemieunternehmen darin, die richtigen Daten für die Emissionen der Lieferkette zu finden. Sie benötigen eine umfassende Abdeckung ihrer gesamten Lieferkette für jedes Produkt und eine einheitliche Methodik für alle Daten. Das Ziel dieser neuen Datenbank und der bestehenden Datenprodukte von Carbon Minds ist es, die Unternehmen in die Lage zu versetzen, Transparenz über die Emissionen in der Lieferkette zu schaffen und Fortschritte auf dem Weg zu einer erfolgreichen Netto-Null-Umstellung zu machen.“ 

Fraunhofer-Allianz Chemie und Carbon2Chem: Cross-industrielle Vernetzung
Grüne Chemie, auch bekannt als nachhaltige Chemie, ist nicht erst seit der Achema ein Thema. Schon in den 1990er Jahren entwickelten die amerikanischen Chemie-Professoren Paul Anastas und John Warner in ihrem Werk „Green Chemistry: Theory and Practice“ zwölf Prinzipien der grünen Chemie. Mit visionärem Blick auf die Chemie legten sie den Grundstein für eine nachhaltige chemische Produktentwicklung. Bei den Prinzipien – die man auch als zehn Gebote der Chemieindus­trie bezeichnen kann – stehen nicht mehr die reine Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz sowie profitorientiertes Handeln im Mittelpunkt, sondern es müssen verschiedene Kriterien erfüllt werden, um schädliche Einflüsse zu begrenzen. Dazu zählen z. B. Vermeidung von Abfällen anstelle deren Entsorgung, Verwendung weniger giftiger Chemikalien und erneuerbarer Rohstoffe, bessere Energieeffizienz und kürzere Synthesewege. 
Eine neue Fraunhofer-Initiative, die 2021 gegründete Fraunhofer-Allianz Chemie, will die mittlerweile leicht angestaubten zwölf Prinzipien der grünen Chemie neu beleben und das Umweltbewusstsein in der chemischen Industrie noch weiter stärken. Die Fraunhofer-Allianz Chemie bündelt zentrale Fachkompetenzen ihrer Mitgliedsinstitute in den Bereichen Chemie, chemische Verfahrenstechnik und Biotechnologie sowie Automation und Digitalisierung. Aufbauend auf die jahrzehntelange Zusammenarbeit der beteiligten 15 Fraunhofer-Institute mit der chemischen Industrie und untereinander liegt der Fokus der Fachleute darauf, Ergebnisse der Grundlagenforschung bis zu einer höheren Technologiereife weiterzuentwickeln und ihre Partner bei der großtechnischen Umsetzung zu unterstützen. Geschäftsstellenleiter Stefan Löbbecke vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT, erläuterte auf der Achema das Konzept im Gespräch mit CHEManager: „Die besondere Stärke unserer Allianz liegt in ihren komplementären Kompetenzen und der hohen fachlichen Qualifikation ihrer Mitarbeiter. Unser erklärtes Ziel ist es, diese Kompetenzen und interdisziplinären Synergien zu nutzen, um unsere Industriekunden bei der Technologieentwicklung und Skalierung noch besser und zielgenauer zu unterstützen. Auf diese Weise können wir effizient nachhaltige, innovative Produkte und Prozesse entwickeln.“ Auf dem Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Allianz Chemie wurden aktuelle Forschungsaktivitäten zu verschiedenen Schwerpunkten präsentiert, wie die Digitalisierung chemischer Prozesse, die Weiterentwicklung der grünen Chemie, Erleichterung des Scale-up, Sicherheitsaspekte und Effizienz chemischer Prozesse sowie die Förderung der Kreislaufwirtschaft. „Wir bieten unseren Industriekunden eine Art One-Stop Shop für angewandte Forschung und Entwicklung – und das in einer Vielzahl von möglichen Kooperationsformaten: Ob dringende Trouble-Shooting-Projekte, exklusive Prozess- und Produktentwicklungen oder strategische Projekte zur Bewältigung der Herausforderungen, vor denen sie im globalen Wandel aktuell stehen“, so Löbbecke.
Während sich die Fraunhofer-Allianz Chemie noch am Beginn des Kooperationsweges mit der chemischen Industrie befindet, ist das Carbon2Chem-Projekt (vorgestellt auf dem Gemeinschaftstand der Dechema) schon weiter. „Wir führen den Kohlenstoff im Kreislauf“ hat sich das Verbundprojekt auf die Fahne geschrieben und nutzt Hüttengase aus der Stahlerzeugung erstmals für die Herstellung von Chemikalien. Das soll den CO2-Ausstoß verringern – sowohl bei der Stahlerzeugung als auch bei der Chemieproduktion. Das Projekt wird gemeinsam von Fraunhofer Umsicht, Thyssenkrupp und dem Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion koordiniert. Unter Verwendung erneuerbarer Energien sollen unvermeidbare Kohlendioxid-Emissionen aus der Stahlindustrie perspektivisch fossile Rohstoffe in der chemischen Industrie ersetzen. Hierfür wird ein cross-industrielles Produktionsnetzwerk aus Stahlindustrie, chemischer Industrie und Energiewirtschaft aufgebaut. Bisher energetisch genutzte Prozessgase der Hütte dienen als Ausgangsstoff für die Produk­tion von synthetischen Kraftstoffen, Kunststoffen und weiteren Basischemikalien. Während der ersten Projektlaufzeit (Juni 2016 bis Mai 2020) lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung und Erforschung von geeigneten Verfahren. Die zweite Phase von Carbon2Chem wird die entwickelten Verfahren für die großtechnische Umsetzung validieren und so die Grundlage für eine emissionsarme Stahlproduktion legen. Dafür hat das BMBF bis 2024 weitere 75 Mio. EUR zur Verfügung gestellt. Die beteiligten Partner planen Investitionen von mehr als 100 Mio. EUR bis 2025.

Fazit
Die Green Innovation Zone auf der Achema hat gezeigt, dass der Verzicht auf fossile Brenn- und Rohstoffe und der Einsatz entsprechender Ersatzstoffe in der chemischen Industrie eines der wichtigsten Ziele zum Erreichen der Klimaziele und zu mehr Nachhaltigkeit ist. Noch liegen große Herausforderungen vor den Verantwortlichen auf dem Weg zur grünen Chemie. Das Ziel Net Zero kann daher nur im cross-industriellen Zusammenspiel mit Forschungsverbunden und wissenschaftlichen Institutionen erreicht werden, wie die laufenden Projekte Carbon2Chem und die Fraunhofer-Allianz Chemie beispielhaft zeigen.

Jörg Wetterau, Labor für Kommunikation, Linsengericht

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