Märkte & Unternehmen

Agile Wertschöpfung als Erfolgsrezept für die Chemie

Ergebnisse des BCG-Reports „Value Creation in Chemicals 2024“

19.02.2025 - Die Lage der globalen Chemieindustrie ist immer noch herausfordernd. Globale Marktverschiebungen, steigende Kosten und wachsende Anforderungen an die Nachhaltigkeit setzen die Unternehmen unter Druck – vor allem in den westlichen Industrienationen.

Die Lage der globalen Chemieindustrie ist immer noch herausfordernd. Zwar erzielten die weltweit 344 größten börsennotierten Chemieunternehmen zwischen Januar 2019 und Dezember 2023 einen durchschnittlichen jährlichen Total Shareholder Return (TSR) von 12 %, verglichen mit nur 7 % zwischen 2018 und 2022. Aber globale Marktverschiebungen, steigende Kosten und wachsende Anforderungen an die Nachhaltigkeit setzen die Unternehmen unter Druck – vor allem in den westlichen Industrienationen. Die Chemikalienhersteller in Europa bilden im internationalen Vergleich das Schlusslicht mit einem durchschnittlichen Fünf-Jahres-TSR von nur 8 %. 

Um im Wettbewerb zu bestehen, müssen sich die deutschen und europäischen Produzenten den neuen Bedingungen anpassen und eine proaktive TSR-Strategie verfolgen. Das sind Kernergebnisse des aktuellen Reports „Value Creation in Chemicals, 2024 – Regional Challenges Persist, but Clear Strategies Win“ der Boston Consulting Group (BCG). Seit 13 Jahren untersucht BCG detailliert die Wertentwicklungen und Strategien von Chemieunternehmen weltweit. 

Indische Chemieunternehmen schaffen die höchsten Werte 

Die Top-Performer der vergangenen fünf Jahre kommen aus Indien und Südkorea. Mit einem TSR von 24 % liegen indische Chemieunternehmen derzeit an der Weltspitze. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf dem Subkontinent sind ideal: Bevölkerung und Wohlstand wachsen stetig, infolgedessen steigt auch die Nachfrage nach Chemieprodukten. Subventionen, industriefreundliche Politik und umfangreiche Infra­strukturinvestitionen begünstigen die Entwicklung zusätzlich. Auch Südkorea erreicht mit 22 % einen Spitzen-Fünfjahres-TSR, allerdings unter völlig anderen Voraussetzungen. Der Binnenmarkt ist klein, deshalb fokussiert sich die dortige chemische Industrie auf den Export. Zudem hat Südkorea eine führende Position in Zukunftsmärkten wie Elektronik und Batterien.

Chinas Chemieindustrie verdrängt europäische Wettbewerber

Insgesamt performten die Märkte der Schwellenländer mit einem Fünfjahres-TSR von 19 % deutlich besser als alle anderen Regionen, die zusammen einen Wert von lediglich 10 % erreichten. Auch der Fünf-Jahres-TSR der chinesischen Chemieunternehmen hat sich trotz des zunehmend schwierigeren binnenwirtschaftlichen Umfelds mit einem Anstieg von 8 % auf 13 % positiv entwickelt. Die Firmen haben ihre Produktionskapazitäten u. a. bei Siloxanen, Polyolen und Polyamiden deutlich erweitert und die Exporte von hochvolumigen Chemikalien wie PET und PVC erhöht. Diese Entwicklung hat die Weltmarktpreise gedrückt und damit die Rentabilität nicht-chinesischer Anbieter stark beeinträchtigt. Insbesondere die europäischen Unternehmen stehen damit vor mehreren Herausforderungen: steigende Importe aus China, eine schwache Binnennachfrage, lokale Kostensteigerungen und wachsende Nachhaltigkeitsanforderungen der Europäischen Union.
Dennoch konnte auch die europäische Chemiebranche ihre Performance leicht verbessern: Ihr durchschnittlicher TSR stieg in den vergangenen fünf Jahren von 5 % auf 8 %, was vor allem auf rigorose Kostensenkungen zurückzuführen ist. Diese Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass europäische Unternehmen die geringsten Margenrückgänge im internationalen Vergleich verzeichnen. Zusätzlich nutzten die Firmen ihre globalen Netzwerke, um schwache Ergebnisse in Europa durch steigende Erträge aus außereuropäischen Anlagen auszugleichen.

Was Deutschland von Top-Performern lernen kann

Auch die deutsche chemische Industrie befindet sich wieder im Aufwind, bewegt sich aber deutlich unter dem globalen Durchschnitt. Im Vergleich zu Südkorea lassen sich in den Fünf-Jahres-Zeiträumen seit 2013 simultane Marktbewegungen beobachten, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. In beiden Ländern erzielten die Chemiefirmen zwischen 2013 und 2017 einen TSR knapp unter 10 % pro Jahr. In den Folgejahren performten die südkoreanischen Produzenten jedoch deutlich besser. Ihr jährlicher TSR lag 2019 bis 2023 um fast 17 Prozentpunkte über dem der deutschen Chemieunternehmen.
Grund für diese unterschiedliche Entwicklung: Die Unternehmen in Südkorea verfolgen eine agile Strategie. Sie lagern konsequent einzelne Geschäftsbereiche und Wertschöpfungsschritte aus, um kurzfristig neue Kompetenzen zu entwickeln und Trends bedienen zu können. Zudem haben sie gezielt in Zukunftsmärkte mit hoher Nachfrage investiert – elektronische Materialien für Halbleiter und Batteriekomponenten für Elek­trofahrzeuge. Strukturell verfolgt die Chemieindustrie in Südkorea ein Konglomeratsmodell, das eine hohe Diversifikation über spezialisierte Tochtergesellschaften ermöglicht. Ausgründungen erleichtern ein fokussiertes Wachstum, die Unternehmen können schneller auf Wettbewerbsanforderungen reagieren und so die Spezialisierung in Nischensegmenten vorantreiben. 

Wertschaffung durch eine gezielte TSR-Strategie

Die aktuelle BCG-Untersuchung bestätigt die Ergebnisse aus den Vorjahren: Wachstum ist der wichtigste Treiber für Wertschaffung in der chemischen Industrie. Die meisten Regionen und Sektoren mit überdurchschnittlichen TSR-Ergebnissen konnten auch ein höheres Umsatzwachstum verzeichnen: So sind die Top-Performer wie Indien und China auch Spitzenreiter beim Umsatzwachstum. 
Chemieunternehmen in Deutschland und Europa stehen auch in den kommenden Jahren vor der Herausforderung, sich an einen dynamischen Markt anzupassen und langfristige Wertschaffung mithilfe einer gezielten TSR-Strategie zu erzielen. Anstatt sich primär auf Effizienzsteigerungen zu verlassen, sollten die Firmen robuste Wachstumsstrategien verfolgen, die die Dynamik der Endmärkte und Innovationen nutzen. Gleichzeitig ist eine kontinuierliche Anpassung der Portfolios entscheidend, um sich auf hochwertige Segmente zu konzen­trieren, und die Unternehmen sollten gezielt strategische Übernahmen tätigen. Auch das effiziente Management von Investmentprojekten spielt eine Schlüsselrolle. Disziplin in der Kapitalallokation sowie der Einsatz flexibler Partnerschaften erzeugen die nötige Agilität, um auf Veränderungen im Marktumfeld reagieren zu können. Ergänzend dazu sorgt eine konsequente Optimierung der Kostenstrukturen für höhere Margen und schafft Ressourcen, die für weiteres Wachstum genutzt werden können. In der Kombination dieser Ansätze liegt der Schlüssel für eine langfristige Wertschaffung in einem wettbewerbsintensiven Markt.


Andreas Gocke, Managing Director und Senior Partner, BCG, München 

Frederik Flock, Managing Director und Partner, BCG, Chicago

Hubert Schönberger, Senior Director, BCG, München

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Value Creation in Chemicals
Die Boston Consulting Group (BCG) untersucht seit 2012 jährlich die Wertentwicklung von Unternehmen der chemischen Industrie gemessen am annualisierten Total Shareholder Return (TSR). Der TSR erfasst die Gesamtrendite für Aktionäre in einem bestimmten Zeitraum – Aktienkurse und Dividende – die sich auf das Nettovermögen der Aktionäre auswirken. Für den aktuellen Bericht „Value Creation in Chemicals, 2024 – Regional Challenges Persist, but Clear Strategies Win“ hat BCG die 344 börsennotierten Chemieunternehmen weltweit mit einer Marktkapitalisierung von über einer Milliarde Dollar analysiert. 

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