Automotive Material-Lösungen von der Piste auf die Straße
Evonik testet Werkstoffe für Automobilanwendungen unter Extrembedingungen im Rennsport
Die Automobilindustrie ist einer der wichtigsten, aber auch anspruchsvollsten Kunden der Chemiebranche. Materialien aus der Chemieforschung verbessern seit Langem den Fahrzeugbau: Sie machen Autos sicherer und helfen, den Kraftstoffverbrauch und damit Emissionen zu reduzieren. Dabei spielen Leichtbaumaterialien neben Hochleistungszusätzen für Schmierstoffe und Spritsparreifen die wichtigste Rolle, denn das Fahrzeuggewicht ist ein entscheidender Faktor für den Verbrauch.
In Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie und weiteren Projektpartnern liefert das Automotive Industry Team von Evonik neue Impulse für die Mobilität der Zukunft. Spezialisten aus verschiedenen Geschäftsbereichen des Spezialchemiekonzerns entwickeln innovative Materiallösungen für den Automobilbereich in den Entwicklungsfeldern Leichtbau, Kraftstoffeinsparung, Beleuchtungs- und Oberflächentechnologien. Bis neue Werkstoffe reif für die Serienproduktion sind, müssen aber unzählige Tests durchgeführt werden, z.B. auf dem Prüfstand, im Windkanal oder auf Teststrecken. Das Evonik-Team erprobt Leichtbaumaterialien für künftige Serienbauteile dort, wo es auf jedes Kilo ankommt und die Werkstoffe härtesten Belastungen standhalten müssen: auf der Rennstrecke. Dazu kooperiert das Team seit einigen Jahren mit dem Rennstall Bremotion, der den mit zahlreichen von Evonik entwickelten Leichtbauwerkstoffen ausgestatteten Roding R1-Tourenwagen im Motorsport einsetzt.
Werkstoffe im Härtetest
Seit 2014 geht der Roding Racer für das Team Bremotion-Evonik im DMV GT und Touring Car Cup (DMV GTC) auf Jagd nach Punkten. Roding, ein bayerischer Kleinstserienhersteller mit umfassendem Know-how in Sachen Leichtbau und Verbundwerkstoffe, ist ein perfekter Partner, um eine fahrende Technologieplattform für Evonik ins Rennen zu schicken. Die Testbedingungen bei der Rennserie sind extrem – nicht nur für das Material, sondern auch für das Team: Am Rennwochenende auf dem Hockenheimring Anfang Juli herrschten 40°C, und zwei Monate später im belgischen Spa Francorchamps musste Pilot Patrick Brenndörfer den Roding R1 durch Dauerregen steuern und landete prompt mit Platz drei erstmals auf dem Siegerpodest.
Der Rennwagen hat mit 360 PS zwar weniger Motorstärke als viele Konkurrenten, ist aber mit gerade 1.050 kg ein absolutes Leichtgewicht und beschleunigt in 3,5 sec aus dem Stand auf 100 km/h. Möglich machen das mehrere Produkte, die Evonik für den Automobilbau anbietet: Der Strukturschaum Rohacell steckt in den Windsplittern des Frontspoilers und im Armaturenbrett. Evonik hat eine Materialvariante entwickelt, die in Formen geschäumt werden kann, was den Einsatz in Großserien erleichtert. Das Material ist u.a. im Dach, in der Heckklappe und der Motorhaube einsetzbar.
Für den Fahrzeugbau konzipiertes Plexiglas (PMMA) macht die Verscheibung um die Hälfte leichter. Es lässt sich in fast jede Form bringen, ist UV-beständig, schlag- und kratzfest sowie vollständig recycelbar. In vielen Serienfahrzeugen ist Plexiglas bereits für Heck- und Seitenscheiben zugelassen. Im Roding R1 erprobt Evonik den Kunststoff als Glasersatz für die Windschutzscheibe – eine Anwendung mit riesigem Gewichtssparpotenzial. Außerhalb des Rennsports findet es sich oft bei Fahrzeuginnenausstattungen oder dient bereits in vielen Großserien als Abdeckung für Rückleuchten und Blinker sowie tragende Säulen der Karosserie.
Hochleistungskunststoffe wie das Polyamid (PA 12) Vestamid HTplus finden sich dort, wo hohe Temperaturen herrschen, etwa in Ansaugrohren von aufgeladenen Motoren. Im Vergleich zu Aluminiumteilen kann hier das Gewicht halbiert werden.
Für Scheinwerferoptiken wie Linsen und Lichtleiter setzt Evonik Pleximid TT70 ein. Das Polymethylmethacrylimid ist eine Weiterentwicklung von PMMA und behält deren sehr gute optische Eigenschaften auch bei Temperaturen von bis zu 150°C dauerhaft bei.
Härtersysteme aus Vestamin (cycloaliphatische Diamine) verbinden die Sandwich-Konstruktionen im Kohlefaser-Monocoque des Rennautos. Als Kern dient Rohacell-Strukturschaum.
Leichtbauteile für die Serienproduktion
Um die Kompetenz im Leichtbau noch besser für die Serienproduktion nutzbar zu machen, gründete Evonik zusammen mit dem österreichischen Leichtbauspezialisten Secar Ende 2013 das Joint Venture LiteCon. Gemeinsam sollen Leichtbauteile für die Serienproduktion von Fahrzeugen und Flugzeugen entwickelt werden. Erste Rohacell-Bauteile werden bereits für einen deutschen Automobilhersteller in Serie produziert.
Jedes Kilo weniger ist Automobilherstellern viel wert. Denn der in modernen Fahrzeugen zu beobachtende Zuwachs an Sicherheit, Ausstattung und Komfort bringt zusätzliches Gewicht, das an anderer Stelle eingespart werden muss – anders könnte die Industrie ihre Verbrauchsvorgaben und die CO2-Flottengrenzwerte der EU nicht einhalten. Das bedeutet: Bauteile müssen in Zukunft noch leichter, Materialien noch effizienter eingesetzt und Verbundstrukturen noch intelligenter konstruiert werden.
Immer mehr Teile am Fahrzeug sind hybride Leichtbaustrukturen aus unterschiedlichen Werkstoffen. Dazu gehören Türen, Armaturentafelträger, Frontendsysteme oder Komponenten der Bodengruppe. Kunststoff-Metall-Hybridbauteile im Fahrzeug bestehen vielfach aus dünnen, verzinkten Stahlblechen, die mit faserverstärkten Kunststoffen wie Polyamid 6 umspritzt werden. Durch die Versteifung dreidimensionaler Blechstrukturen mittels Kunststoffrippen lassen sich hochbelastbare Fahrzeugkomponenten bei vergleichsweise niedrigem Gewicht herstellen.
Patrick Brenndörfer, Pilot des Roding R1 und Chef des Rennstalls, bringt die vielen innovativen Werkstofflösungen von Evonik auf den Punkt: „Das Leistungsgewicht ist im Rennsport das A und O. Also einfach ausgedrückt: Wie viele Kilogramm bewegt der Rennwagen pro PS? Das sieht beim Roding nicht schlecht aus. Je weniger Gewicht, desto später muss ich bremsen und desto leichter kann ich vor einer Kurve überholen.“ (mr)