Chemie- & Pharmaindustrie auf dem Weg zum Procurement 4.0
Studien-Insights: Wo steht die Branche bei der Digitalisierung im Einkauf?
Procurement 4.0 verspricht durch den Einsatz disruptiver Technologien wie bspw. künstlicher Intelligenz, nicht nur operative, sondern auch strategische Einkaufsprozesse zu revolutionieren. Doch wie weit ist die Branche in der Umsetzung dieser digitalen Transformation? Dieser zentralen Frage geht die Studie zur Digitalisierung des Einkaufs in der Chemie- und Pharmaindustrie nach.
Die Ergebnisse sind ein Weckruf: Trotz der offensichtlichen Relevanz und Chancen, die die Digitalisierung bietet, hinkt die Industrie anderen Branchen hinterher. Dies ist alarmierend, denn in einer Zeit, in der Kosteneffizienz und Agilität über den Markterfolg entscheiden, kann ein Zurückbleiben im digitalen Wandel fatale Folgen haben.
Die Studie spiegelt das Ausmaß wider, in dem Unternehmen die Potenziale von Procurement 4.0 bereits nutzen und ob digitale Kompetenzen dafür entwickelt wurden. Insgesamt haben 74 Unternehmen verschiedener Subbranchen teilgenommen, bspw. Spezialchemikalien, Polymere, anorganische Grundchemikalien oder Pharmazeutika. Die Antworten wurden hinsichtlich fünf Schlüsseldimensionen (und 18 Unterthemen) betrachtet und ein Reifegrad ermittelt (Grafik).
Insgesamt betrachtet sind Großunternehmen auf dem Weg zu Procurement 4.0 weiter fortgeschritten als kleinere. Stärken bestehen tendenziell in der digitalen Beschaffungsstrategie & -zielen sowie in operativen Einkaufsprozessen. Dahingegen weisen die Digitalisierung strategischer Einkaufsprozesse sowie die Vernetzung & Datenverfügbarkeit Aufholbedarf auf. Digitale Kompetenzen liegen unabhängig von der Unternehmensgröße auf einem mittleren Niveau.
Digitale Einkaufsstrategie & -ziele
Bei der ersten Dimension zeigt sich mit einem Reifegrad von 53 % ein gemischtes Bild. Während bei Unternehmen mit einem Einkaufsvolumen von über 200 Mio. € meist eine Strategie, Ziele und Roadmap vorliegen, zeigen kleinere Unternehmen Schwächen. Insbesondere mangelt es an klaren Zielen und einer ausgereiften Roadmap. Doch um Ressourcen effizient zu nutzen und den Fortschritt sicherzustellen, brauchen Unternehmen eine Richtung und einen klaren Fokus.
„Beim Einsatz von Ausschreibungs- und Auktionstools verzeichnen größere Unternehmen einen Vorsprung.“
Digitale operative Prozesse
Die Digitalisierung operativer Einkaufsprozesse zeigt mit 52 % Reifegrad (noch immer) Verbesserungspotenzial, obwohl hier die Digitalisierung am weitesten ausgeprägt ist. Während der Einsatz von E-Katalogen recht weit verbreitet ist, besteht bei der Automatisierung operativer Prozesse erhebliche Zurückhaltung. Größere Unternehmen mit einem Einkaufsvolumen (EKV) von über 1 Mrd. EUR sind zwar am weitesten entwickelt in diesem Bereich, aber auch sie können bei der automatischen Bedarfsplanung und Bestellung optimieren. Künstliche Intelligenz (KI) könnte hier Abhilfe schaffen, indem sie die Automatisierung von Bestellprozessen durch intelligente Algorithmen vorantreibt, so die Effizienz steigert und Kosten reduziert. Zeitfressende Tätigkeiten können eliminiert werden, um wertvolle Ressourcen für wichtige strategische Aufgaben freizusetzen.
Digitale strategische Prozesse
Die strategischen Einkaufsprozesse sind mit einem Digitalisierungsgrad von 39 % noch nicht weit fortgeschritten. Beim Einsatz von Ausschreibungs- und Auktionstools verzeichnen größere Unternehmen einen Vorsprung, Datenplattformen zum Austausch von Bestands- & Bedarfsdaten entlang der Lieferkette hingegen werden kaum eingesetzt. Big Data Analytics wird von kleinen Unternehmen nur selten genutzt, Blockchain, unabhängig von der Unternehmensgröße, noch weniger. Dahingegen werden Nachhaltigkeitstools sehr häufig genutzt, was nicht zuletzt an gesetzlichen Regularien wie dem LkSG, CSRD oder EUDR liegt. Das größte Potenzial liegt in der Nutzung von KI, die bisher noch kaum angewendet wird. Diese könnte aber einen Wendepunkt darstellen, indem sie datengetriebene Entscheidungsprozesse unterstützt und optimiert. Die breite Nutzung wird sicherlich den nächsten Entwicklungssprung im Einkauf darstellen.
Digitale Vernetzung & Datenverfügbarkeit
Insgesamt liegt der Reifegrad der Dimension bei 46 %, wobei insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (EKV < 1 Mrd. EUR) immer noch Schwächen bei der Integration von Lieferanten ausweisen. Dies führt zu Ineffizienzen bspw. bei der Bestellabwicklung, da die digitale Lieferantenanbindung den manuellen Aufwand erheblich reduzieren kann und so wertvolle Ressourcen eingespart werden. Intern sind die Systeme besser vernetzt, wobei das allgemeine Niveau nach wie vor gering ist. Eine weitere prägnante Schwäche besteht hinsichtlich der Datenverfügbarkeit und deren Standardisierung, insbesondere bei kleineren Unternehmen. Datensilos und Insellösungen führen zu Ineffizienzen bei der Datenpflege und erhöhter Fehleranfälligkeit. Ebenso bleibt wertvoller Nutzen aus den Daten auf der Strecke.
„Das größte Potenzial liegt in der Nutzung von KI, die bisher noch kaum angewendet wird.“
Digitale Kompetenzen
Die digitalen Kompetenzen erreichen einen Reifegrad von durchschnittlich 52 %. Unabhängig von der Unternehmensgröße ist das digitale Know-how der Einkäufer nur mittelmäßig – trotzdem werden regelmäßige Schulungen vernachlässigt. Dabei lässt sich feststellen: Je größer das Unternehmen, desto mehr Schulungen werden angeboten. Zur erfolgreichen digitalen Transformation und nachhaltigen Implementierung von Tools und Technologien sollten jedoch auch kleinere Unternehmen dringend ihre Einkäufer schulen, um den Anschluss am Markt nicht zu verpassen.
Kosten auf Platz 1
Hohe Investitionskosten, fehlende Ressourcen und eine komplexe Implementierung werden als die drei größten Herausforderungen der Digitalisierung gesehen. Trotz der Furcht vor hohen Investitionskosten werden Kosteneinsparungen gleichzeitig als größter Vorteil der Digitalisierung betrachtet. Darüber hinaus werden die Fehlerreduktion und Unterstützung bei Nachhaltigkeitszielen als größte Chancen gesehen.
„Die Ergebnisse zeigen den enormen Nachholbedarf.“
Fazit
Die Digitalisierung im Einkauf bringt eine Vielzahl an Chancen und Vorteilen mit sich, die Umsetzung stellt sich jedoch häufig als herausfordernd dar. Die Studie zeigt, dass noch ein Stück Weg zum Procurement 4.0 zu gehen ist.
Insgesamt sind die digitale Beschaffungsstrategie und -ziele sowie operative Einkaufsprozesse zwar am weitesten fortgeschritten, dennoch weit weg von ausgereiftem Procurement 4.0. Insbesondere an der umfangreichen Nutzung digitaler strategischer Einkaufsprozesse sowie der Vernetzung und Datenverfügbarkeit scheitert es. Durch die zögerliche Adaption von KI bleiben nicht nur strategische Optimierungsmöglichkeiten ungenutzt, sondern auch Kosteneinsparungen durch effektivere und effiziente Prozesse.
Die Ergebnisse zeigen den enormen Nachholbedarf. Zwar gibt es einige Herausforderungen zu meistern, doch die Mutigen werden durch Wettbewerbsvorteile belohnt.
Autoren: Gereon Küpper, Partner und Marleen Lewe, Consultant,
Höveler Holzmann Consulting GmbH, Düsseldorf
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