Bayer einigt sich mit Glyphosat-Klägern
Zur Beilegung der Verfahren sowie für mögliche künftige Fälle wird man insgesamt 10,1 Mrd. bis 10,9 Mrd. USD zahlen
Dies teilte Bayer am Mittwoch mit. Im Mittelpunkt steht die Lösung im Verfahrenskomplex zu Roundup, die etwa 75% der aktuellen Roundup™-Verfahren zum Abschluss bringen wird – mit insgesamt etwa 125.000 eingereichten und nicht eingereichten Klagen. Die beigelegten Ansprüche umfassen sämtliche Klägeranwaltskanzleien, welche die Roundup™-Multi-District-Litigation auf Bundesebene oder die Bellwether-Fälle in Kalifornien führend betreiben, und diejenigen, die etwa 95% der Fälle repräsentieren, für die derzeit eine Verhandlung angesetzt ist. Außerdem begründen sie wichtige Werte und Parameter als Leitlinien für die Beilegung der übrigen Klagen, für welche die Verhandlungen voranschreiten. Durch die Einigung wird auch ein Mechanismus zur effizienten Beilegung möglicher künftiger Klagen eingerichtet. Das Unternehmen wird 8,8 Mrd. bis 9,6 Mrd. USD zahlen, um die aktuellen Roundup-Fälle beizulegen. Darin enthalten ist eine Pauschale, mit der Ansprüche abgedeckt werden sollen, die noch nicht beigelegt sind. Hinzu kommen 1,25 Mrd. USD, um eine separate Vereinbarung für potenzielle künftige Klagen zu ermöglichen. Die Vereinbarung mit der Gruppe möglicher künftiger Kläger bedarf noch der Zustimmung von Richter Vince Chhabria des U.S. District Court for the Northern District of California. Die Vereinbarungen wurden von Vorstand und Aufsichtsrat der Bayer unter Mitwirkung des eigens dafür eingerichteten Ausschusses zum Glyphosat-Rechtskomplex einstimmig genehmigt. Sie enthalten keinerlei Eingeständnis einer Schuld oder eines Fehlverhaltens.
„Der Roundup-Vergleich ist für Bayer der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt, um eine lange Periode der Unsicherheit zu einem Ende zu bringen“, sagte der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann. „Er legt die meisten aktuellen Klagen bei und etabliert einen klaren Mechanismus, um die Risiken möglicher künftiger Verfahren zu adressieren. Und er ist wirtschaftlich sinnvoll – verglichen mit den erheblichen finanziellen Risiken eines fortgesetzten langjährigen Rechtsstreits sowie den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf unsere Reputation und unser Geschäft. Durch die Entscheidung, den Roundup-Verfahrenskomplex beizulegen, können wir uns voll und ganz auf die dringend benötigte Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung konzentrieren. Auch wird der Vergleich dazu beitragen, dass der Diskurs über die Sicherheit und den Nutzen glyphosatbasierter Herbizide wieder im wissenschaftlichen und regulatorischen Bereich und auf Grundlage des umfassenden Forschungsstands stattfindet.“
„Die Roundup-Vereinbarungen sind so strukturiert, dass sie eine konstruktive und vernünftige Lösung für einen besonderen Rechtsstreit ermöglichen“, sagte Kenneth R. Feinberg, der vom Gericht ernannte Mediator in den Vergleichsverhandlungen. „Die verschiedenen, voneinander unabhängigen Vergleiche der aktuellen Ansprüche sind einzigartig und sprechen für Bayer. Der bisher erreichte erhebliche Fortschritt – der die anfänglichen Beteiligungsraten anderer Verfahren zur Beilegung von Klagen übertrifft – bildet einen robusten Rahmen, der es den Parteien ermöglicht, den Roundup™-Verfahrenskomplex in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.“
Beilegung der Roundup-Verfahren
Die mehrstufige Vereinbarung zu Roundup umfasst mehrere Elemente. Die Vereinbarungen werden die große Mehrheit der aktuellen Fälle an Bundes- und bundesstaatlichen Gerichten in den USA beilegen – einschließlich der Kläger, die ihre Klagen schon eingereicht haben, und der Parteien, die bereits einen Rechtsbeistand beauftragt, aber noch keine Klage bei Gericht eingereicht haben. Diejenigen, die sich an dem Vergleich beteiligen, werden dazu verpflichtet, ihre Klagen zurückzuziehen bzw. nicht einzureichen. Die Bandbreite von 8,8 Mrd. bis 9,6 Mrd. USD deckt sowohl die bereits unterzeichneten Vereinbarungen ab als auch diejenigen, die noch verhandelt werden. Außerdem spiegelt sie die Tatsache wider, dass die Zahl der Anspruchsteller, die diesen Vereinbarungen zufolge für eine Entschädigung infrage kommen, erst dann feststeht, wenn die Klärung der Ansprüche weit fortgeschritten ist. Bei den Ansprüchen, über die noch verhandelt wird, geht es größtenteils um Fälle, die auf TV-Werbung zurückzuführen sind und in denen Klägerkanzleien wenige oder gar keine Informationen zum medizinischen Zustand ihrer Mandanten zur Verfügung gestellt haben, und/oder um Fälle, bei denen Kanzleien involviert sind, die nur einen kleinen Bestand haben.
Die drei Fälle, die vor Gericht verhandelt wurden – Johnson, Hardeman und Pilliod – werden weiter die Berufungsverfahren durchlaufen und sind nicht Teil des Vergleichs. Der weitere Prozessverlauf ist für das Unternehmen wichtig, weil die Berufungsverfahren rechtlich eine Orientierung für mögliche künftige Verfahren geben werden. In einer Stellungnahme gegenüber dem Berufungsgericht stützte die US-Regierung im Verfahrenskomplex zu Roundup konkret die Argumentation des Unternehmens und machte dabei geltend, dass Forderungen nach Warnhinweisen auf bundesstaatlicher Ebene abgewiesen werden müssen, weil sie unvereinbar mit US-Bundesrecht sind, das keine Warnung vor Krebsgefahr erfordert. Erst diese Woche hat ein Bundesrichter in Kalifornien befunden, dass die umfassende wissenschaftliche Datenlage die Forderung des Bundesstaates nach einer Krebswarnung für glyphosatbasierte Herbizide nicht stützt. Dieses Urteil untermauert exakt die Argumente, die das Unternehmen vor Gericht vorgebracht hat.
Mögliche künftige Fälle werden durch eine Vereinbarung geregelt, welche die Zustimmung des Gerichts benötigt. Im Rahmen der Vereinbarung wird unter anderem eine Gruppe möglicher künftiger Kläger eingerichtet sowie ein unabhängiges Wissenschaftsgremium (Class Science Panel) gebildet. Das Gremium wird entscheiden, ob Roundup das Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) verursachen kann, und falls ja, welche Expositionsniveaus hierfür mindestens erreicht sein müssen. Die von dem Gremium berücksichtigten Materialien, die Bayer offenlegen darf oder bereits öffentlich zugänglich sind, werden auf einer Website online gestellt. Sowohl die Gruppe möglicher künftiger Kläger als auch das Unternehmen werden an die Entscheidung des Gremiums zur Frage der generellen Kausalität gebunden sein. Dadurch wird diese Entscheidung anstelle von Jury-Verfahren wieder in die Hände sachkundiger Wissenschaftler gegeben. Sollte das Wissenschaftsgremium zu dem Schluss kommen, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen Roundup und NHL gibt, wird es den Mitgliedern der Gruppe verwehrt sein, in künftigen Verfahren gegen das Unternehmen das Gegenteil zu behaupten. Die Entscheidung des Wissenschaftsgremiums dürfte mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Mitglieder der Gruppe möglicher künftiger Kläger dürfen ihre Ansprüche bis zur Entscheidung des Wissenschaftsgremiums nicht weiter geltend machen und keinen Strafschadenersatz fordern. Die Zahlung für diese Vereinbarung mit der Gruppe ist auf 1,25 Mrd. USD beschränkt. Mit dem Geld sollen Forschung zur Behandlung von NHL und Programme zur Diagnose von NHL in unterversorgten Regionen finanziert werden. Hinzu kommen Unterstützungszahlungen für Mitglieder der Gruppe, die vor der Entscheidung des Wissenschaftsgremiums an NHL erkranken und aufgrund ihrer Bedürftigkeit während dieses Zeitraums für Unterstützung infrage kommen.
Das Unternehmen hat alternativ in Betracht gezogen, in den Roundup-Fällen weiter zu prozessieren, bevor es sich für einen Vergleich entschieden hat. Nach seiner Risikobewertung wären die Kosten eines potenziell negativen Ausgangs weiterer Rechtsstreitigkeiten aber wahrscheinlich weit höher ausgefallen als beim jetzigen Vergleich – verursacht durch eine jahrelange Fortsetzung der Werbekampagnen durch die Klägeranwälte, eine weiter steigende Zahl der Kläger, mehr als 20 Prozesse pro Jahr und ungewisse Jury-Entscheidungen sowie die damit verbundenen Schäden für die Reputation und das Geschäft.
„Unter Berücksichtigung verschiedener Optionen bin ich davon überzeugt, dass dieser Plan eine umfassende, vernünftige Lösung der komplexen und umstrittenen Fragen darstellt, die dieser Rechtsstreit aufgezeigt hat“, sagte Rechtsanwalt John Beisner, der den Bayer-Aufsichtsrat berät und bei der Kanzlei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom LLP die Abteilung „Mass Tort, Insurance and Consumer Litigation“ leitet.
„Mit Unterstützung unseres externen Beraters John Beisner und des Ausschusses zum Glyphosat-Rechtskomplex hat der Aufsichtsrat die Rechtsstreitigkeiten um Roundup aufmerksam verfolgt, ebenso wie die Rechtsstreitigkeiten um Dicamba und PCB. Der Aufsichtsrat hat den Vorstand in diesen Angelegenheiten beraten und schließt sich einstimmig der Einschätzung des Vorstands an, dass alle drei Vergleiche im besten Interesse des Unternehmens und seiner Stakeholder sind“, sagte Norbert Winkeljohann, Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Baumann fügte hinzu: „Das Wohl unserer Kunden ist die Grundlage unseres Unternehmens. Als wissenschaftsbasiertes Unternehmen, das die Gesundheit der Menschen verbessern will, empfinden wir großes Mitgefühl für alle, die an Erkrankungen leiden, und wir verstehen, dass sie nach Antworten suchen. Gleichwohl zeigen die umfangreichen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Roundup nicht krebserregend und damit nicht verantwortlich für die Krankheiten der Kläger ist – entgegen den Behauptungen in diesem Verfahrenskomplex. Wir stehen nachdrücklich zu unseren glyphosatbasierten Herbiziden, die zu den am gründlichsten untersuchten Produkten ihrer Art gehören. Vier Jahrzehnte wissenschaftlicher Arbeit stützen die Einschätzung, dass glyphosatbasierte Herbizide sicher und nicht krebserregend sind.“ Tatsächlich kam die US-Umweltschutzbehörde EPA in ihrer im Januar veröffentlichten Zwischenentscheidung im Rahmen der Zulassungsprüfung folgerichtig zu dem Ergebnis, sie habe „keinerlei Gesundheitsrisiken für Menschen durch die Exposition gegenüber Glyphosat festgestellt“.
Für Kunden wie Landwirte und andere professionelle Nutzer, deren Lebensunterhalt von glyphosatbasierten Herbiziden abhängt, wird sich durch die jetzt bekannt gegebene Einigung nichts an der Verfügbarkeit von Roundup-Produkten ändern. Gleichzeitig bleibt Bayer entschlossen, den Kunden mehr Wahlmöglichkeiten zu bieten, und hat im vergangenen Jahr angekündigt, innerhalb von zehn Jahren rund 5 Mrd. EUR in die Entwicklung zusätzlicher Methoden zur Unkrautbekämpfung zu investieren – als Teil eines ganzheitlichen Konzepts für eine nachhaltige Landwirtschaft.
Beilegung von Dicamba-Verfahren
Darüber hinaus hat Bayer eine Einigung in Zusammenhang mit den bereits kommunizierten Produkthaftungsklagen wegen Verwehungen von Dicamba erzielt, in denen es um vermeintliche Ernteschäden geht. Das Unternehmen wird insgesamt bis zu 400 Mio. USD bezahlen, um die konsolidierten Gerichtsverfahren (Multi District Litigation) beizulegen, die am U.S. District Court for the Eastern District of Missouri anhängig sind und Klagen für die Erntejahre 2015 bis 2020 umfassen. Anspruchsteller müssen Beweise für Schäden am Ernteertrag vorlegen und dafür, dass diese durch Dicamba verursacht wurden. Das Unternehmen erwartet einen Beitrag der mitverklagten BASF zu diesem Vergleich.
Der einzige Fall zu Verwehungen von Dicamba, der vor Gericht verhandelt wurde (Bader Farms) ist nicht Teil der Einigung. Das Unternehmen hält das Urteil im Fall Bader Farms für unvereinbar mit den vorgelegten Beweisen sowie mit der geltenden Rechtslage. Das Unternehmen hat erstinstanzlich Rechtsbehelfe (Post-Trial Motions) eingelegt und wird, wenn nötig, in Berufung gehen.
Das Unternehmen steht nachdrücklich hinter der Sicherheit und dem Nutzen der XtendiMax-Herbizide mit VaporGrip-Technologie und intensiviert weiter seine Trainings- und Schulungsangebote, um dazu beizutragen, dass Landwirte diese Produkte erfolgreich anwenden. Das Unternehmen vergleicht sich in den anhängigen Fällen zu Verwehungen von Dicamba, um sich auf die Bedürfnisse seiner Kunden konzentrieren zu können.
Beilegung von Verfahren zu PCB
Bayer hat außerdem eine Reihe von Vereinbarungen getroffen, um den wesentlichen Teil des Verfahrenskomplexes zu den Auswirkungen von PCB (Polychlorierte Biphenyle) in Gewässern beizulegen. Monsanto hatte PCB rechtmäßig hergestellt, stellte die Produktion aber 1977 ein. Durch eine Vereinbarung wird eine Gruppe möglicher Kläger eingerichtet, die sämtliche Lokalverwaltungen mit EPA-Genehmigungen für PCB-haltige Wasserableitungen umfasst. Bayer wird dieser Gruppe insgesamt etwa 650 Mio. USD zahlen, was noch der Zustimmung des Gerichts bedarf.
Zugleich hat das Unternehmen mit den Generalstaatsanwälten der Bundesstaaten New Mexico und Washington sowie des District of Columbia gesonderte Vereinbarungen getroffen, ähnliche Klagen in Zusammenhang mit PCB beizulegen. Im Rahmen dieser Vereinbarungen, die gesondert von der Klägergruppe sind, wird Bayer insgesamt etwa 170 Mio. USD zahlen.
Finanzierung durch Free Cash Flow und Veräußerung des Animal-Health-Geschäfts
Es wird erwartet, dass die Zahlungen im Rahmen der Vergleiche im Jahr 2020 beginnen werden. Bayer geht zurzeit davon aus, dass der mögliche Mittelabfluss 5 Mrd. USD im laufenden Jahr und 5 Mrd. USD im Jahr 2021 nicht übersteigen wird – der Restbetrag würde im Jahr 2022 oder danach gezahlt werden. Zur Finanzierung dieser Zahlungen, die von der steuerlichen Behandlung abhängig sind, kann Bayer zurückgreifen auf die bestehende Liquidität, den künftigen Free Cash Flow, auf die Einnahmen aus der Veräußerung des Animal-Health-Geschäfts und zusätzliche Anleiheemissionen, um die für diese Zahlungen wie auch für bevorstehende Fälligkeiten erforderliche Flexibilität zu sichern.
Auf Grundlage der Veröffentlichungen von Ratingagenturen und des Austausches von Bayer mit ihnen erwartet das Unternehmen, Investment-Grade-Ratings zu behalten. Auf Basis seines starken Geschäfts plant Bayer, seine Dividendenpolitik beizubehalten. Gleichzeitig hat der Schuldenabbau weiterhin hohe Priorität.
Für die Zukunft gut aufgestellt
„Indem wir daran arbeiten, diese umfangreichen Rechtsstreitigkeiten hinter uns zu lassen, können wir Kurs auf die Zukunft nehmen und die globalen Herausforderungen in den Bereichen Gesundheit und Ernährung angehen. Das gilt nicht nur jetzt während der Covid-19-Pandemie, sondern auch langfristig – weil wir daran arbeiten, die Lebensqualität für eine wachsende und alternde Bevölkerung zu verbessern, die für 2050 auf 10 Mrd. Menschen geschätzt wird“, sagte Baumann. „Mehr als 100.000 Menschen setzen sich dafür ein, durch die Versorgung mit Arzneimitteln und landwirtschaftlichen Produkten unserer Vision ,Health for all, Hunger for none‘ näher zu kommen. Wir sind überzeugt, dass Wissenschaft und Innovation auch künftig von entscheidender Bedeutung sein werden, so wie sie es für Bayer bei der Versorgung von Kunden und Patienten seit fast 160 Jahren sind. Wir wollen die anstehenden Herausforderungen auf verantwortungsvolle Weise angehen, um zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beizutragen. Transparenz und der konstruktive Austausch mit unseren Stakeholdern sind essenziell, um das öffentliche Vertrauen in unsere Produkte und in unser Unternehmen zu erhalten.“