Dieter Posch im Interview: Schnell und beweglich
Hessen vereint gute Logistik, kompetente Behörden und innovative Forschung mitten in Deutschland
An Hessen führt kein Weg vorbei - lautet der Slogan der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Was macht den Standort gleichermaßen attraktiv für internationale Chemie- und Pharmakonzerne wie für die Zukunftsindustrien Biotechnologie oder Nanotechnologie? Dr. Andrea Gruß befragte dazu Dieter Posch, Hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung.
CHEManager: Welches sind die Wachstumstreiber der hessischen Wirtschaft?
D. Posch: Die größten Branchen in Hessen sind Chemie, Maschinenbau, Automobil sowie die Elektro- und die Metallindustrie. In der wirtschaftlichen Gesamtschau zeigt sich, dass alle fünf durch enge Vernetzung voneinander profitieren. Ein Bindeglied ist die exzellente Logistik-Infrastruktur. Das ermöglicht Schnelligkeit und Beweglichkeit bei der Umsetzung von Strategien.
Die Chemie ist einer der Motoren der hessischen Wirtschaft. Dabei liegen die Anfänge dieser Branche schon mehr als 140 Jahre zurück. Heute macht sie in Hessen die Hälfte ihres Umsatzes mit der Herstellung pharmazeutischer Erzeugnisse.
Wie fördern Sie Zukunftstechnologiefelder?
D. Posch: Wir wollen den Technologiestandort Hessen ausbauen. Dazu setzen wir ein Instrumentarium ein, das von der Stärkung der Technologie-Infrastruktur bis zu Finanzierungshilfen reicht. So fördern wir beispielsweise das Frankfurter Innovationszentrum für Biotechnologie FIZ und bauen im Rahmen der Landes-Offensive Loewe exzellente Forschungszentren und -schwerpunkte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen massiv aus.
Zur Biotechnologie, Nano- und Materialtechnologie, Umwelttechnologie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie haben wir Aktionslinien als zentrale Informations-, Kommunikations- und Kooperationsplattformen dieser Zukunftsbranchen aufgebaut und stehen den Technologieunternehmen als Partner zur Seite. Zudem fördern wir technologieorientierte Unternehmensgründungen. Mit Science4life haben die Hessische Landesregierung und Sanofi-Aventis in einer Public-Private-Partnership die größte Gründerinitiative für den Bereich Life Sciences und Chemie in Deutschland aufgelegt.
Um innovative Ideen schneller in marktfähige Produkte umzusetzen, fördern wir Forschungs- und Entwicklungsprojekte kleiner und mittlerer Unternehmen mit Zuschüssen und stellen darüber hinaus Finanzierungsangebote als Bürgschaften, Darlehen oder Beteiligungskapital zur Verfügung.
Welche Bedeutung hat eine regionale Wirtschaftsförderung für internationale Konzerne?
D. Posch: Regionale Wirtschaftsförderung schafft das für international tätige Unternehmen notwendige Umfeld. Unsere Förderung richtet sich daher an kleine und mittelständische Firmen. Die Großindustrie schätzt die Nähe zu Zulieferern und Dienstleistern - aber auch zu kleineren, sehr flexiblen Konkurrenten, da diese immer Impulse für Innovation und Wachstumschancen geben. Und natürlich schaffen wir die Infrastruktur - in erster Linie die Verkehrsinfrastruktur. Denken Sie nur an den Ausbau des Großflughafens Frankfurt. Zur Infrastruktur gehören aber auch kompetente, spezialisierte Genehmigungsbehörden. In den hessischen Regierungspräsidien ist das Know-how für die komplexen Anlagen der Großchemie und „Big Pharma" vorhanden. Deshalb zählen wir zu den Standorten mit den deutschlandweit kürzesten Genehmigungsverfahren nach dem Gentechnik- und dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Das ist für die Unternehmen ein geldwerter Vorteil.
Die aktuelle Standortstudie „Biotechnologie in Hessen" zeigt ein deutliches Umsatzwachstum der Branche in den vergangenen Jahren. Was macht den Standort Hessen für Biotechnologieunternehmen interessant?
D. Posch: Im Gegensatz zu anderen Biotech-Standorten ist Hessen durch etablierte große und mittlere Pharma- und Chemieunternehmen geprägt, die nicht nur biotechnologisch forschen und entwickeln, sondern schon in großem Maßstab produzieren. So findet sich in Hessen die gesamte Wertschöpfungskette in der Biotechnologie, und das ist für die Unternehmen natürlich hochattraktiv. Die hessischen Biotech-Unternehmen geben ihrem Bundesland als Technologiestandort daher auch gute Noten: 95 % der Unternehmen sind mit dem Standort Hessen insgesamt zufrieden, 71 % beurteilen den Standort sogar als „gut" oder „sehr gut". Besonders positiv bewerten die Firmen die wichtigen Standortfaktoren „qualifiziertes Personal", „Qualität der Forschungseinrichtungen" sowie „Verkehrsinfrastruktur". Das sind die klassischen hessischen Stärken - und darauf sind wir stolz.
Welche Stellung hat die Biotechnologie Hessens im nationalen Wettbewerb?
D. Posch: Hessen ist der Standort der produzierenden Biotechnologie in Deutschland. Damit unterscheiden wir uns grundlegend von anderen Biotechnologie-Standorten. An Deutschlands größtem Pharmastandort dominiert naturgemäß die Rote Biotechnologie, die in Hessen 81 % zum Umsatz der Biotech-Branche beiträgt. An Bedeutung gewinnt die Weiße Biotechnologie mit ihren Anwendungen in der Chemie. Ihr Umsatzanteil hat sich in den vergangenen sechs Jahren auf 11 % verdoppelt.
Welche Bedeutung hat die hessische Biotech-Branche als Arbeitgeber?
D. Posch: In Hessen ist die chemisch-pharmazeutische Industrie traditionell stark und hat mit rund 59.000 Beschäftigten eine große Bedeutung für den Arbeitsmarkt. Die Biotechnologie spielt in Chemie und Pharma eine immer größere wirtschaftliche Rolle. Es ist deshalb klar, dass die Etablierung der Biotechnologie für die Zukunftsfähigkeit des Chemie- und Pharmastandorts Hessen eine herausragende Bedeutung hat.
Schon heute sind in der Biotechnologie in Hessen 225 Unternehmen tätig. 19.500 Beschäftigte arbeiten in der Biotechnologie - 2.500 mehr als bei der vorigen Erhebung im Jahr 2002.
Die Biotechnologie ist auf Wachstumskurs und verspricht ein Jobmotor zu werden. Das ist nicht nur meine Überzeugung; es ist auch das Kernergebnis einer Studie zur Wettbewerbsfähigkeit und den Beschäftigungspotentialen der Biotechnologie in Deutschland, die das Deutsche Institut für Wirtschaft und das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung veröffentlicht haben. Danach sind deutschlandweit schon über 440.000 Arbeitsplätze von der Biotechnologie beeinflusst - Tendenz steigend auf rund 600.000 Arbeitsplätze im Jahr 2020.
Wachstumsstarke Branchen wie die Bio- oder Nanotechnologie brauchen qualifizierten Nachwuchs. Wie unterstützen Sie Unternehmen der Region bei der Gewinnung ihrer Nachwuchskräfte?
D. Posch: Meine Kollegin Dorothée Henzler stärkt als Kultusministerin den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht. Aber auch die Wirtschaft und das Wirtschaftsressort müssen die Schulen, die Lehrer und natürlich die Schüler dabei unterstützen. Deshalb beteilige ich mich auch als Wirtschaftsminister immer wieder an Aktionen, die die Faszination von Naturwissenschaft und Technik für junge Menschen erlebbar machen. So haben wir gemeinsam mit dem VCI Hessen und den hessischen Industrie- und Handelskammern das rollende Labor Biotechnikum des Bundesforschungsministeriums für eine sechswöchige Tour durch zwölf hessische Städte geholt. Mit der gerade laufenden Hessen-Tour des Biotechnikums geben wir auch in diesem Jahr hessischen Schülerinnen und Schülern wieder die Möglichkeit, Biotechnologie auf außergewöhnliche Weise kennenzulernen. Indem wir unseren Nachwuchs frühzeitig für Technologien der Zukunft begeistern, eröffnen wir individuelle Chancen und investieren zugleich in die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.