Chemiekonjunktur – Ende der Rezession in Sicht
Die Chemiebranche hofft weltweit auf bessere Geschäfte
Die Weltwirtschaft verliert zunehmend an Dynamik. In den USA liefen die Impulse seitens der Finanzpolitik allmählich aus. Zudem setzten die von Präsident Trump ausgelösten Handelskonflikte auch der US-Industrie mehr und mehr zu. Auch China litt unter den Handelshemmnissen. Die offiziellen Zahlen weisen zwar nach wie vor eine deutliche wirtschaftliche Dynamik aus. Doch die Zweifel am chinesischen Wachstum nehmen zu. Die Abschwächung der chinesischen Wirtschaft macht mittlerweile nicht nur den Nachbarländern zu schaffen. Ohne den Rückenwind durch die Exportmärkte verlor auch in Europa die Konjunktur deutlich an Fahrt. Hinzu kommen hausgemachte Probleme, wie die Reformverweigerung der italienischen Populisten, die Reformunfähigkeit der großen Koalition in Deutschland oder der durch Brexit und die neuen Machtverhältnisse im Parlament geschwächten europäischen Institutionen.
Die Wachstumsverlangsamung erfasst damit alle drei Wachstumszentren der Weltwirtschaft – USA, China und Europa – gleichzeitig. Entsprechend deutlich sind mittlerweile die Effekte. Insbesondere die globale Industrie hat deutlich an Dynamik eingebüßt. Der globale Durchschnitt beschönigt dabei die Situation, denn in vielen Ländern befindet sich die Industrie in der Rezession. Durch die schwächere Nachfrage der industriellen Kunden verlor auch die globale Chemieproduktion spürbar an Schwung (Grafik 1).
Das Tempo der weltweiten Expansion dürfte auch im Jahresverlauf 2020 ähnlich verhalten ausfallen wie im Vorjahr. Die Talsohle scheint mittlerweile zwar erreicht. Eine Trendwende ist aber noch nicht in Sicht.
Europa: Chemie in der Rezession
Die Wirtschaft in der Europäischen Union (EU) ist infolge ihrer starken Exportorientierung mehr als andere Regionen von Störungen im außenwirtschaftlichen Umfeld betroffen. Das hat nicht nur in Deutschland zu einer ausgeprägten Rezession im Industriesektor geführt, die auch im vierten Quartal 2019 nicht überwunden werden konnte. Nach wie vor ist die Stimmung in der Industrie angesichts der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren schlecht. Der zunehmende Protektionismus, der schwelende Handelskonflikt mit den USA, aber vor allem das Hin und Her um den Brexit verunsicherte die Unternehmen.
Die chemische Industrie bekam die nachlassende Nachfrage seitens der industriellen Kunden und die Abschwächung des Welthandels früh zu spüren. Die Hersteller von Basischemikalien mussten ihre Produktion 2019 erneut drosseln. Das Vorjahresniveau wurde deutlich verfehlt. Auch die Produktion von Fein- und Spezialchemikalien war rückläufig. Allein die Konsumchemikalien konnten dank des guten Konsumklimas ein Plus verbuchen. Insgesamt sank die Chemieproduktion (ohne Pharma) im vergangenen Jahr um 1 %. Dank einer stark steigenden Produktion von Pharmazeutika verbuchte die Chemie- und Pharmaproduktion allerdings insgesamt gegenüber Vorjahr ein Plus von 3 %. Damit kam einmal mehr die Dynamik der Branche vor allem aus der Pharmaindustrie (Grafik 2).
Amerika: US-Chemie mit Produktionsrückgang
Der fiskalische Impuls der Steuerreform trieb 2018 die Wachstumsdynamik der US-Wirtschaft an. Im Jahr 2019 lief dieser Impuls jedoch aus. Ferner zeigt sich zunehmend, dass auch die US-Wirtschaft unter den Unsicherheiten der Trumpschen Außenwirtschaftspolitik leidet. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum (+2,3 %) wurde im Wesentlichen vom robusten Konsum und dem Dienstleistungssektor getragen. Die Industrieproduktion musste hingegen im Jahresverlauf gedrosselt werden. Entsprechend schwach entwickelte sich die Chemienachfrage. Nachdem die Chemieunternehmen im Vorjahr noch ein kräftiges Plus in Höhe von 4 % verbuchen konnten, sank 2019 die Chemieproduktion (ohne Pharma) von Quartal zu Quartal (Grafik 3). Hierzu dürften auch die chinesischen Zölle auf Chemieprodukte beigetragen haben. Im Gesamtjahr betrug das Minus 0,5 %.
In Südamerika sah es nicht besser aus: Viele Länder Lateinamerikas von Venezuela über Bolivien bis hin zu Argentinien befanden sich 2019 in der Krise. Auch die Wirtschaft des Schwergewichts Brasiliens wies nach den schwachen Vorjahren keine spürbare Erholung auf. Mit rund 1 % Wirtschaftswachstum blieb das Land weit hinter seinen Möglichkeiten. Die Industrieproduktion stagnierte und die Chemieunternehmen mussten die Produktion drosseln (-1,3 %).
Asien: Chinas Chemie schaltet einen Gang zurück
Die asiatischen Länder fungierten 2019 auch nicht mehr als Wachstumslokomotiven. In der chinesischen Wirtschaft setzt sich der generelle Trend zur Wachstumsabschwächung fort. Dies ist zum Teil auch dem Bestreben der Regierung geschuldet, die Wirtschaft umzubauen und die hohe Verschuldung sowie die Überhitzungserscheinungen im Immobiliensektor einzudämmen. Hinzu kommt, dass der chinesische Industriesektor mehr und mehr unter dem Handelskonflikt mit den USA leidet. Die Industrieproduktion legte daher ebenso wie das Chemiegeschäft deutlich langsamer zu als die Gesamtwirtschaft. Auch in Indien wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Das Wachstum schrumpfte auf „nur“ noch 5 %. Industrieproduktion und Chemienachfrage wuchsen dabei kaum.
In Japan liefen die positiven Effekte vorausgegangener Konjunkturprogramme langsam aus. Zudem hat eine Mehrwertsteuererhöhung im vierten Quartal die Wirtschaft schrumpfen lassen, so dass im Gesamtjahr nur ein Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIPs) von 1 % verbucht werden konnte. Die Industrie musste sogar die Produktion drosseln. Entsprechend schwach entwickelte sich die Chemienachfrage. Ein ähnliches Bild zeigte sich in Südkorea. Auch hier rutschte die Industrie in die Rezession (Grafik 4).
Ausblick: Unternehmen hoffen auf Erholung
Zu Jahresbeginn hat sich die Stimmung im Unternehmenssektor weltweit etwas aufgehellt. Obwohl noch keine Trendwende erkennbar ist, macht sich zunehmend die Hoffnung breit, dass die Talsohle im vierten Quartal 2019 durchschritten wurde. Eine Reihe positiver Nachrichten macht es wahrscheinlich, dass die Industrie weltweit die Schwächephase überwindet:
Das Wachstum der USA wird weiterhin von einem soliden Konsum gestützt, der seinerseits von einer rekordniedrigen Arbeitslosenquote angetrieben wird. Die im Zuge der expansiven Geldpolitik der US-Notenbank Fed verbesserten Finanzierungsbedingungen wirken zudem positiv auf die (Bau-)Investitionen.
Die Waffenruhe im Handelskrieg mit den USA dürften der chinesischen Wirtschaft etwas Luft verschaffen. Dies sowie weitere geld- und fiskalpolitische Maßnahmen lassen ein stabiles Wachstum erwarten.
In Europa wird es einen geordneten Brexit geben. Dies bietet die Chance auf dauerhaft gute Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien.
Die japanische Regierung hat zuletzt ein neues Konjunkturpaket im Volumen von mehr als 200 Mrd. EUR auf den Weg gebracht.
Dennoch dürfte das Tempo der globalen Expansion auch in den kommenden Monaten niedrig bleiben. Zudem sind die Risiken für einen konjunkturellen Rückschlag weiterhin hoch. Neben den üblichen Verdächtigen, wie erneut aufflammende Handelskonflikte, gibt es mittlerweile auch neue Risiken. Beispielsweise könnte das Coronavirus auch die Wirtschaft infizieren. Eine Pandemie würde nicht nur die chinesische Wirtschaft beeinträchtigen.
Bleiben Rückschläge aus, rechnet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) weltweit mit einem Ende der Industrierezession und einer Stabilisierung des Chemiegeschäfts (Tabelle).
Zur Person
Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
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