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Chemiekonjunktur: Produktion und Umsatz stagnieren im 1. Halbjahr 2013

VCI-Präsident Kley warnt vor einem industriepolitischen Stillstand

11.07.2013 -

Die erste Hälfte des Jahres 2013 war für die chemische Industrie in Deutschland durchwachsen: Das schwächere Geschäft im Inland wurde zwar durch eine Zunahme der Exporte ausgeglichen - vor allem die Ausfuhren nach Europa entwickelten sich erfreulich - insgesamt aber stagnierten Produktion und Umsatz auf dem Vorjahresniveau.

„Angesichts der Situation im Euroraum ist das erklärbar. Gemessen an unseren Konkurrenten in Europa schneidet die deutsche Chemie sogar noch relativ gut ab", bewertete der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) Dr. Karl-Ludwig Kley das Ergebnis der Branche. Er wies jedoch darauf hin, dass die Chemieproduktion in Deutschland derzeit immer noch 3 % unter dem Vorkrisen-niveau von 2007 liegt, ohne Pharma sind es sogar 6 %. „Insofern können wir nicht zufrieden sein", sagte Kley.

Umsatz und Preise
Bei stagnierenden Produktionsmengen und stabilen Preisen konnte die Chemie mit 90,8 Mrd. € den Gesamtumsatz gegenüber dem Vorjahr nicht ausweiten. Während das Geschäft im Inland um 1 % auf 35 Mrd. € zurückging, weil die industriellen Kunden weniger Chemikalien orderten, stieg der Auslandsumsatz um 0,5 % und erreichte ein Volumen von 55,8 Mrd. €. Im ersten Halbjahr kam es zu einer leichten Entspannung auf den Rohstoffmärkten. Vor dem Hintergrund der schwächeren Weltkonjunktur und einer Ausweitung der Förderung gaben die Preise für Rohstoffe und Energie etwas nach. Der bisherige Preisauftrieb bei chemischen Erzeugnissen setzte sich dadurch nicht fort.

Prognose
Trotz der schwachen Chemiekonjunktur in der ersten Jahreshälfte halten sich pessimistische und optimistische Geschäftserwartungen in den Unternehmen die Waage. Dass die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgleitet, erwartet die Branche nicht. Für das Gesamtjahr 2013 geht der VCI deshalb weiterhin von einem Zuwachs der Chemieproduktion um 1,5 % aus. Als maßgebliche Faktoren sieht der VCI ein leicht wachsendes Inlandsgeschäft, steigende Ausfuhren in die europäischen Nachbarländer und anziehende Exporte nach Übersee.

Industriepolitik
Die Programme der großen Parteien zur Bundestagswahl geben aus Sicht des VCI keine ausreichenden Antworten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes voranzubringen. VCI-Präsident Kley warnte vor einem industriepolitischen Stillstand in der nächsten Legislaturperiode: „Sorgen machen mir vor allem vier Aspekte: Planlosigkeit in der Energiepolitik, Maßlosigkeit in der Steuerpolitik, Ratlosigkeit in der Gesundheitspolitik und Mutlosigkeit in der Forschungspolitik." Kley kritisierte zudem die Gewichtung der politischen Konzepte. „Mit Schlagworten wie Verteilungsgerechtigkeit und Sicherheit werden vielleicht Wahlen gewonnen. Die Zukunft gewinnen wir mit ihnen nicht. Die Zukunft gewinnen wir nur mit einer starken Industrie und einer starken Chemie."

Die Energiewende ist das größte deutsche Gemeinschaftsprojekt seit dem Aufbau Ost. Statt Projektmanagement mit marktwirtschaftlichem Ansatz setze der Staat, so Kley, auf Planwirtschaft für die Umsetzung. „Politisches Stückwerk, Kompetenzgerangel und ideologische Flickschusterei" verursachten explodierende Kosten. Dadurch verschlechtere sich die Position der deutschen Industrie im internationalen Wettbewerb. „Für ein Land, das so stark am Export hängt wie Deutschland, eine gefährliche Situation." Kley sprach sich dafür aus, die Energiewende nach der Bildung der neuen Bundesregierung so schnell wie möglich von Grund auf neu zu konzipieren. Ein punktuelles Nachjustieren bei den Strompreisen reiche nicht aus, um die Kosten wirksam zu bremsen. Außerdem plädierte der VCI-Präsident für eine europäische Lösung: „Eine Energiewende 2.0 muss in den europäischen Binnenmarkt eingebunden werden - nationale Alleingänge führen zu nichts."

Allen Überlegungen zur Erhöhung der Vermögenssteuer erteilte Kley eine klare Absage. Als industriepolitisch „grotesk" bezeichnete er die Debatte um eine erneute Änderung der Erbschaftssteuer, die zuletzt 2008 reformiert worden ist. Mit dieser Lösung hätten sich familien- und inhabergeführte Unternehmen inzwischen arrangiert. „Hinter diesen Stand dürfen wir nicht zurückfallen. Ich appelliere daher mit Nachdruck an alle Parteien, ihre Steuerpolitik mit Augenmaß und industriepolitischem Sachverstand zu gestalten. Ideologiegeladener Aktionismus nutzt niemandem."

Gesundheitspolitik: Kley forderte die Politik auf, den Pharmastandort Deutschland zu stärken. Medizinisch-technischen Fortschritt könne es nicht zum Nulltarif geben. Mit Blick auf die Kosten von bis zu 1 Milliarde Euro für die Entwicklung, Zulassung und Markteinführung eines Medikaments mit neuem Wirkstoff sei eine angemessene Preisstellung seitens der Hersteller für künftige medizinische Innovationen unumgänglich. „Deutschland hat seinen Nimbus als Apotheke der Welt zwar verloren. Wir sollten aber verhindern, dass unser Land ausschließlich auf die Apotheken der anderen angewiesen ist", betonte der VCI-Präsident. Noch sei die deutsche Pharmabranche stark genug, um im Weltmarkt eine bedeutende Rolle zu spielen. Dafür benötige sie aber eine entsprechende ökonomische Grundlage im Heimatmarkt.

Innovationsförderung: Mit Forschungs- und Entwicklungsausgaben von zuletzt rund 9 Milliarden Euro zählt die chemisch-pharmazeutische Industrie zu den forschungsintensivsten Branchen. Damit neue, wegweisende Produkte und Werkstoffe auch zukünftig aus Deutschland kommen könnten, forderte Kley innovationsfreundliche Regelungen im Steuer- oder Patentrecht. Nicht weniger wichtig sei dafür das allgemeine Innovationsklima. Das gesellschaftliche Umfeld in Deutschland müsse Kreativität und Forschergeist honorieren statt einzudämmen. „Solange wir auf theoretische Risiken neuer Technologien von vornherein mit Verweigerung reagieren, legen wir unserer Wettbewerbsfähigkeit Fußfesseln an", sagte Kley. Notwendig sei ein verantwortungsbewusstes Abwägen von Chancen und Risiken. In der Pflanzenbiotechnologie, bei Nanomaterialien oder Fracking sei dieses Vorgehen in Deutschland bisher nicht zu erkennen. Das müsse sich ändern.