Biokunststoffe: Trendthema oder nachhaltiges Geschäft?
Eine aktuelle Untersuchung zum Geschäftsmodell „Biokunststoffe“
Eine aktuelle Untersuchung von Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) stellt das Geschäftsmodell „Biokunststoffe" auf den Prüfstand. Die genaue Analyse der Kernelemente Markt- und Wettbewerbsumfeld, Wertschöpfungsstrukturen und Differenzierungsfaktoren zeigt: Um überhaupt ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Geschäftsmodell für Biokunststoffe zu entwickeln, darf „Bio" nicht das einzige Kaufargument bleiben - vielmehr geht es um die überzeugende Performance dieser Polymerklasse im „Wettbewerb der Materialien". Standard- und Biokunststoff-Hersteller müssen deshalb künftig kooperieren, um spezifische Vorteile der Kunststoffe synergetisch zu nutzen.
Markt- und Wettbewerbsperspektive
Es gibt keine eindeutig formulierte Klasse der Biokunststoffe. Vielmehr haben sich in den letzten Jahren viele Kunststoffe in ihrer Bezeichnung zu Biokunststoffen „hinentwickelt". Die ursprüngliche Zielsetzung von Biokunststoffen war deren biologische Abbaubarkeit und damit ökologisch unbedenkliche Entsorgung. Hieraus entstammen Polymere beispielsweise aus Stärke und Milchsäure (PLA). Erst aus der Verknappung der Ölreserven als Bedrohungspotenzial für die petrochemische Grundstoffchemie resultierten Ansätze, Standardkunststoffe wie PE oder PET aus nachwachsenden, überwiegend pflanzlichen Quellen als alternative Rohstoffplattform aufzubauen.
Die beiden Kategorien unterscheiden sich grundlegend in ihrer Markt- und Wettbewerbsperspektive: PE und PET aus nachwachsenden Rohstoffen sind nahezu universell zur gleichen Polymersorte mit fossiler Rohstoffbasis austauschbar. Entsprechend werden diese Polymere als „Bio-Alternative" von Standard-Kunststoffherstellern angeboten, um insbesondere im Konsumgüterbereich eine ökologisch gut vermarktbare Alternative zu bieten. Biologisch abbaubare Polymere werden dagegen von Unternehmen hergestellt, die von der rohstofflichen Schiene kommen und daraus den Einstieg in die Polymerherstellung vorangetrieben haben.Im Jahr 2012 betrug die globale Produktionskapazität von Biopolymeren ca. 1,4 Mio. t. Hiervon entfielen 57 % auf biobasierte Polymere sowie 43 % auf biologisch abbaubare Biokunststoffe. Bio-PET hat sich laut des Institute for Bioplastics and Biocomposites mit einem Anteil von fast 40 % zum „Massenkunststoff" unter den Biopolymeren entwickelt.
Geht es bei den bio-basierten Standardkunststoffen um den Wettbewerb zwischen „bio" oder „konventionell" beim gleichen Lieferanten, stellt sich bei der Verwendungsentscheidung von biologisch abbaubaren Polymeren die „Systemfrage": Der Wechsel zum Biokunststoff bedeutet den Wechsel zu einer neuen Klasse von Lieferanten, deren Werkstoffe keine drop-in-Lösungen erlauben, sondern eine bewusste Entwicklung eines Alternativsystems erfordern. Der schnelle Wechsel, wenn die Nachfrage nicht ausreicht oder die Rohstoffkosten sich verändern, ist nicht möglich.
Aufgrund der in beiden Fällen deutlich höheren Kosten - derzeit und wohl zukünftig - in der Herstellung beschränkt sich der Einsatz auf kurzlebige Produkte. Insbesondere im Verpackungsbereich für Consumer-Produkte erhoffen sich Unternehmen aus dem Einsatz von Biomaterialien einen Marketingvorteil. Am bekanntesten ist das Beispiel der „Plant Bottle" von Coca-Cola, die aus mindestens 30 % Bio-PET hergestellt wird. Die Anwendungsbeispiele für biologisch abbaubare Polymere hingegen sind nicht so prominent - man findet sie beispielsweise in Joghurtbechern, als kompostierbare Mülltüten oder in Form von Loose-Fill-Verpackungschips.
Die Perspektiven für biologisch abbaubare Produkte sind deutlich bescheidener: Zum einen fehlt der Marktdruck seitens der Anbieter, die gegen die Petrochemie-Konzerne vermarktungsseitig auf verlorenem Posten sind. Somit setzen sie auf steigendes Umweltbewusstsein der Verbraucher und hoffen, dass Regionen wie China zunehmend gezwungen sind, in alternative Rohstoffe einzusteigen.
Zum anderen unterscheidet sich die Wechselbarriere aber auch die Performance im Vergleich zur konventionellen Alternative: Bei Standardkunststoffen wird sich letztlich - vorbehaltlich staatlicher Regulierungseingriffe - ein Gleichgewicht zwischen beiden Rohstoffquellen einstellen, das Angebot und Nachfrage und damit die unterschiedlichen Kostenstrukturen berücksichtigt. Auf Grund der Schätzungen zur Entwicklung des Bio-Anteils (bio-basiert und biologisch abbaubar) am Polymerverbrauch - geht W&P davon aus, dass der Anteil von Biokunststoffen bis zum Jahr 2025 auf maximal 5 % des Polymerbedarfs steigen wird.
Wertschöpfung
Gerade biologisch abbaubare Kunststoffe vermarkten derzeit praktisch ausschließlich Newcomer der letzten Jahre. Zählt Nature Works als größter Hersteller biologisch abbaubarer Kunststoffe mit der Gründung in 1996 zu den erfahrenen Playern, tun sich gerade kleinere, junge Unternehmen schwer, den break even zu schaffen. Denn am Ende muss auch diese Produktfamilie für die Hersteller profitabel sein. Nachholbedarf besteht insbesondere bei der Prozessoptimierung, Vermarktungskonzepten und der Erschließung von Rohstoffquellen
Dies eröffnet Potenzial für Konsolidierungen innerhalb der Hersteller von biologisch abbaubaren Polymeren und für Übernahmen durch Petrochemie- oder auch Konsumgüterhersteller. Die einen erhalten sich so den Zugang zu einer neuen Produktschiene, die anderen sichern sich den Zugriff auf einen wichtigen Verpackungsrohstoff.
Welche Differenzierungsansätze bieten Biokunststoffe?
Gerade Produktklassen wie PLA oder stärkebasierte Polymere weisen erhebliche Performancedefizite auf. Ihr Vorteil der Abbaubarkeit nach Verwendung ist zugleich ihr größtes Handicap während der Nutzungsphase. Die Limitationen u. a. in der thermischen Belastbarkeit schränken ihre Nutzung auf kurzlebige Verpackungsmittel ein. Derzeit ist nicht erkennbar, dass über reine Biopolymere die Kluft zu Standard-Polymeren geschlossen werden kann.
Auch die Kostenseite verspricht wenig Abhilfe: In Zeiten des Shale-Gas-Booms mit eher sinkenden Preisen für C2-basierten Polymere tun sich Biopolymere schwer, wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben. Derzeit übertreffen die Herstellkosten für Biokunststoffe diejenigen konventioneller Polymere teilweise um Faktor 2. Auch wenn langfristig zu erwarten ist, dass die Schere hinsichtlich Kostennachteilen zusammengeht und Polymere auf C3-Basis auch heute bereits von der Sondersituation Shale-Gas abgekoppelt sind, ist auf absehbare Zeit der Herstellkostennachteil von Biopolymeren - biologisch abbaubar oder nicht - hinzunehmen.
Was bleibt übrig? Klar ist, dass das „Öko-Label" als einziges Vermarktungskriterium auf Dauer zu wenig ist. Waren bisher zumindest die biologisch abbaubaren Produkte hinsichtlich ihrer ökologischen Bewertung unstrittig, zeigen Untersuchungen wie zuletzt vom Umweltbundesamt, dass auch hier Energiebedarf und CO2-Footprint keine eindeutigen Vorteile aufweisen.
Fazit: Nur Kooperation erhöht Marktrelevanz von Bio-Kunststoffen
Auch wenn die prozentualen Wachstumsraten für biologisch abbaubare Kunststoffe beeindrucken - absolut haben sie praktisch keine Marktbedeutung. Die Hersteller dieser Gattung von Kunststoffen sind oft Newcomer und kämpfen mit den großen Playern um etablierte Anwendungen. Entsprechend schwierig ist es derzeit, mit Biopolymeren profitabel zu sein.
Das Konkurrenzdenken sollte der Vergangenheit angehören, denn das Potenzial für Biokunststoffe in typischen Anwendungen für Standard-Kunststoffe ist begrenzt und stellt so keine wirkliche Bedrohung dar. Die Lösung liegt in der Kooperation: Biokunststoffe weisen derzeit noch erhebliche Nachteile in den technischen Eigenschaften auf, die systemimmanent in der Monomer-Grundstruktur begründet sind. Biokunststoffe können auch nicht die Lösung für Entsorgungsprobleme der Kunststoffabfälle sein. Hier sind Anstrengungen, die Sammel- und damit Recyclingquote gerade im Consumer-Bereich weiter zu erhöhen, die derzeit geeignet erscheinenden Instrumente.
Klar ist: Nur die intelligente Verlinkung beider „Welten" schafft einen Ausweg aus dem Dilemma der Biokunststoffhersteller und -verarbeiter. Das „sich Lösen" vom „Bio-Gedanken" als Treiber hin zur Frage, ob nicht die natürlich zur Verfügung stehenden Monomereinheiten eine gute Ergänzung zu den fossilen Baukasten darstellen, ist die Basis der Zukunftsfähigkeit der Branche. Die Kombination über Copolymere oder Blends könnte neue Produkteigenschaften und Einsatzgebiete ermöglichen, die zwar nicht mehr in eine 100%-Abbaubarkeit münden, aber über ihren Anteil nachwachsender Rohstoffe einen Beitrag zur Verringerung des Bedarfs fossiler Rohstoffe leisten.
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Dr. Wieselhuber & Partner Unternehmensberatung GmbH
München