Chemiekonjunktur
Europas Chemie rechnet mit einem Produktionszuwachs von 7,5 % im Jahr 2010
Europas Volkswirtschaften haben die Weltwirtschaftskrise überwunden. Nach dem Einbruch der Wirtschaftsleistung zur Jahreswende 2008/2009 steigt mittlerweile in fast allen Ländern das Bruttoinlandsprodukt. Die Erholung erfolgt aber nur in kleinen Schritten. Dies ist vor allem auf die Konjunkturprogramme und auf das anziehende Exportgeschäft zurückzuführen. Von einem selbsttragenden Aufschwung ist man vielerorts noch weit entfernt. Zudem haben die Risiken eines Rückschlages zuletzt wieder zugenommen. Die Schulden wachsen den Staaten über den Kopf - nicht nur in Griechenland. Die Konsolidierung ist eingeleitet. Sie wird in vielen Ländern die wirtschaftliche Entwicklung dämpfen. Die Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt bleiben gering. Auch in der Industrie sieht es nicht viel besser aus. Zwar stieg im europäischen verarbeitenden Gewerbe die Produktion zuletzt um 4,6 % (Grafik 1). Diese Zahlen müssen aber vor dem Hintergrund des Produktionseinbruches im Vorjahr von immerhin 15 % relativiert werden. Die Industrie insgesamt erholt sich nur zögerlich. Weitaus besser steht dagegen Europas Chemieindustrie da. Der Produktionsrückgang des Jahres 2009 fiel mit rund 5 % vergleichsweise gering aus, weil das konjunkturunabhängige Pharmageschäft die starken Rückgänge in den anderen Chemiesparten weitgehend kompensieren konnte. Zu Jahresbeginn 2010 liegen die Wachstumsraten sogar im zweistelligen Bereich. Die Chemieindustrie ist ihrer Rolle als frühzyklische Branche gerecht geworden.
Produktion auf Vorkrisenniveau
Seit dem zweiten Quartal 2009 geht es mit der europäischen Chemieindustrie wieder aufwärts. Zu Jahresbeginn 2010 setzte sich der Aufwärtstrend in hohem Tempo fort. Erst Mitte des Jahres ließ die Dynamik allmählich nach (Grafik 2). Im Vergleich zum Vorquartal konnte die Ausbringungsmenge leicht erhöht werden. Damit lag das zweite Quartal immer noch fast 10 % höher als ein Jahr zuvor. Die europäische Chemieproduktion knüpft bereits wieder an ihr Vorkrisenniveau an.
Das Wachstum in den ersten Monaten des Jahres 2010 ist vor allem auf die Produktionsausweitungen im Bereich der chemischen Grundstoffe sowie der Fein- und Spezialchemikalien zurückzuführen. Diese Sparten liefern vor allem an industrielle Kunden. Sie hatten im ersten Halbjahr 2009 wegen erheblicher Absatzschwierigkeiten ihre Produktion massiv gedrosselt. Mit der Erholung im Chemiegeschäft fallen die Steigerungsraten hier besonders hoch aus: Die Produktion von Polymeren, Anorganika und Petrochemikalien lag in den ersten vier Monaten des Jahres mehr als 20 % höher als ein Jahr zuvor (Grafik 3). Die Fein- und Spezialchemikalienhersteller konnten ihre Produktion um 12 % ausweiten. Demgegenüber fielen die Zuwachsraten im Pharmageschäft und bei den konsumnahen Chemikalien vergleichsweise bescheiden aus. Aber auch diese Sparten konnten ein Plus oberhalb der 5 %-Marke verbuchen.
Chemikalienpreise im Aufwind
Mit der raschen Erholung im europäischen Chemiegeschäft fällt es den Unternehmen zunehmend leichter, die gestiegenen Rohstoffpreise auf die Kunden überzuwälzen. Seit Sommer 2009 steigen daher die Chemikalienpreise. Niedrige Lagerbestände bei Fertigwaren bei gleichzeitig stark steigender Nachfrage nach Chemikalien haben den Preisauftrieb verstärkt. Folglich lagen die Erzeugerpreise im zweiten Quartal 2010 rund 4 % höher als ein Jahr zuvor (Grafik 4). Vom Preisniveau des dritten Quartals 2008 ist man aber weiterhin ein ganzes Stück entfernt. Damals schlugen die hohen Ölpreise von rund 140 US-$ je Barrel auf die Chemikalienpreise durch.
Auslandsgeschäft brummt
Der Aufwärtstrend im europäischen Chemiegeschäft zeigt sich auch in den Umsatzzahlen. Im bisherigen Jahresverlauf stieg der Chemieumsatz deutlich. Ein Nachlassen der Dynamik ist nicht zu erkennen (Grafik 5). Im zweiten Quartal 2010 konnten die europäischen Chemieunternehmen das Umsatzniveau des Vorjahres um 14 % übertreffen. Neben dem Mengengeschäft trugen auch höhere Chemikalienpreise zu diesem Zuwachs bei. Die Wachstumsraten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Branche noch nicht wieder an das Umsatzniveau des Jahres 2008 anknüpfen konnte. Dies ist vor allem auf das Binnengeschäft zurückzuführen. Trotz Belebung lag der inländische Absatz zuletzt immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau.
Besser sieht es beim Export aus. Das Auslandsgeschäft entwickelte sich im bisherigen Jahresverlauf mit einem Plus von 14 % deutlich besser als die innereuropäischen Verkäufe. Die konjunkturelle Erholung hatte in Asien zügig eingesetzt. Die Nachfrage nach EU-Chemikalien war entsprechend hoch. Aber nicht nur die asiatischen Länder fragten verstärkt Chemikalien aus Europa nach, auch die Exporte nach Lateinamerika und Afrika konnten im bisherigen Jahresverlauf deutlich zulegen. Die Ausfuhren in die USA waren hingegen rückläufig.
Nachlassende Dynamik
Die europäische Chemieindustrie hat die schwerste Rezession ihrer Nachkriegsgeschichte erstaunlich rasch überwunden. Bereits im zweiten Quartal 2009 setzten sich die Auftriebskräfte durch. Die Produktion stieg in vielen Ländern von Quartal zu Quartal. Die industriellen Kunden orderten wieder Chemikalien. Im ersten Halbjahr 2010 ist das Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht. Auch die Kapazitätsauslastung war mit 80 % nicht mehr weit vom Normalbetrieb entfernt. Und die Unternehmen machen wieder ansprechende Gewinne.
Entsprechend gut ist die Stimmung. Die aktuelle Lage wird positiv eingeschätzt. Auch bezüglich der weiteren Geschäftsentwicklung ist die Branche überwiegend optimistisch. Allerdings wachsen die Bäume auch in der Chemie nicht in den Himmel. Die gesamtwirtschaftliche Erholung erfolgt nur in kleinen Schritten. Das gilt auch für die Industrie insgesamt. Dort wird es noch einige Zeit dauern, bis das Vorkrisenniveau erreicht sein wird. Für das Chemiegeschäft bedeutet dies, dass die Zuwachsraten in den kommenden Monaten zurückgehen werden. Das Chemiegeschäft wird sich den deutlich niedrigeren Wachstumsraten der industriellen Kunden anpassen müssen. Nach dem fulminanten Jahresbeginn darf die europäische Chemieindustrie aber immer noch auf ein Produktionsplus von 7,5 % hoffen. Mit der Schuldenkrise haben die Risiken zuletzt wieder zugenommen. Rückschläge sind nicht auszuschließen. Sie würden sich aber erst im kommenden Jahr in den Wachstumsraten bemerkbar machen.
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