Bayer verordnet sich Schlankheitskur
Einschneidende Maßnahmen inklusive Stellenabbau, auch Führungskräfte betroffen, keine betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2026
Bayer hat damit begonnen, weltweit ein neuartiges Organisationsmodell namens „Dynamic Shared Ownership“ (DSO) einzuführen, das Hierarchien abbauen, Bürokratie beseitigen, Strukturen verschlanken und Entscheidungsprozesse beschleunigen soll. Ziel des neuen Modells ist es, das Unternehmen insgesamt deutlich agiler zu machen und seine operative Performance erheblich zu steigern. In einer Gemeinsamen Erklärung haben sich der Vorstand und die Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat auf Grundsätze für die Zukunft des Unternehmens verständigt. Dazu gehören auch Regelungen für den im Zuge der Restrukturierung zu erwartenden erheblichen Personalabbau in den Konzerngesellschaften in Deutschland.
„Bayer befindet sich derzeit aus unterschiedlichen Gründen in einer schwierigen Lage. Um die Leistungsfähigkeit unserer Organisation und unseren Handlungsspielraum schnell und nachhaltig zu verbessern, sind jetzt einschneidende Maßnahmen notwendig. Wir wollen Bayer zügig wieder in die Erfolgsspur bringen“, erklärt Heike Prinz, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin von Bayer. „Um diese herausfordernde Situation bewältigen zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmensführung und Arbeitnehmervertretung an einem Strang ziehen und sich über die für die Zukunft des Unternehmens notwendigen Schritte einig sind, wie es die Gemeinsame Erklärung ausdrückt. Nur wenn wir jetzt gemeinsam und entschlossen handeln, können wir alle internen Hemmnisse beseitigen und Bayer so wieder für zukünftiges profitables Wachstum aufstellen.“
„Als Arbeitnehmervertretung setzen wir uns energisch für den Fortbestand des Konzerns mit allen seinen drei Divisionen ein. Wir sehen mit dem neuen Betriebsmodell eine große Chance, unsere wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern. In der angespannten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens reichen die bereits laufenden Programme und Maßnahmen jedoch nicht aus, weshalb wir schweren Herzens weiteren Einschnitten zugestimmt haben“, sagt Heike Hausfeld, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Bayer. „In den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ist es uns aber gelungen, den bevorstehenden Stellenabbau im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten so sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Außerdem konnten wir durchsetzen, dass die allgemeine Beschäftigungssicherung um ein weiteres Jahr bis Ende 2026 verlängert wird“, betont Hausfeld.
„Unser neues Betriebsmodell soll Bayer schneller und innovativer machen. Seine Einführung wird jedoch zu Lasten vieler Führungskräfte gehen“, erklärt Barbara Gansewendt, Vorsitzende des Konzernsprecherausschusses, der die Interessen der Leitenden Angestellten vertritt. „Das ist für uns eine überaus bittere Entwicklung, zu der es unter den gegebenen Voraussetzungen aber keine gangbare Alternative gibt. Wir haben allerdings erreicht, dass Beschäftigte, deren Stelle im neuen System wegfällt, neben einer attraktiven Abfindung zu marktgerechten Konditionen bei Bedarf auch die nötige Unterstützung und Zeit für die persönliche Orientierung erhalten werden, um möglichst rasch wieder eine neue Beschäftigung zu finden.“
„Für uns hat oberste Priorität, die Zukunft der Beschäftigten bei Bayer zu sichern. Die größten Möglichkeiten dafür sehen wir in der bestehenden ONE-Bayer-Struktur. Deshalb haben wir dem jetzt eingeschlagenen Weg zugestimmt und stehen dem neuen Organisationsmodell offen gegenüber“, sagt Francesco Grioli, Mitglied des Aufsichtsrats und des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG Bergbau, Chemie, Energie. „Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird sich vieles verändern. Wir werden gemeinsam daran arbeiten, dass alle sicher neue Pfade beschreiten können.“
Der Stellenabbau soll in den kommenden Monaten zügig umgesetzt werden und spätestens Ende 2025 abgeschlossen sein. Er soll gemäß den Prinzipien von DSO weitgehend dezentral erfolgen, so dass sich sein Umfang vorerst nicht beziffern lässt. Da mit DSO Hierarchien und komplexe Strukturen im Unternehmen abgebaut werden sollen, werden vom Stellenabbau auch Beschäftigte mit Führungs- oder Koordinationsaufgaben betroffen sein. Bayer beschäftigt in Deutschland derzeit rund 22.200 Mitarbeiter.
Regelungen für den Stellenabbau in Deutschland
In den deutschen Konzerngesellschaften bietet Bayer den Beschäftigten, wie bei früheren Restrukturierungsmaßnahmen, nach Lebensalter gestaffelte Aufhebungsverträge an. Das Unternehmen bietet Mitarbeitern, deren Stelle entfällt, zudem eine bis zu sechsmonatige Bedenkzeit an, in der sie durch zielgerichtete Angebote zur Positionierung und externen Vermittlung dabei unterstützt werden, rasch eine ihren Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechende neue Beschäftigung außerhalb des Konzerns zu finden. Bei Bedarf können betroffene Beschäftigte außerdem bis zu zwölf Monate lang individuelle Qualifizierungsmaßnahmen für den externen Arbeitsmarkt erhalten. Eine „Future Skills Akademie“ soll zudem zukunftsrelevante Fähigkeiten identifizieren und die Mitarbeiter bei deren Erwerb unterstützen.
Um den vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes betroffenen Beschäftigten die nötige Zeit und Sicherheit für die externe Neuorientierung und Qualifizierung zu geben, verlängern die Betriebsparteien die Beschäftigungssicherung mit dem Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis zum 30. Dezember 2026. Das bietet auch den vom Entfall ihres Arbeitsplatzes betroffenen Beschäftigten mehr Zeit und Sicherheit für Neuorientierung und Qualifizierung. Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, deren Stelle entfallen ist und die das Unternehmen bis Ende 2026 nicht verlassen haben, werden zum 31. Dezember 2026 notfalls betriebsbedingt gekündigt. „Dass die Beschäftigungssicherung nur um ein Jahr verlängert wird, macht deutlich, dass wir uns in einer außergewöhnlich ernsten Lage befinden. Die seit 27 Jahren eher theoretische Gefahr von betriebsbedingten Kündigungen am Ende einer Beschäftigungssicherungsvereinbarung ist damit zu einer realen Option geworden. Das zu akzeptieren ist uns trotz der schwierigen Situation äußerst schwergefallen. Wir sind uns aber mit dem Arbeitgeber einig, dass betriebsbedingte Kündigungen auch künftig nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollen“, erklärt Hausfeld.
Zukunftskonzept für Deutschland bestätigt
Die gemeinsame Erklärung enthält darüber hinaus einige für den Unternehmensstandort Deutschland und seine Beschäftigten bedeutsame Zusagen. So bekräftigen die Betriebsparteien das im März 2022 verabschiedete Zukunftskonzept, mit dem Bayer in Deutschland strategisch weiterentwickelt und die dortigen Unternehmensteile zukunftsorientiert ausgerichtet werden sollen. Bayer beabsichtigt überdies, die in Deutschland angesiedelten Unternehmenszentralen gemäß DSO weiterzuentwickeln. Die Betriebsparteien vereinbaren zudem, die betriebliche Altersversorgung bei Bayer zu verbessern und die bereits eingeleitete Rückführung der beruflichen Erstausbildung von externen Dienstleistern ins Unternehmen wie geplant bis Ende 2024 abzuschließen.
Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Insider berichtet, rückt Bayer aber "von der Idee einer möglichen Zerschlagung des Konzerns ab und trotzt damit jenen Investoren, die eine Radikalkur empfehlen, um dem Leverkusener Konzern nach dem Monsanto-Abenteuer wieder auf die Beine zu helfen." Laut Bloomberg seien "Vorstandschef Bill Anderson und andere leitende Manager skeptisch, dass dieses Jahr der richtige Zeitpunkt für eine weitreichende Änderung der Konzernstruktur ist."