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Keine Angst vor der Liberalisierung

TÜV Süd Chemie Service sieht die Aufhebung des TÜV-Monopols gelassen

01.11.2010 -

Am 1. Januar 2008 wurde der deutsche Markt für die Prüfung überwachungsbedürftiger Anlagen vollständig liberalisiert, d.h. nun können sich die Betreiber überwachungsbedürftiger Anlagen den Prüfdienstleister unter rund 14 Anbietern in Deutschland selbst aussuchen. Der TÜV Süd Chemie Service als einer der Anbieter ist dabei auf die Erfordernisse in der Chemie- und Pharmaindustrie spezialisiert und bietet darüber hinaus zahlreiche weitere Dienstleistungen für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Produktionsanlagen an. Das Unternehmen, das 2005 zunächst aus der Eigenüberwachung von Bayer entstand und 2006 um die der früheren Hoechst in Frankfurt (Signum) erweitert wurde, beschäftigt in Deutschland insgesamt 180 Mitarbeiter und hat 2007 einen Jahresumsatz von rund 23 Mio. € erreicht. CHEManager sprach mit dem Geschäftsführer von TÜV Süd Chemie Service und Leiter des Geschäftsbereichs Chemie Service bei TÜV Süd, Dr.-Ing. Hans-Nicolaus Rindfleisch, über die Marktliberalisierung und die internationalen Ambitionen des Unternehmens. - Die Fragen stellte Dr. Dieter Wirth.

Herr Dr. Rindfleisch, das so genannte TÜV-Monopol ist vor wenigen Tagen vollständig gefallen und manche Ihrer Wettbewerber erwecken den Eindruck, nun stehe ein Big Bang bevor. Muss Ihr Unternehmen um seine Kunden zittern?

H.-N. Rindfleisch: Um Ihre Frage zu beantworten, muss man zunächst ganz nüchtern unseren Markt - das sind vor allem große Chemieunternehmen - und seine Entwicklung betrachten. Die deutsche Großchemie, z.B. Bayer, Hoechst, BASF und Hüls, hatten vor mehr als 100 Jahren das Privileg erhalten, ihre spezialisierten Produktionsanlagen selbst überwachen zu dürfen. Der Hintergrund dafür war die spezifische technische Kompetenz, die zur Beurteilung von chemischen und pharmazeutischen Produktionsanlagen erforderlich war. Wir sind aus der Eigenüberwachung von Bayer und Hoechst hervor gegangen - und verfügen über das entsprechende Expertenwissen rund um die gesamte Anlagensicherheit - angefangen bei Korrosionsprozessen bis hin zu Beschaffungs- und Planungsprozessen für Chemieanlagen. Außerhalb der TÜV's sehe ich daher keinen Wettbewerber, der mit uns hinsichtlich seiner fachlichen Kompetenz und Erfahrung vergleichbar ist. Unsere Mitarbeiter bzw. Sachverständigen kommen alle aus der chemischen Industrie und haben dort Berufserfahrung als Betriebsingenieure gesammelt oder als Ingenieure im Anlagenbau, in der Anlagenplanung oder in der Werkstofftechnik gearbeitet. Wir gehen davon aus, dass unsere Kunden ihre Produktionsanlagen so sicher und zuverlässig wie bisher betreiben wollen. Deshalb schätzen wir die Wechselbereitschaft der Anlagenbetreiber eher als gering ein. Zudem arbeiten wir mit vielen Kunden als Full Service Provider weit über die Prüfdienstleistungen hinaus zusammen. Da macht es wenig Sinn, ein einzelnes Service-Element herauszubrechen. Aus allen diesen Gründen glauben wir, dass es wohl kaum zu einem Erdrutsch im Prüfmarkt kommen wird.

Sie fühlen sich also relativ sicher?

H.-N. Rindfleisch: Es wird wohl ein paar Blitze geben und man wird vielleicht auch einmal nass werden. Aber - ohne überheblich zu sein - wir wissen, was wir können und haben daher keine Angst vor der Liberalisierung. Gleichwohl nehmen wir den Wettbewerb ernst - und sehen darin auch Chancen für uns.

Wo sind diese Chancen?

H.-N. Rindfleisch: Überall in Deutschland. Wir sind hier flächendeckend vertreten. Nicht nur mit unseren eigenen Standorten, sondern auch mit dem engmaschigen Niederlassungsnetz von TÜV Süd Industrie Service. Unser Schwesterunternehmen hat umfangreiche Erfahrungen und einen sehr guten Ruf beispielsweise in der Petrochemie und bei Energieversorgern.

Wo wird es dann überhaupt zu einem Wettbewerb kommen?

H.-N. Rindfleisch: Wir vermuten, dass dies eher bei Standard-Überprüfungen von überwachungsbedürftigen An-
lagen in kleineren Betrieben und im Handwerk der Fall sein wird, wo das spezielle chemietechnische Know-how unseres Unternehmens nicht erforderlich ist, also bei Unternehmen die nur Anlagen wie einfache Druckbehälter, Aufzüge, Krananlagen oder Hebebühnen betreiben. Das war und ist nicht unser spezielles Betätigungsfeld. Zudem gilt auch in diesem Bereich: Ein Wettbewerber muss zunächst eine Präsenz vor Ort aufbauen und die benötigten personellen Kapazitäten zur Verfügung stellen können.

Wird denn der Preis für die Prüfdienstleistungen den Wettbewerb der Anbieter beflügeln können?

H.-N. Rindfleisch: Da sehe ich wenig Spielraum. Unsere personalintensiven Dienstleistungen werden durch speziell ausgebildete und qualifizierte Ingenieure erbracht, und die gibt es hierzulande nicht zum Billigtarif - die derzeitige Personalsituation bei Ingenieuren ist ja hinlänglich bekannt. Wir gehen davon aus, dass unsere Wettbewerber vergleichbare Kostenstrukturen wie wir haben und daher nicht wesentlich billiger anbieten können. Trotzdem könnte das Preisniveau kurzfristig nachgeben - aber kaum für längere Zeit, denn keiner kann unter seinen Kosten arbeiten. Zudem müssen die Anlagenbetreiber nicht nur den Preis, sondern auch die Risiken bei einem möglichen Wechsel des Prüfdienstleisters abwägen. Kann er die gleiche Qualität der Dienstleistung erbringen? Was kostet mich ein Folgeschaden oder ein Produktionsausfall, wenn die Prüfung einer komplexen, großen Anlage fehlerhaft war und nachgeholt werden muss? Viele Prüfungen können ja nicht im laufenden Betrieb gemacht werden, sondern nur wenn die Anlage stillsteht. Die Frage ist also: Stehen die möglichen Einsparungen beim Prüfdienstleister im Verhältnis zum Risiko des Anlagenbetreibers?

Konkret gefragt - wird Ihr Unternehmen seine Leistungen preisgünstiger anbieten?

H.-N. Rindfleisch: Wir wollen die bestehenden Preise für unsere Leistungen nicht verändern.

Wo liegen die wirklichen Herausforderungen für Ihr Unternehmen, wenn man die Liberalisierung des Prüfmarktes als weniger einschneidend betrachten darf?

H.-N. Rindfleisch: Unsere Herausforderungen sind vor allem darin zu sehen, dass etwa 80% unserer Kunden schon längst global aufgestellt sind und TÜV Süd Chemie Service bislang nicht, weil dies bis vor kurzem unter den gegebenen Rahmenbedingungen mit der Eigenüberwachung nicht möglich bzw. sehr schwierig war. Unser Geschäft benötigt nun einmal eine lokale Basis. Diese bauen wir jetzt im internationalen Maßstab auf.

Wo wollen Sie das internationale Geschäft ausbauen?

H.-N. Rindfleisch: Wir wollen uns überall dort etablieren, wo es wachsende Kerngebiete der Prozess- und der chemischen Industrie gibt. In den USA haben wir 2006 die Petrochem Inspection Services in Houston mit 400 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von ca. 36 Mio. US-$ übernommen. Damit sind wir dort die Nummer 4 im Markt mit einem Anteil von ungefähr 2%. Derzeit erleben wir in den USA geradezu einen Schub an Aufträgen, ausgelöst durch Investitionen in neue Produktionsanlagen und verstärkte Instandhaltungsbemühungen der Betreiber. Langfristig wollen wir in den USA einen Marktanteil von 10% erreichen. In China haben wir zunächst mit einem chinesischen Mitarbeiter begonnen, der nach einer entsprechenden Weiterbildung hier in Deutschland die lokale Struktur in Shanghai aufgebaut hat. Inzwischen sind wir in China mit 25 Mitarbeitern präsent - bei einem umgerechneten Jahresumsatz von ca. 1 Mio. €. Anfang dieses Jahres eröffnen wir ein Büro in der Nähe von Hong Kong und Ende 2008 ein weiteres im Großraum Peking. Unser dortiges Leistungsangebot entspricht - abgesehen von den Prüfungen, die dort nur staatlicherseits vorgenommen werden dürfen - im Wesentlichen dem, das wir in Deutschland haben - bei gleicher Qualität, aber zu chinesischen Marktpreisen. In den nächsten Jahren wollen wir in China auf 300 bis 400 Mitarbeiter wachsen; dies wollen wir zur einen Hälfte durch organisches Wachstum erreichen und die andere Hälfte wird durch Firmenakquisitionen dazu kommen.

Gibt es weitere Pläne in Asien?

H.-N. Rindfleisch: Nach einer viel versprechenden Marktstudie zum Markteintritt in Singapur wollen wir dort zum Jahresende mit einer eigenen Abteilung vertreten sein. Derzeit laufen noch Studien für den Markteintritt in Indien und Süd-Korea - das bleibt also noch abzuwarten.

Wie sieht es hier in Europa mit dem Ausbau Ihres Geschäfts aus?

H.-N. Rindfleisch: Wir wollen in den Benelux-Staaten, in Norditalien, Spanien und England Fuß fassen, indem wir dort Niederlassungen gründen oder bestehende Unternehmen erwerben.

Was bietet der TÜV Süd Chemie Service, was Ihre Wettbewerber nicht haben?

H.-N. Rindfleisch: Wir sind ein Full Service Provider, der entlang der Lebenslaufkette einer Chemieanlage eine integrierte Produktpalette rund um die Themen Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit anbietet, einschließlich der erforderlichen Anlagendokumentation. Basierend auf unseren jahrzehntelangen Erfahrungen in der Chemieindustrie haben wir eine SAP-basierte Software entwickelt, mit deren Hilfe Anlagenprüfungen terminiert, abgewickelt und aussagekräftig dokumentiert werden können. Diese Tidoc - Technical Inspection Documentation - genannte Software bildet die Basis für eine lückenlose technische Dokumentation der Anlage - inklusive aller Ausrüstungen und Inspektionen. Sie ermöglicht außerdem die Planung und Abwicklung der Inspektionen und Prüfungen bei Shut Downs. Dieses System ist voll in die SAP-IT unserer Kunden integriert und kann an spezielle Kundenanforderungen angepasst werden. Mit Tidoc haben unsere Kunden den kompletten Überblick über ihre Anlagen - überall auf der Welt. Damit tragen wir wesentlich zu deren Compliance Management bei. Mit der Software Sitam verfügen wir außerdem über ein zweites, ähnliches System, das wir von Signum übernommen haben. Dieses System ist internet-basiert.

Kurzprofil TÜV Süd Chemie Service

Der TÜV Süd Chemie Service bietet weltweit Dienstleistungen rund um Sicherheit, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Produktions- und Nebenanlagen für die Chemie- und Prozessindustrie an.

  • Qualitätsmanagement bei Investitionsprojekten im In- und Ausland unter Anwendung von nationalen/internationalen Regelwerken, landesspezifischen Vorschriften und Kundenspezifikationen
  • Unterstützung bei der Herstellerauswahl/Auditierung
  • Unterstützung bei konstruktiver Gestaltung und Spezifikationen von Apparaten, Rohrleitungen, Armaturen, Pumpen etc.
  • Festigkeits-, Standsicherheits-, Stress- und Sonderberechnungen
  • Fertigungsüberwachung, werkstofftechnische Prüfungen, Qualitätssicherung
  • Zertifizierungen nach der Druckgeräterichtline (DGRL)
  • Expediting
  • IT-basiertes Datenmanagement und Dokumentation von Anlagen und Inspektionen

Die TÜV Süd Chemie Service gehört zur TÜV Süd-Gruppe. Hervorgegangen ist das Unternehmen aus der Technischen Überwachung von Bayer in Leverkusen und seit dem 1. April 2005 eigenständig tätig. 2006 wurde der TÜV Süd Chemie Service um die aus der Technischen Überwachung der Hoechst hervorgegangene Signum Gesellschaft für Anlagensicherheit erweitert.