Gründen als Experiment
Gründer in der Chemie sind selten wie Pandas, eine Initiative der Hochschule Fresenius will Abhilfe schaffen
In Deutschland studieren aktuell etwa 20.000 Menschen einen chemischen Studiengang oder promovieren auf diesem Gebiet. Nur für wenige von ihnen ist die Gründung eines Unternehmens ein möglicher Karriereweg. Stephan Haubold, Professor für MINTrepreneurship an der Hochschule Fresenius in Idstein möchte dies ändern: Seine Initiative „PANDA“ soll mehr MINT-Absolventen für die Gründungen eines Unternehmens begeistern. Andrea Gruß sprach mit ihm über Wege zu mehr Unternehmertum in der Chemie.
CHEManager: Die zunehmende Präsenz von Start-ups und Gründern in den Medien erweckt den Eindruck, dass die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland steigt. Ist das richtig?
Stephan Haubold: Leider nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Gründerzahlen sind 2018 um 2 % im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Verglichen zu 2016 gingen sie sogar um 18 % zurück. Nach dem aktuellen KfW-Gründungsmonitor sank 2018 die Zahl der Nebenerwerbsgründungen um rund 10 %, gleichzeitig stiegen die Haupterwerbsgründungen um 8 %. Ob man das als eine Trendwende bezeichnen kann, wage ich zu bezweifeln. Was die Präsenz in den Medien betrifft: Wir scheinen den Nervenkitzel zu genießen, Menschen beim Gründen zuzusehen – aus sicherer Entfernung auf unseren Sofas.
Nur für wenige Absolventen eines chemischen Studiengangs ist die Gründung eines Start-ups ein möglicher Karriereweg. Worauf führen Sie dies zurück?
S. Haubold: Die meisten, mit denen ich spreche, lehnen das Gründen nicht ab, sondern haben einfach noch nie darüber nachgedacht. Chemiker sind Menschen, die es gewohnt sind, einen Plan zu haben, Experimente unter stabilen Bedingungen durchzuführen und dass es für alles ein Naturgesetz gibt. Nach dem Motto, wenn ich die Gesetzmäßigkeit kenne, kommt auch das raus, was ich haben will. Im Geschäftsleben ist das nicht so. Pläne halten dort selten der Wirklichkeit stand. Hinzu kommt, dass Chemiker mit der chemischen Industrie einen scheinbar vorgezeichneten Karriereweg haben.
Warum braucht es dennoch mehr Start-ups in der Chemie?
S. Haubold: Die chemische Industrie investierte 2016 4,6 % ihrer Umsätze in Innovationen, die pharmazeutische Industrie hingegen 17,5 %. Das macht deutlich, wieviel Luft die Chemieindustrie diesbezüglich noch nach oben hat. Gleichzeitig nehmen die Herausforderungen in der Branche zu. Klimawandel, Umweltverschmutzung und nicht zuletzt die gesellschaftliche Akzeptanz von chemischen Produkten machen der Industrie schwer zu schaffen. Die Frage wird nicht sein, ob sich die chemische Industrie neu erfinden muss, sondern wann. Hierbei spielen Start-ups eine große Rolle. Sie haben die Fähigkeit, neu zu denken. Sie kümmern sich nicht um vorhandene Strukturen oder Dogmen. Sie probieren aus, können sehr schnell ihre Richtung ändern und vieles in kurzer Zeit ausprobieren. Natürlich verschwinden auch viele Start-ups wieder bevor sie kommerziell erfolgreich werden. Doch um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, sollten wir schnell so viele Ideen testen wie möglich.
Wie bewerten Sie die Förderangebote für Technologiegründungen in Deutschland? Was bedarf es über eine finanzielle Förderung hinaus, damit die Zahl der Gründungen steigt?
S. Haubold: Die Förderung in Deutschland ist toll! Seit dem Jahr 1998 werden Technologiegründungen durch die Exist-Programme des BMWi unterstützt. Im Jahr 2005 ging der High-tech Gründerfonds, kurz HTGF, an den Start, um nur zwei Beispiele zu nennen. Allerdings ist die Nachfrage im Bereich der Chemie gering. In Deutschlands drittgrößter Branche werden nur 10-15 Start-ups pro Jahr gegründet. Und das, obwohl nach einer Erhebung der GDCh im Jahr 2018 rund 2.000 Chemikern in Deutschland ein Doktortitel verliehen wurde und über 2.300 ihren Master abschlossen. Rund die Hälfte der promovierten Absolventen wanderte direkt in etablierte Firmen, ein Drittel begann einen Postdoc oder im öffentlichen Dienst. Nur wenig des Know-hows erreicht kommerzielle Märkte in Form eigenständig vermarkteter Innovationen.
Gründer in der Chemie sind so scheu, selten und schwer zu reproduzieren wie Pandas. Damit es wirklich mehr werden, sollten wir dort suchen, wo sich junge Studierende noch im Unklaren darüber sind, wie ihr nächster Karriereschritt aussehen sollte. Vor allem sollten wir das Gründen nicht akademisieren, sondern den Forscherdrang von Chemikern ausnutzen und experimentell vorgehen.
„Wir scheinen den Nervenkitzel zu genießen, Menschen beim Gründen zuzusehen – aus sicherer Entfernung auf unseren Sofas.“
Genau hier setzen Sie mit Ihrer Initiative „PANDA“ an. Wie gehen Sie dabei vor?
S. Haubold: PANDA bedeutet ausgeschrieben Powering Actions for the Natural Development of MikroAccelorators. Mikroacceloratoren nennen wir eine Gruppe bestehend aus zwei Studierenden und einem Mentor, der bevorzugt aus einem Unternehmen kommt und der eine Idee mitbringt, die sonst liegen geblieben wäre. Dieses PANDA-Team kümmert sich um des sogenannte Proof of Market Concept. Es geht darum herauszufinden, ob die Idee kommerziell erfolgreich sein kann. Dafür werden potenzielle Kunden befragt, aktuelle Probleme evaluiert und Geschäftsmodelle und das Wertversprechen entwickelt. Am Ende steht ein Businessplan einschließlich einer detaillierten Realisierungs- und Finanzplanung. Die Studierenden haben das Gründen dann experimentell erfahren und der Industriepartner eine evaluierte Idee, die er nun ausgründen, selbst realisieren oder verwerfen kann. Der Aufwand ein PANDA-Projekt zu realisieren ist klein. Eine Idee, drei Menschen und schon kann es losgehen. Schnell und unkompliziert. Bislang haben wir sieben Mikroacceloratoren mit der Initiative begleitet und 14 Menschen für eine Unternehmensgründung begeistert. Aktuell suchen wir wieder nach Unternehmenspartnern für die nächste PANDA-Runde.
„Wir sollten das Gründen nicht akademisieren, sondern den Forscherdrang von Chemikern ausnutzen und experimentell vorgehen.“
Abschreckend für einige potenzielle Gründer wirkt die Bürokratie, die mit einem Unternehmensstart verbunden ist. Sie haben als Experte an der Entwicklung des Leitfadens DIN Spec 91354 für Unternehmensgründungen mitgewirkt. Wird es künftig eine DIN-Norm für Start-ups geben?
S. Haubold: Nein. Das ist ein Missverständnis. Wir werden Start-ups nicht normieren. Das widerspräche der Natur von Start-ups. Sie sollen Grenzen sprengen und neue Wege gehen. Gleichzeitig braucht ein Start-up Menschen, Freedom to Operate, Kunden und Geld. Daran ändert sich voraussichtlich erst einmal nichts. Was wir getan haben ist, diese sogenannten unverzichtbaren „Bodenpunkte“ zu identifizieren. Diese Bodenpunkte sollten bei der Planung und dem Aufbau eines Chemie-Start-ups nicht unberücksichtigt bleiben. Warum sollte das jedes Mal teuer neu erfahren werden müssen? Wir haben das Know-how von vielen Jahrzehnten Gründererfahrung mit eingebracht. Auch Erfahrungen mit dem Scheitern von Technologiegründungen. Das Ziel ist es, Gründern und Investoren einen Rahmen an die Hand zu geben, an dem sie sich orientieren können. Mit dem Leitfaden DIN Spec erleichtern wir es Gründern, sich auf den Kern ihres Könnens zu konzentrieren.
Zur Person:
Stephan Haubold ist Studiendekan für Wirtschaftschemie und MINTrepreneurship der Hochschule Fresenius in Idstein (HSF). Zudem hat er die wissenschaftliche Leitung des Competence Centers for Entrepreneurship Frankfurt Rhein/Main der HSF inne. Haubold studierte Chemie in Hamburg. Im Dezember 2018 wurde er zum Professor im Fachbereich Chemie und Biologie der HSF berufen.