Chemiekonjunktur – Asiens Chemie kommt mit Schwung aus der Coronakrise
Ende 2020 wurde das Vorkrisenniveau in vielen asiatischen Staaten bereits wieder erreicht
Die Coronakrise hält die Weltwirtschaft weiter in Atem. Zwar setzte nach dem Ende des globalen Lockdowns im Sommer 2020 eine dynamische Erholung ein. Doch steigende Infektionszahlen und erneute Eindämmungsmaßnahmen in vielen Ländern dämpfen seit November die wirtschaftliche Dynamik. Asien kommt dabei vergleichsweise gut durch die Krise. Zum einen ist die Eindämmung der Coronaviruspandemie in vielen Ländern Asiens besser gelungen als in den westlichen Staaten. Die Neuinfektionen gemessen an der Inzidenz sind deutlich niedriger als in Amerika oder Europa. Bei ähnlich stringente Kontaktbeschränkungen wie im Rest der Welt scheint die Disziplin der Bevölkerung signifikant höher zu sein.
Dadurch steht Asien auch ökonomisch insgesamt besser da als viele andere Staaten weltweit. Die Wirtschaftsleistung brach 2020 weniger stark ein als auf anderen Kontinenten. Das liegt vor allem, aber nicht nur, an China. Die Volksrepublik konnte als einziges G20-Land im Gesamtjahr 2020 sogar eine Zunahme des BIPs verbuchen. Besonders die Industrie kam nach den schweren Einbrüchen dynamisch aus der Krise. Die Chemie- und Pharmaindustrie zeigte sich dabei krisenresilienter als andere Branchen. Am Jahresende wurde das Vorkrisenniveau in vielen asiatischen Staaten bereits wieder erreicht bzw. überschritten. In China lag sogar die Jahresproduktion der Chemie- und Pharmaindustrie über Vorjahr (Grafik 1).
China auf Wachstumspfad zurück
China ist mit Abstand der größte Chemiemarkt der Welt – und trotz des Defizits in der Handelsbilanz auch der größte Produzent. Die chinesischen Chemie- und Pharmaunternehmen erwirtschafteten 2019 einen Umsatz von knapp 2 Bio. EUR. Das waren fast 40 % der weltweiten Chemie- und Pharmaumsätze. Im weltweiten Vergleich investierte kein Land in den vergangenen Jahren so stark in seine Chemieindustrie wie China. Allein im Jahr 2019 beliefen sich die Investitionen auf rund 113 Mrd. EUR. In den vergangenen drei Jahren stieg die Produktion um jährlich rund 5,5%.
China profitierte von der hohen Nachfrage
des Auslands nach Medizinprodukten und Pharmazeutika.
Die Pandemie brachte im ersten Quartal des Jahres 2020 dann einen nie gesehen Einbruch. Aber das Vorkrisenniveau wurde bereits im zweiten Quartal des Jahres wieder erreicht. Fördermaßnahmen ließen insbesondere die Infrastrukturinvestitionen und die Industrieproduktion dynamisch wachsen. Insgesamt verbuchte Chinas Wirtschaft 2020 ein Plus von 1,8%. Auch die Chemieproduktion konnte bereits im März eine kräftige Erholung vorweisen, so dass das Vorkrisenniveau auch hier schnell wieder übertroffen wurde. Im Laufe des Jahres nahm die Dynamik weiter zu. Am Jahresende wurden bereits Wachstumsraten erreicht, die über denen der Vorjahre lagen (Grafik 2). Die Branche profitierte dabei von der kräftigen Erholung der chinesischen Industriekunden. So konnte bspw. die Automobilindustrie im zweiten Quartal mit einem Plus gegenüber Vorquartal von 58 % die Verluste vom Jahresanfang mehr als wettmachen. Auch staatlich angekurbelte Bauprojekte befeuerten die Nachfrage nach Chemikalien. Zusätzlich profitierte China von der hohen Nachfrage des Auslands nach Medizinprodukten und Pharmazeutika.
Südkorea meistert Coronakrise mit am besten
Südkorea ist insgesamt mit am besten durch die Krise gekommen. Durch umfangreiche Testungen und eine strikte Nachverfolgung konnten Lockdown-Maßnahmen weitestgehend vermieden werden und die Einbrüche der Wirtschaft fielen deutlich moderater aus als in allen anderen Staaten. Aber Abkoppeln von den weltweiten Entwicklungen konnte sich das Land nicht. Dies bekam auch die Chemie- und Pharmaindustrie zu spüren. Die Branche ist stark von der Nachfrage der Industriekunden im In- und Ausland abhängig. 80% der Umsätze der Branche werden mit industrienahen Chemieprodukten generiert – deutlich mehr als in den meisten anderen Ländern. Die Industrierezession der Jahre 2018 und 2019 hinterließ bereits ihre Spuren und ließ die Produktion vorübergehend sinken. Die Nachfrageeinbrüche der industriellen Kunden führte dann in der Hochphase der Coronaviruspandemie im Frühjahr 2020 zu kräftigen Rückgängen, die aber auch schnell wieder aufgeholt werden konnten (Grafik 3). Hierbei halfen auch die über die Jahre aufgebauten engen Lieferketten mit China. Insgesamt ging die Produktion der Branche in 2020 nur um knapp 1% zurück. Starke Rebound-Effekte im laufenden Jahr sind damit zwar nicht zu erwarten. Die Erholung wird sich aber fortsetzen.
Indien erholt sich von tiefen Einbrüchen
Indiens Wirtschaft wurde wie kein Land weltweit von der Coronaviruspandemie getroffen. Ein Viertel der Wirtschaftskraft brach im Frühjahr 2020 weg. Die Industrie verbuchte zur gleichen Zeit Einbrüche von gut 40%. Zwar setzte im Laufe des Jahres auch wieder eine dynamische Erholung ein, aber das Vorkrisenniveau ist noch entfernt. Das Bruttoinlandsprodukt verfehlte sein Vorjahresergebnis um 8,4%, die Industrie um 13%.
Indiens Wirtschaft wurde wie kein Land weltweit
von der Coronaviruspandemie getroffen
Anders in Indiens Chemie- und Pharmaindustrie (Grafik 4). Zwar ging auch hier die Produktion aufgrund der Nachfrageausfälle und Probleme mit den Lieferketten im Frühjahr zurück. Aber der Rückgang fiel mit knapp 17% deutlich geringer aus als in der Industrie insgesamt. Und die Erholung im Jahresverlauf war so stark, dass bereits im dritten Quartal das Vorkrisenniveau wieder übertroffen wurde. Insgesamt ging die Produktion im Jahr 2020 nur um rund 3,5% zurück. Geholfen hat die starke Ausrichtung auf Pharmazeutika. Über 30% der Umsätze und fast 40% der Investitionen der Branche werden im Pharmabereich getätigt. Indien ist dank niedriger Kosten, verfügbarer Fachkräfte und Fördermaßnahmen der Regierung inzwischen der weltweit größte Generikaproduzent und beliefert mit seinen Produkten den Weltmarkt. Durch die Fokussierung auf Pharmazeutika ist die Branche deutlich weniger vom Auftragsmangel der industriellen Kunden betroffen. Die Nachfrage nach Pharmazeutika ist weiterhin nach oben gerichtet. Insbesondere dürfte es in den nächsten Jahren zu höheren Zuwächsen bei den Gesundheitsausgaben auf dem inländischen Markt und beim größten Nachbarn China kommen. Das laufende Jahr wird hohe Rebound-Effekte in der Produktion ausweisen, aber auch langfristig kann mit stabil hohen Zuwächsen bei der Chemie- und Pharmaproduktion gerechnet werden.
Japan: Vorkrisenniveau in weiter Ferne
Japans Wirtschaft startete aus einer schlechten Ausgangslage in das Krisenjahr 2020. Eine Mehrwertsteuererhöhung und die Handelskonflikte zwischen China und den USA hatten der Wirtschaft bereits zugesetzt. Die Nachfrageausfälle durch die Coronaviruspandemie – insbesondere auch auf den Exportmärkten – ließen dann das BIP und die Industrieproduktion weiter einbrechen. Trotz Erholung im Jahresverlauf ging die Wirtschaftskraft im Gesamtjahr um 5,6% zurück. Die Industrieproduktion schrumpfte um gut 11%. Auch die Chemie- und Pharmaindustrie konnte sich diesem Abwärtssog nicht entziehen. Der Rückgang in der Branche fiel aber, wie auch in den anderen Ländern, geringer aus als in der Industrie insgesamt. Allerdings setzte die Erholung bisher auch nur sehr verhalten ein. Japans Weg aus der Krise wird lange dauern.
Ausblick: Gestärkt aus der Krise
Die guten Nachrichten von der Impfstoffentwicklung versprechen ein Ende der Covid-19-Pandemie. Damit kann sich auch die Wirtschaft weltweit wieder erholen. Viele asiatische Volkswirtschaften dürften dabei gestärkt aus der Krise kommen. Teilweise waren die Einbrüche schwächer aus als in westlichen Industriestaaten. Mit China hat Asien auch die weltweit stärkste Wachstumslokomotive in seiner Mitte. Dies dürfte auch für die Nachbarstaaten einen zusätzlichen Schub bedeuten. Zusätzlich wird die einsetzende Erholung mit zahlreichen Maßnahmen zur Strukturveränderung flankiert. Die langfristigen Ziele der chinesischen Regierung zielen auf eine Ausdehnung des Binnenkonsums und einer Reduktion der Exportabhängigkeit. Indien möchte mehrere Milliarden in die Industrieförderung investieren, um Abhängigkeiten zu reduzieren. Japans Regierung will die Wirtschaft mit umfangreichen Stützungsmaßnahmen stabilisieren und krisenresilienter machen. Und Südkorea baut seine gute Stellung auf den Zukunftsmärkten aus. Die asiatischen Staaten setzen bei ihren Wachstumsstrategien auch vermehrt auf Freihandel. Die Länder des Abkommens „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) stehen für knapp 30% des Welthandels. Langfristig soll ein Wirtschaftsraum mit 2,2 Mrd. Einwohnern entstehen. Die Wachstumsaussichten für 2021 und darüber hinaus sind dementsprechend gut. Damit steigt auch die Nachfrage nach Chemikalien auf breiter Front. Wir erwarten sowohl beim Wachstum der Gesamtwirtschaft als auch der Industrie im Vergleich zum Vorkrisenniveau 2019 in den meisten asiatischen Ländern Zuwächse (Grafik 5).
Asien ist der größte Chemiemarkt der Welt
und wird seinen Vorsprung in Zukunft eher noch ausbauen.
Auch langfristig sehen die Aussichten für Asien gut aus. Asien ist der größte Chemiemarkt der Welt und wird seinen Vorsprung in Zukunft eher noch ausbauen. Die Nachfrage nach Chemiewaren in der Region wird weiterhin dynamisch wachsen. Die großen asiatischen Länder sind auch in den Zukunftsthemen gut aufgestellt. In der Chemieforschung, bei Chemie- und Pharmapatenten und beim Handel mit forschungsintensiven Chemiewaren holen sie immer weiter auf. Damit ist das langfristige Wachstumspotenzial hoch. Die Bedeutung Asiens als Wachstumsmarkt und als Chemiestandort wird damit auch für deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen zunehmen.
Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt am Main
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