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Antibiotika-Resistenzen: Mikroben breiten sich in Europa vom Süden her aus

ESCMID warnt davor, dass es in Europa bis 2025 mehr als eine Million Todesfälle durch wirkungslose Antibiotika geben könnte

27.04.2015 -

Die Europäische Gesellschaft für Mikrobiologie und Infektiologie (ESCMID) - eine Organisation, die Risikobewertungen, den Wissensaustausch und die besten Verfahren im Kampf gegen Infektionskrankheiten erforscht - hat davor gewarnt, dass Europa mehr als einer Million Todesfälle in einem drohenden „antibiotischem Armageddon" gegenüberstehen könnte, wenn nicht mehr dafür getan wird, dass neue Heilverfahren, schnelle Diagnosen und vorbeugende Maßnahmen entwickelt werden, um die Verbreitung arzneimittelresistenter Krankheiten zu bekämpfen.

Diese Warnung gewinnt an Bedeutung, während die weltweit bekanntesten Experten in der Infektionsmedizin unter der Leitung des Freiburger Infektiologie-Professors Dr. Winfried V. Kern beim 25. Europäischen Kongress für Mikrobiologie und Infektiologie (ECCMID) vom 25.-28. April in Kopenhagen zusammenkommen, um sich über Lösungen für dieses wachsende Problem auszutauschen. ESCMID-Experten sagten, dass bis 2025 ein düsterer Meilenstein von einer Million Todesfälle in ganz Europa überschritten werden könne, wenn kein Geld dafür verwendet werde, neue Medikamente zu entwickeln und vorhandene Bestände zu rationieren.

Die derzeit zuverlässigsten Zahlen wurden 2009 veröffentlicht. Es wurde geschätzt, dass rund 25.000-30.000 Menschen jedes Jahr wegen Antiobiotikaresistenz in Europa sterben und dass die Gesamtanzahl der Todesfälle nun bei über 400.000 liegt. Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) wird die Zahlen von 2013 im Laufe dieses Jahres veröffentlichen. Allerdings prognostiziert die ESCMID, dass die derzeitige (wahre) Sterblichkeitsrate höchstwahrscheinlich stark angestiegen ist. Außerdem prognostiziert die ESCMID, dass die jährlichen Todesfälle in Europa innerhalb der nächsten 10 Jahre eine Zahl von 50.000 übersteigen könnten. Die weltweite Situation ist noch kritischer. Es wird damit gerechnet, dass die Zahl der jährlichen Todesfälle bis zum Jahr 2050 auf bis zu 10 Millionen anwächst und dass dadurch verheerende Todesursachen wie Krebs, Diabetes und Verkehrsunfälle überholt werden könnten.

„Für Europa und Deutschland ist derzeit besorgniserregend, dass offensichtlich ein enorm hohes Risiko besteht, besonders in einigen Ländern im Mittelmeerraum. Allerdings weiß niemand wirklich, wie groß genau das Problem momentan ist, geschweige denn, wie groß es in Zukunft sein wird. Obwohl wir feststellten, dass die Zahlen für jedes europäische Land ungefähr gleich bleiben, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass diese sich in den nächsten 10 Jahren verdoppeln, verdreifachen oder gar vervierfachen. Das andere große Problem ist, dass Bakterien Ländergrenzen nicht respektieren, und so ist es wahrscheinlich, dass wir erleben werden, wie hochresistente Mikroben sich von Ländern aus ausbreiten, in denen die Lage noch kritischer ist. Was wir brauchen ist eine europaweite oder weltweite Strategie, weil dieses Problem kein regionales bleiben wird." Professor Murat Akova, Präsident von ESCMID.

Die am schlimmsten betroffenen Länder in Europa sind Griechenland, Spanien und Italien, die einem drohenden antibiotischen Armageddon gegenüberstehen, da viele Bakterien innerhalb dieser Länder mittlerweile gegen die meisten oder gar alle Arten bekannter Antibiotika resistent sind. Die ESCMID warnt, dass dies nicht einfach an einem Mangel an neuen Antibiotika liegt, sondern dass das Problem durch schlechte Überwachungen und Kontrollen verschlimmert wird. Beunruhigenderweise gehen die Auswirkungen dieser Veränderung weit über die steigende Anzahl von Todesfällen hinaus: das moderne Gesundheitswesen selbst wird in seinen Grundfesten erschüttert, wenn Kosten rapide ansteigen und Behandlungen und Krankenhausaufenthalte sich zeitlich ausdehnen. Die geschätzten weltweiten wirtschaftlichen Kosten, die sich aus dieser Sachlage ergeben, liegen bei 100 Bio. USD, was unter Umständen in einer signifikanten Reduktion der Bruttoinlandsprodukte (ca. 6%) aller Länder resultieren könnte, wobei die ärmsten Länder vermutlich den verhältnismäßig größten BIP-Verlust erleben werden. Die wirtschaftlichen Kosten in Europa liegen bereits bei 1,5 Mrd. EUR, Tendenz steigend.

Akova fügte hinzu, dass sich die „Todesfälle in Deutschland allein in den nächsten 10 Jahren leicht verdoppeln oder verdreifachen können. Wenn man sich rein auf die Todesrate durch antimikrobielle Resistenz konzentriert, verliert man allerdings das große Problem aus den Augen, dass man Patienten viele der Errungenschaften des modernen Gesundheitswesens gar nicht anbieten kann. Die rasante Zunahme der antimikrobiellen Resistenz in und außerhalb von Europa gefährdet das moderne Gesundheitswesen. Und die Resistenz erreicht Deutschland über andere europäische Länder"

Der diesjährige Kongress wird sich zentral auf diese Problemfrage konzentrieren und die Gesellschaft fordert Regierungen und die Pharmaindustrie dazu auf, in diesem Kampf weiterhin wachsam zu sein. Die ESCMID erklärt, dass es unverzichtbar ist, dass neue Investitionen getätigt werden und dass wir die Umsetzung der Strategien zur Infektionsprävention und -kontrolle fördern. Es wird neben weiterer FuE im Bereich neuer Antibiotika ein verbessertes Ausbildungs- und Schulungsangebot sowie, was von entscheidender Bedeutung ist, eine Erhöhung der Wirkdauer bestehender Antibiotika durch eine umsichtige Handhabung und ein antimikrobielles Verantwortungsbewusstsein gefordert."

Der von dem ESCMID organisierte Europäische Ausschuss für die Untersuchung auf Antibiotikaempfindlichkeit (EUCAST) wird als Komitee der EMEA (Europäische Arzneimittelagentur) und des ECDC auf dem diesjährigen Kongress eine europaweite Aktualisierung der Grenzwerte und Standards für die Antibiogrammerstellung ankündigen.