Märkte & Unternehmen

Chemiekonjunktur – Deutsche Chemie mit versöhnlichem Jahresabschluss

Der Schlussspurt zum Jahresende 2020 reichte jedoch nicht aus, um die Bilanz der Branche ins Positive zu drehen

16.03.2021 - Die Wirtschaftsleistung der EU ging im 4. Quartal 2020 leicht zurück. Doch der Rückschlag betraf nahezu ausschließlich den Dienstleistungssektor, die Industrie setzte ihren Erholungsprozess fort.

Im ersten Halbjahr 2020 stand das Chemie- und Pharmageschäft ganz im Zeichen der Coronaviruspandemie, des globalen Shutdowns und der dadurch ausgelösten Weltwirtschaftskrise. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung führte bei vielen Chemieunternehmen innerhalb kürzester Zeit zu einem starken Rückgang von Aufträgen. Das galt insbesondere bei Vorprodukten für die Automobil-, Metall- und Elektroindustrie. Die deutsche Industrie musste im zweiten Quartal ihre Produktion um mehr als 20 % drosseln. In Europa, den USA oder Asien sah es mit Ausnahme von China nicht besser aus. Mit den Lockerungen der Pandemiemaßnahmen im Frühsommer 2020 setzte weltweit eine kräftige wirtschaftliche Erholung ein. Insbesondere die Industrie fasste schnell wieder Tritt, wenngleich das Vorkrisenniveau vielerorts zunächst noch in weiter Ferne blieb. In den Chemie­unternehmen begannen sich die Auftragsbücher allmählich wieder zu füllen. Im Herbst erzwang das dynamische Infektionsgeschehen in Europa einen erneuten Lockdown – auch in Deutschland. Die Wirtschaftsleistung der EU ging im vierten Quartal 2020 leicht zurück. Doch der Rückschlag betraf nahezu ausschließlich den Dienstleistungssektor. Die Industrie setzte hingegen ihren Erholungsprozess mit hoher Dynamik fort (Grafik 1). In vielen Regionen der Welt konnte die Industrieproduktion sogar schon wieder an das Vorkrisenniveau anknüpfen.

Starkes Schlussquartal

Mit der Ausweitung der Produktion stieg weltweit die Nachfrage nach Chemikalien. Davon konnte auch die deutsche Chemie profitieren. Der befürchtete Dämpfer ist ausgeblieben. Im Gegenteil: Weil mittlerweile die Eingangsläger vieler Kunden leer waren und zudem wegen des Lockdowns Lieferschwierigkeiten drohten, legten die Bestellungen bei den Chemie­unternehmen bis zum Dezember kräftig zu.

Der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie stieg gegenüber dem Vorquartal um 8,1 %. Dabei entwickelten sich die Verkäufe im In- und Ausland gleichermaßen dynamisch. Die Produktion legte um 7,4 % gegenüber dem Vorquartal zu. Im klassischen Chemiegeschäft – also ohne die Pharmasparte – betrug das Plus sogar 9,2 %. Die Kapazitätsauslastung kletterte auf 85 %. Damit waren die Produktionskapazitäten zuletzt sehr gut ausgelastet. Angesichts dieser Kennzahlen verbesserte sich die Stimmung in den Unternehmen deutlich. Sowohl die aktuelle Lage als auch die Geschäftserwartungen waren zum Jahresende positiv.

Produktion nur noch leicht im Minus

Dank der kräftigen Ausweitung zum Jahresende schrumpfte die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie im Gesamtjahr 2020 nur um 0,8 %. Rechnet man Pharma heraus betrug das Minus 1 %.
 

„Die Pharmaproduktion blieb 2020 nahezu stabil.“



Dennoch hinterließ die Corona­krise in fast allen Chemiesparten ihre Spuren (Grafik 2). Während die Hersteller von anorganischen Grundstoffen, Spezialchemikalien und Polymeren ihre Produktion zurückfahren mussten, stieg die Produktion von Petrochemikalien leicht. Auch die Konsumchemikalienhersteller drosselten ihre Produktion leicht. Denn die starke Nachfrage nach Hygieneartikeln konnte das pandemiebedingte Minus bei Kosmetika nicht kompensieren. Die Pharmaproduktion blieb 2020 hingegen nahezu stabil.

Jahresbilanz 2020

Der Schlussspurt zum Jahresende 2020 reichte nicht aus, um die Bilanz der Branche ins Positive zu drehen. Alle wichtigen Kennzahlen weisen für 2020 ein negatives Vorzeichen auf (Grafik 3). Unter dem Strich ist die chemisch-pharmazeutische Industrie aber mit einem blauen Auge davongekommen. Der Nachfragerückgang war wegen der raschen Erholung der globalen Industriekonjunktur wesentlich schwächer als man im Sommer befürchten musste. Dazu hat auch die Bedeutung unserer Produkte zur Bekämpfung der Pandemie beigetragen.

Dennoch haben die Störungen der Betriebsabläufe zuletzt wieder deutlich zugenommen. Zwei Pro­blemfelder sind erkennbar: Zum einen sind die Lieferketten gestört. Einige Lieferanten vor allem im Ausland haben Produktionsprobleme oder sogar Force Majeure angemeldet. Zudem ist die Logistik unter Pandemiebedingungen ist sehr aufwändig. Die Unternehmen beklagen fehlende Frachtkapazitäten, lange Lieferzeiten und hohe Transportkosten. Die jüngst wegen der Mutanten eingeführten Grenzkontrollen verschärfen die Situation zusätzlich.

Das zweite Problem sind die pandemiebedingten Einschränkungen bei Dienstreisen, die immer stärker die Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten und Kunden einschränken. Gemeinsame Entwicklungsprojekte für kundenspezifische Lösungen finden nur noch vermindert statt. Die Akquise neuer Kunden ist stark eingeschränkt, darunter leidet die Kundenbindung.

Von diesen Problemen abgesehen haben sich die Chemie- und Pharmaunternehmen gut auf die Pandemie eingestellt. Umfassende Hygiene- und Sicherheitskonzepte wurden bereits im Frühjahr eingeführt und die Maßnahmen im Herbst nach dem Anziehen des Infektionsgeschehens weiter intensiviert und nachjustiert. Die Versorgung der Kunden und die Gesundheit der Mitarbeiter war so auch unter schwierigen Bedingungen gewährleistet.

Ausblick: Hoffen auf ein Ende der Pandemie

Trotz guter Zahlen für das Schlussquartal: Der immer länger andauernde Lockdown wird nicht spurlos an der chemisch-pharmazeutischen Industrie vorbeigehen. Laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwarten fast 50 % der Unternehmen im laufenden Quartal einen Dämpfer (Grafik 4).

Dass diese Vorsicht berechtigt ist, zeigt ein Blick auf die für das Chemiegeschäft wichtige Automobilindustrie: Diese hat zu Jahresbeginn 2021 ihre Produktion um mehr als 20 % gedrosselt. Neben einer sinkenden Nachfrage nach Neufahrzeugen in Europa haben hierzu auch Lieferschwierigkeiten bei einigen elektronischen Komponenten beigetragen. Auch in anderen Branchen dürften zunehmend Bremsspuren erkennbar werden. Das wird die Chemienachfrage dämpfen. Zumal sich auch der Lageraufbau dem Ende zuneigt.

Zudem birgt das weiterhin dynamische Infektionsgeschehen in Europa bei fehlender Strategie der EU erhebliche Risiken für die weitere Erholung der Wirtschaft. Immer wieder einsetzende Lockdowns könnten Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen verunsichern und Konsum sowie Investitionen bremsen. Rückschläge in der Produktion sind daher nicht ausgeschlossen. Auf den außereuropäischen Märkten sieht es besser aus, aber auch hier sind die Aussichten nicht ungetrübt.

Auf der anderen Seite nimmt der Optimismus zu, dass die Pandemie im Laufe des Jahres überwunden werden kann. Das Impfprogramm nimmt Fahrt auf. Auch beim Thema Testen und Kontaktnachverfolgung geht es voran. Der strategische Stufenplan der Politik vom Anfang des Monats schafft eine Perspektive für die sichere Öffnung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Vor diesem Hintergrund sollte die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder Fahrt aufnehmen.

 

„Für das Gesamtjahr 2021
erwartet die Mehrheit der Chemie- und
Pharmaunternehmen einen Umsatzzuwachs.“



Die VCI-Mitgliederbefragung vom Februar zeigt: Für das Gesamtjahr 2021 erwartet die Mehrheit der Chemie- und Pharmaunternehmen einen Umsatzzuwachs (Grafik 5). Die wirtschaftliche Belebung sollte sich – evtl. mit Unterbrechungen – im laufenden Jahr fortsetzen. Und nach der kräftigen Erholung der vergangenen Monate sollten die Branchenkennzahlen in diesem Jahr durchweg ein positives Vorzeichen aufweisen.

Der VCI rechnet damit, dass die Chemie- und Pharmaproduktion nach dreijährigem Rückgang aufgrund der Belebung der Nachfrage unserer industriellen Kunden um 3 % zulegen kann. Dank steigender Preise dürfte der Umsatz der Branche fast wieder die 200 Mrd. EUR Marke erreichen und mit einem Wachstum von 5 % den pandemiebedingten Rückgang egalisieren.

Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Indus­trie e.V., Frankfurt am Main

ZUR PERSON
Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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