Biopolymere als Chance für die Kunststoffbranche
Gesellschaftlicher Druck und staatliche Regularien machen fossilbasierte Kunststoffe zum Auslaufmodell
Treibhausgasemissionen, Umwelt- und Meeresverschmutzung: Konventionell aus fossilen Rohstoffen hergestellte Kunststoffe, vor allem Plastikverpackungen, haben ein schlechtes Image, trotz aller unübertroffenen Vorteile. Für sehr viele Anwendungen gibt es allerdings eine Alternative: Biopolymere aus nachwachsenden Rohstoffen oder als biologisch abbaubare Varianten machen bisher zwar nur einen kleinen Teil des Gesamtmarkts an Kunststoffen aus, haben aber sehr viel Potenzial – für Klima und Umwelt genauso wie für die Hersteller und Anwender.
Mit jährlich mehr als 370 Mio. t und einem Wert von 600 Mrd. EUR machen Kunststoffe rund 15 % des Weltmarkts für Chemikalien aus. Das Volumen wächst sogar noch: Wir erwarten für die nächste Dekade ein mittleres jährliches Wachstum des globalen Kunststoffmarkts um 3,7 %. Auch in Europa stellen Kunststoffe mit rund 80 Mrd. EUR Marktwert und 50 Mio. t/a einen erheblichen Anteil an den verkauften Chemikalien. Dabei kommen 41 % der Kunststoffe für Verpackungen zum Einsatz, 20 % werden in Form von Baumaterialien genutzt, 9 % in der Automobilbranche, 6 % für Elektrik und Elektronik und 4 % im Bereich Haushalt, Freizeit und Sport. Die restlichen 20% verteilen sich auf eine Vielzahl sonstiger Anwendungen.
Auch die eingesetzten Polymerarten sind vielfältig: Neben einigen wenigen Commodity-Polymeren wie Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid und Polyethylenterephthalat, die zusammen mehr als zwei Drittel des Marktvolumens auf sich vereinen, gibt es eine Vielzahl anderer Polymere wie Polystyrol, Polyamid, Polyacrylat, Polymethylmethacrylat (Plexiglas) und verschiedenste Spezialpolymere.
„Kunststoffe, die sowohl biobasiert als auch bioabbaubar sind, machen derzeit etwa die Hälfte des Marktvolumens von Biopolymeren aus.“
Plastik: Schlechtes Image als Klima- und Ozeankiller
Ohne Kunststoffe wäre ein Großteil unseres heutigen Lebensstandards nicht denkbar. Dennoch sind sie in Verruf geraten, da sie meist aus fossilen Rohstoffen wir Erdöl und Erdgas hergestellt werden, zudem meist kaum biologisch abbaubar sind und somit eine wenig nachhaltige Basis bieten. Ihr CO2-Fußabdruck ist hoch: Im Mittel erzeugt die Herstellung einer Tonne Kunststoff fast 2 t CO2; bei der Verbrennung des Abfalls kommen weitere 2,7 t hinzu. Dazu kommen die riesigen Plastikteppiche, die weltweit in den Meeren zu finden sind und das Image von Kunststoffen und vor allem Verpackungen endgültig ruiniert haben.
Das negative Image erhöht den Druck sowohl auf die Kunststoffhersteller, nachhaltiger zu produzieren, als auch auf die Anwender, grünere Materialien zu nutzen. Deshalb engagieren sich immer mehr Firmen in Initiativen wie der Natural Bottle Alliance und bekennen sich zu verbesserten Carbon- Footprint-Zielen. Beispielhaft genannt seien hier Coca-Cola, Nestlé und Danone, die angekündigt haben, bis 2025 zu 100 % rezyklierte oder wiederverwertbare Verpackungen zu verwenden. Dazu kommen regulatorische Vorgaben: So gelten in Europa inzwischen Recyclingquoten, und bestimmte (Verpackungs-)Produkte wurden verboten (Single-use Plastic Ban). Kunststoffproduzenten sind gefordert, immer höhere Anteile der Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen zu beschaffen und den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte in Richtung Net Zero zu entwickeln.
„Kunststoffproduzenten sind gefordert, immer höhere Anteile der Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen zu beschaffen.“
Biopolymere mit viel Potenzial
Einen möglichen Ausweg aus dieser Misere der herkömmlichen Kunststoffe bieten Biopolymere. Zwar liegt ihr Anteil am Kunststoffmarkt derzeit mit 2,8 Mio. t noch bei unter 1 %, doch sie haben ein erhebliches Potenzial, vor allem wenn sie kostentechnisch mit den konventionellen Produkten konkurrenzfähig werden. Wir unterscheiden zwei grundlegende Typen von Biopolymeren: zum einen biobasierte, zum anderen bioabbaubare Polymere. Biobasierte Polymere werden aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, z. B. Polyethylen aus Bioethanol via Ethylen. Bioabbaubare Polymere lösen sich in der Natur in harmlose Stoffe auf, z. B. Polybutylenadipat-terephthalat (PBAT), das als Ersatzstoff für PE in Verpackungen oder Mulchfolien verwendet werden kann.
Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es optimal, wenn biobasiert und bioabbaubar zusammenkommen (biodegradable bioplastics, vgl. Grafik): Denn neben der Senkung des CO2-Fußabdrucks von Kunststoffprodukten durch den Ersatz fossiler durch biologische Rohstoffe, ist das zweite Ziel, dass Kunststoffe am Ende ihrer Lebensdauer möglichst schnell und ohne Auswirkungen auf Mensch und Natur biologisch abbaubar sind (noch besser wäre eine vollständige Kreislaufwirtschaft mit 100 % Recycling, aber das wird nicht immer funktionieren).
Kunststoffe, die sowohl biobasiert als auch bioabbaubar sind, machen derzeit etwa die Hälfte des Marktvolumens von Biopolymeren aus: Mit etwa 27 % hat Celluloseacetat den größten Marktanteil, gefolgt von PLA (Polylactic acid, Polymilchsäure) mit 13 % – wobei hier noch Verbesserungsbedarf besteht, da PLA nur unter industriellen Bedingungen bioabbaubar ist – und Stärkepolymeren mit 12,5 %. Weitere 25 % des Marktvolumens gehen an teilweise biobasierte Polymere, bei denen ein Baustein biobasiert ist und der andere bisher noch fossil hergestellt wird. Dazu gehören Bio-Polyurethane (11 % Marktanteil) sowie Bio-PET (Polyethylenterephthalat) und Bio-PTT (Polytrimethylenterephthalat) (jeweils ca. 6 %). Bio-PE gehört zur Gruppe der biobasierten, aber nicht bioabbaubaren Polymere. Es ist vollständig recycelbar, sein Marktanteil von derzeit 7 % wird zukünftig sicher stark steigen. Zu den fossilbasierten, aber biologisch abbaubaren Polymeren gehören PBAT (knapp 10 %) und PVA (Polyvinylacetat, knapp 2 %).
„Derzeit befinden sich 26 % der weltweiten Produktionskapazitäten für Biokunststoffe in Europa.“
Biopolymer-Plattformen
Die meistverwendeten Rohstoffe für biobasierte Polymere sind Stärke, Zucker und Cellulose. Celluloseacetat ist derzeit das wichtigste Biopolymer, wegen seiner geringen Löslichkeit und der begrenzten Eignung für Filme und Textilfasern ist es als Plattform allerdings weniger attraktiv. Vielversprechender sind Bio-Milchsäure, Bio-Ethylen und Bio-PET. Milchsäure auf Basis von Maisstärke oder Zuckerrohr kann zu PLA polymerisiert werden, einem der wichtigsten Biopolymere für Verpackungen. Es kann Kunststoffe wie PE oder PP ersetzen, ist bioabbaubar und kann für Getränkeflaschen oder Verpackungen für Milchprodukte genutzt werden. Sein CO2-Fußabdruck liegt bei nur CO2 pro Tonne PLA und damit rund 75 % unter dem der meisten herkömmlichen Kunststoffe. Eine Variante von PLA mit viel Potenzial ist PHA (Polyhydroxyalkanoat), dessen Rohstoffbasis von pflanzlichen Ölen bis zu Zucker reicht. Es ist nicht toxisch, biologisch abbaubar und eignet sich gut für Lebensmittelverpackungen.
Bio-Ethylen ist interessant, weil es die gleichen Eigenschaften wie fossilbasiertes Ethylen hat. Sein Rohstoff Ethanol lässt sich aus Zuckerrohr oder Stärke erzeugen (Generation 1), aber auch aus Holzabfällen (Generation 2, Vermeidung von Nahrungsmittelkonkurrenz). Es ist für verschiedene Polymere einsetzbar, vor allem Bio-PE, aber auch für komplexere Polymere wie PVA oder PEVA (Polyethylenvinylacetat). Produkte aus Bio-PE sind vollständig recycelbar und ihr CO2-Fußabdruck ist mit rund CO2pro Tonne Material erheblich niedriger als der von fossil erzeugtem PE (6 t) oder Recycling-PE (3,5 t).
Bio-PET, einer der meistgenutzten Kunststoffe für Flaschen und Verpackungen, wurde bisher meist über die Komponente Monoethylenglycol (MEG) teilbiobasiert hergestellt. Da inzwischen auch Terephthalsäure biobasiert erzeugt werden kann, geht der Trend zunehmend zu vollständig biobasiertem PET. Entsprechend sinkt der CO2-Ausstoß deutlich, je nach Rohstoff und Produktionsroute auf etwa 0,5 t bis 1 t pro Tonne Bio-PET (fossilbasiertes PET: 3,9 t).
Insgesamt unterscheiden sich die CO2-Fußabdrücke der verschiedenen biobasierten Polymere erheblich, ähnlich wie bei den fossilbasierten Polymeren. Hier gilt es, je nach Anwendungsfall und gewünschten Eigenschaften jeweils das Optimum zu finden, wobei auch vor- und nachgelagerte Produktions-, Verarbeitungs- und Entsorgungsschritte zu berücksichtigen sind, z. B. der Einsatz von Düngemitteln beim Anbau sowie Emissionen beim Transport der Rohstoffe und Produkte.
Jetzt die Chancen der Zukunft ergreifen
Derzeit befinden sich 26 % der weltweiten Produktionskapazitäten für Biokunststoffe in Europa. Bis 2024 erwarten wir einen Anstieg auf 31 %, gleichzeitig wächst die Nachfrage. Insgesamt also positive Aussichten für Produzenten und Anwender von Biopolymeren. Um diese Chancen nutzen und nachhaltig wachsen zu können, muss die Branche allerdings eine Reihe von Herausforderungen meistern und möglichst schnell eine mittel- bis langfristige Strategie entwickeln. So gilt es zunächst, zu ermitteln, welche Polymere besonders kritisch sind, vor allem im Bereich Verpackungen, und weitere konventionelle Materialien auf biobasierte Rohstoffe umzustellen. Dabei sollte der Fokus vor allem auf den benötigten Monomeren liegen: Sie müssen ausreichend verfügbar sein, sollten nicht mit der Nahrungsmittelherstellung konkurrieren (z. B. Generation-2-Ethanol aus Holzabfällen) und müssen zudem preislich attraktiv sein.
Zudem sollten Hersteller und Weiterverarbeiter aber auch neue biobasierte Polymere und Produkte entwickeln, die idealerweise bessere Eigenschaften als konventionelle Polymere haben: leichter, stabiler, besser wärmedämmend, besser biologisch abbaubar oder recycelbar, besser als Monoprodukte verwendbar (Alternative zu Kompositen) usw. Zudem gibt es auch in der Produktion Optimierungsmöglichkeiten, etwa indem CO2 industriell verarbeitet wird, um Emissionen zu vermeiden und den Kohlenstoff sicher im Kreislauf zu halten (z. B. Ethylen aus Umsetzung von CO2 mit Methanol aus grünem Wasserstoff). Grundsätzlich ist auch in jedem Anwendungsfall zu bewerten, ob biobasierte Rohstoffe oder bessere Recyclingmöglichkeiten (Stichwort Kreislaufwirtschaft) vorteilhafter sind – immer gemessen am übergeordneten gesamthaften Ziel, den Carbon Footprint zu optimieren und den Eintrag von nicht abbaubaren Kunststoffen in die Umwelt und die Ozeane zu vermeiden.
Sébastien David, Senior Partner, Advancy, Paris, und
Gunter Lipowsky, Geschäftsführer, Advancy GmbH, Frankfurt am Main
Gunter Lipowsky ist der Geschäftsführer von Advancy in Deutschland und leitet die Chemicals & Life Sciences-Projekte für die DACH-Region. Nach seiner Promotion in Chemie sammelte er zwölf Jahre Erfahrung in der Industrie, erst bei BASF, dann bei Clariant in verschiedenen technischen und kommerziellen Positionen. Nach fünf Jahren in der Strategieberatung führt er nun das Frankfurter Büro von Advancy.
Sébastien David ist einer der Mitbegründer von Advancy. Er hat einen technischen Hintergrund mit Abschluss an der Ecole des Mines, Paris, und lernte das Beraterhandwerk bei A.T. Kearney. Heute ist er Senior Partner bei Advancy und leitet das globale Team für Chemicals & Life Sciences sowie die Private Equity Practice. Zudem ist er als Professor an der Ecole des Mines tätig.