Kommunikation 2.0
Social Media vernetzen Mitarbeiter von Unternehmen mit Experten und Kunden
Weniger als 140 Zeichen pro Text, über 300.000 neue registrierte Nutzer und 600 Mio. Suchanfragen pro Tag - die Zahlen des 2006 gestarteten Nachrichtendienstes Twitter sprechen für sich. Das Mitmach-Web boomt. Anders als traditionelle Medien setzen Social Media im Web 2.0 auf interaktiven Austausch von Inhalten, die von ihren Nutzern selbst erstellt werden. Soziale Netzwerke wie Facebook, Xing, Wikipedia oder Youtube gewinnen nicht nur in der Kommunikation von Privatpersonen rasant an Bedeutung, sondern auch für die in- und externe Kommunikation von Unternehmen. Dr. Andrea Gruß sprach darüber mit Prof. Dr. Thomas Pleil vom Institut für Kommunikation und Medien (IkuM) der Hochschule Darmstadt.
CHEManager: Wodurch unterscheiden sich Social Media von traditionellen Medien?
Prof. T. Pleil: Klassische Medien erfordern professionelle Strukturen und hohe Investments. Hier publiziert, wer es gelernt hat, z.B. Journalisten oder PR-Fachleute. Wer in Print und Rundfunk investiert, achtet auf Auflagen und Einschaltquoten.
Bei Social Media kann jeder mitmachen. Und dennoch beschäftigen sich die Akteure in diesem Teil des Webs nicht nur mit privaten Themen. Das ist ein Vorurteil, das es auszuräumen gilt. Es gibt dort vielmehr ein breites Spektrum an Beiträgen von privater Kommunikation bis zur hoch spezialisierten Fachkommunikation zwischen Experten, z.B. Wissenschaftlern, die bloggen, diskutieren oder Beiträge empfehlen. Durch Social Media verändert sich die Landschaft der öffentlichen Kommunikation. Es gibt eine Vielzahl an Kanälen, mit denen immer mehr Nischen bedient werden können. So lassen sich schon mit geringen Investments kleine Zielgruppen mit speziellen Themen ansprechen - ein wichtiger Aspekt, z.B. für die B2B-Kommunikation.
Welche der neuen Medien sind für Unternehmen relevant?
Prof. T. Pleil: Das hängt sehr vom Unternehmen und dessen Zielgruppen ab. Grundsätzlich muss sich ein Unternehmen zunächst fragen: Wie nutzt die anvisierte Zielgruppe das Internet? Ich warne davor zu sagen: „Jetzt probieren wir mal Facebook oder Xing" ohne eine vorangehende Analyse. Denn diese kann durchaus ergeben, dass bei Weitem nicht alles, was im Moment hypeartig diskutiert ist, im Einzelfall sinnvoll ist.
Aber es gibt grobe Orientierungen: Relevant für fast alle Unternehmen sind Communities und Social Networks wie Xing, das inzwischen den meisten Berufstätigen bekannt ist. Sie bieten nicht nur die Möglichkeit, Profile einzustellen und sich zu präsentieren. Wichtig ist die Kommunikation dahinter, z.B. die Diskussionen zu Fachthemen in speziellen Gruppen oder der fortwährende Strom von Lesetipps, den viele Nutzer erzeugen.
Auch multimediale Angebote mit Videos gewinnen an Bedeutung. Ich kann mir heute kaum noch eine Website ohne Video vorstellen. Zudem gibt es bereits eigene Video-Communities. Auch hier gilt es zunächst zu analysieren: Sprechen wir über z.B. Youtube oder Sevenload unsere Zielgruppe an? Wenn ja, bietet es sich an, dorthin zu gehen, wo die Zielgruppe aktiv ist. Zusätzlich erlauben es solche Plattformen, dass ein dort veröffentlichtes Video auf anderen Webseiten oder in Blogs eingebunden wird. Viele Unternehmen publizieren ihre Videos bereits auf Youtube oder ihre Präsentationen auf SlideShare, um sie dann auf der eigenen Corporate Website zu nutzen und ohne Zusatzkosten insgesamt einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen.
Wie lässt sich kontrollieren, dass die gewünschte Zielgruppe auch erreicht wird?
Prof. T. Pleil: Wie bei jeder Konzeption oder neuen Strategie kommen Sie um eine genaue Analyse nicht herum. Es gibt bereits einige wenige Studien zur B2B-Kommunikation in Social Media, die untersuchen, wo die Entscheider des B2B-Geschäfts unterwegs sind. Doch man fängt gerade erst an, dies wissenschaftlich zu betrachten. Ich rate sehr dazu, qualitativ vorzugehen einige Leute aus Ihren Zielgruppen zu befragen: Wie nutzt ihr Unternehmen das Internet? Wofür interessieren sie sich? Allerdings ist eines für die dann zu entwickelnde Kommunikation im Social Web entscheidend: Es geht nicht um Reichweite, sondern um den langfristigen Aufbau von Beziehungen.
Führen Sie am Institut für Kommunikation und Medien solche Befragungen durch?
Prof. T. Pleil: Ja, aktuell arbeiten wir mit der Darmstädter Agentur Profilwerkstatt an einer Studie zu Social Media in der B2B-Kommunikation. Darin werden wir an Beispielen zeigen, wie Unternehmen im B2B-Bereich mit dem Social Web umgehen und zusammenstellen, für welche Felder der B2B-Kommunikation Social Media besonders geeignet sind. Die Studie soll im Juni 2010 veröffentlicht werden.
In diesem Rahmen sind wir auch dabei, den Stand der Forschung zur Nutzung von Social Media in Deutschland und weltweit zusammen zu tragen. Dabei zeigt sich, dass Social Media im Endkundenbereich bereits weltweit sehr stark verbreitet sind. Im B2B-Bereich, insbesondere im deutschen Sprachraum, entwickelt sich die Nutzung deutlich langsamer.
Speziell in Großbritannien ist die Social-Media-Nutzung bei Unternehmen sehr viel verbreiteter als in anderen Ländern Europas. Ich sehe hier im weitesten Sinne einen kulturellen Zusammenhang. Großbritannien hat eine große Nähe zu den USA und diese sind führend, was die professionelle Nutzung der Online-Kommunikation betrifft. Wobei wir nicht unterschätzen sollten, was sich in Asien, beispielsweise in Japan oder Südkorea, entwickelt. Hier ist die mobile Nutzung von Netzwerken sehr verbreitet.
Gibt es branchenspezifische Unterschiede bei der Nutzung von Social Media?
Prof. T. Pleil: Im B2B-Bereich hat die IT-Branche einen deutlichen Vorsprung. Unternehmen wie Software AG oder SAP nutzen Social Media fast ausschließlich für die B2B-Kommunikation. Im Endkundenbereich sind dagegen weltweit schon mehrere Branchen sehr aktiv. Ein Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie. Aber auch kleinere Banken wie Triodos oder die SEB Bank setzen stark auf sogenannten User Generated Content.
Inwiefern beeinflusst die Unternehmenskultur die Nutzung?
Prof. T. Pleil: Es existiert eine eigene Kommunikationskultur im Social Web. Nur wenn Unternehmen sich hierauf einlassen können und keine Diskrepanz zur eigenen Unternehmenskultur entsteht, kann das Social Media-Engagement langfristig glaubwürdig und erfolgreich sein. Bei unseren Expertengespräche in der aktuellen Studie beobachten wir - und das spiegelt auch meine Erfahrung aus Beratungsprojekten der vergangenen Jahre wider - dass eine Unternehmenskultur, die sehr stark hierarchisch orientiert ist und „top-down" denkt, sich nicht mit der Nutzung von Social Media verträgt. Fördert die Unternehmenskultur dagegen eine vernetzte Kommunikation, dann ist auch ein nachhaltiger Erfolg im Social Web wahrscheinlich.
Viele Unternehmen fürchten eine fehlerhafte und unkontrollierbare Nutzung von Social Media durch ihre Mitarbeiter und scheuen daher, sich näher damit zu beschäftigen. Das gilt beispielsweise für die Pharmabranche, die einem hohen Wettbewerbsdruck und sehr vielen gesetzliche Regelungen zur Kommunikation unterliegt. Deshalb sollten Unternehmen ihre Aktivitäten sehr gut planen und prüfen, wo ein Einstieg Sinn macht und geringe Risiken birgt. Auf der anderen Seite ist es natürlich Realität, dass Mitarbeiter im Unternehmen kommunizieren und das Social Web nutzen. Dieser Entwicklung müssen Unternehmen begegnen.
Zum Beispiel durch spezielle Schulungen?
Prof. T. Pleil: Ja, Mitarbeiter müssen aufgrund der zunehmend vernetzten Kommunikation dafür sensibilisiert werden, dass sie Repräsentanten ihres Unternehmens sind - egal ob sie privat am Stammtisch kommunizieren, ein Profil in Xing einstellen oder eine Nachricht über Twitter senden. Sehr viele Unternehmen haben daher bereits Leitlinien für die Kommunikation im Internet entwickelt. Diese beinhalten beispielsweise Anweisungen zur Transparenz. Ein Mitarbeiter sollte nicht unter einem Pseudonym unterwegs sein, sondern offen legen, für welches Unternehmen er steht, wenn er dessen Interessen im Internet vertritt. Auch das Thema Geheimhaltung ist Inhalt von Leitlinien, obgleich dies weitestgehend schon im Arbeitsvertrag geregelt ist. Rigorose Verbote, bestimmte Dienste zu nutzen, helfen dagegen aus meiner Sicht kaum weiter.
Wie können Mitarbeiter für die Nutzung der neuen Medien begeistert werden?
Prof. T. Pleil: Über die richtigen Themen, also zum Beispiel Diskussionen und Beiträge, die die eigene Arbeit unterstützen. Eine wichtige Frage, die das Management deutschlandweit beschäftigt, lautet: Wie bekommen wir guten Nachwuchs? Die Antwort ist offenkundig: Die Generation Internet erreicht man am besten über das Internet. Die unter 30-Jährigen erreichen sie teilweise über die klassischen Medien gar nicht mehr. Wer sich bei einer Firma bewerben möchte, schaut zuerst im Internet wie und wo sie sich präsentiert.
Ebenso werden viele Kaufentscheidungen im Internet getroffen. Nicht nur Privatpersonen berücksichtigen Händlerbewertungen und Rezensionen bei Ebay oder Amazon, auch B2B-Entscheider setzen in den für sie relevanten Plattformen auf Expertenmeinungen im Internet.
Die Gewinnung neuer Mitarbeiter, die interne Kommunikation und die externe Kommunikation zum Kunden sind die drei wichtigsten Felder, auf die sich eine qualifizierte Nutzung von Social Media im Unternehmen positiv auswirken kann. Und nicht zuletzt lassen sich in sozialen Netzen Trends, Meinungen und Stimmungen beobachten, die zur Entwicklung einer nachhaltigen Unternehmensstrategie beitragen können.
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