Risikomanagement in der Praxis
Folge 5: Notfall-Checkliste Hochwasser und Überflutungen
Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser und Überflutungen sind in den meisten Unternehmen eher selten ein Thema. Dabei haben viele große Chemieunternehmen Standorte in der Nähe von Wasserstraßen oder in Küstennähe gewählt, weil hier durch Umschlagplätze wie Häfen und Güterbahnhöfe beste Transportmöglichkeiten für Werkstoffe und Produkte vorhanden sind.
Personen und Sachwerte zu schützen und Betriebsunterbrechungen zu vermeiden ist eine der wichtigsten Managementaufgaben. Die Herausforderung: Viele Gefahren sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. CHEManager stellt regelmäßig Risiken und Lösungsansätze vor, auf die Sicherheitsbeauftragte und Werksleiter ein besonderes Augenmerk legen sollten - von A wie Ammoniak bis Z wie Zutrittskontrolle. In dieser Folge geht es um Risiken durch Hochwasser und Überflutungen.
Sicherheitsvorkehrungen und Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser und Überflutungen sind in den meisten Unternehmen eher selten ein Thema. Dabei haben gerade viele große Chemieunternehmen Standorte in der Nähe von Wasserstraßen oder in Küstennähe gewählt, weil hier durch Umschlagplätze wie Häfen und Güterbahnhöfe beste Transportmöglichkeiten für Werkstoffe und Produkte vorhanden sind. Oft ist der Unternehmensleitung gar nicht bewusst, wie groß das Überflutungsrisiko in ihrer Region ist.
Hier müssen Risikomanager aktiv werden. Denn ohne einen geeigneten Maßnahmenplan können wichtige Anlagen, Maschinen oder Werkstoffe unwiederbringlich zerstört werden - die Folge sind lange Betriebsunterbrechungen, die die Existenz des gesamten Unternehmens gefährden können.
Unterschätzte Gefahr
Nicht nur an großen Flussläufen besteht Gefahr. Oft stauen sich die Wassermassen in die kleineren Flusszuläufe zurück. Zudem sind gerade in Industrieregionen die Wasserwege häufig begradigt. Doch ohne die natürlichen Überflutungsgebiete wie Auen kann der Pegel rasant ansteigen und Städte sowie angrenzende Industriegebiete werden überflutet. Bei extremen Regenfällen kann die städtische Kanalisation die Wassermassen nicht mehr vollständig aufnehmen.
Der Abwasserspiegel steigt und drückt in die Anschlusskanäle - tieferliegende Gebäudebereiche werden dann über die Entwässerungsleitungen geflutet. Die Rückstausicherungen des eigenen Kanalisationssystems sollten deshalb regelmäßig überprüft werden.
Schäden verringern durch Notfallpläne
Ein Hochwasser-Notfallplan kann helfen, Schäden zu minimieren. Wichtig dabei ist, einen genauen Überblick zu erlangen, wie und wo ein mögliches Hochwasser die Industrieanlagen treffen könnte. Erst dann kann eine adäquate Notfallorganisation aufgebaut und Mitarbeiter entsprechend geschult und vorbereitet werden. Zudem gilt es sicherzustellen, dass das Unternehmen über alle notwenigen Ressourcen verfügt, um schnell und effektiv Rettungsmaßnahmen einleiten und größere Schäden und Betriebsunterbrechungen verhindern zu können. Es ist daher ratsam, jährliche Überprüfungen vorzunehmen und eine oder mehrere Notfallübungen durchzuführen.
Maßnahmen-Checkliste
Besteht konkret die Gefahr von Hochwasser oder Überflutung, sollte jedes betroffene Unternehmen umgehend folgende Maßnahmen ergreifen:
- Die Hochwassersituation im Auge behalten. Ein verantwortlicher Mitarbeiter oder der Leiter der Notfallorganisation hält Kontakt zu den Behörden und verfolgt die Berichterstattung der Medien, um neue Entwicklungen schnellstmöglich an die Notfallorganisation im Unternehmen weiterleiten zu können.
- Geräte und Werkstoffe in sichere Gebäudebereiche verlegen. Dazu zählen nicht nur besonders hochwertige Geräte und Materialien, sondern vor allem solche, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs unerlässlich sind. Dabei kann es sich um spezielle Anlagen, Elektronik, Computer und Speichermedien, Aufzeichnungen, Testanlagen, Formen oder Proben handeln; aber auch um Fahrzeuge wie LKWs oder Gabelstapler. Speziell im Chemiebereich sind zudem stoffspezifische Eigenschaften in Zusammenhang mit Feuchtigkeit zu beachten: Korrosion, Kontamination und sogar exotherme Reaktionen bei Kontakt mit Wasser müssen verhindert werden.
- Brandschutzmaßnahmen ergreifen für die Zeit während der Überflutung. Droht eine Überflutung, denkt man nicht sofort an Brandgefahren. Doch können die Wucht von Fließwasser und der bloße Druck stehenden Wassers zu schweren Schäden an Strom- und Gasleitungen führen. Deshalb müssen diese abgeschaltet werden, um Kurzschlüsse an Elektroanlagen und Lecks in Gasleitungen zu vermeiden. Wird die Sprinklerpumpe elektrisch betrieben, sollte in jedem Fall eine dieselbetriebene Ersatzpumpe angeschafft werden. Bei chemischen Prozessen kann zudem eine geregelte Temperaturführung von Bedeutung für einen unbeschadeten Weiterbetrieb der Anlage sein.
- Barrieren installieren. Mit diesen werden die Gebäude, vor allem aber neuralgische Punkte wie Sprinklersteigleitungen, Außenschieber und Hydranten vor Treibgut geschützt. Ebenso wird dadurch eine Trennung von mit Chemikalien verschmutztem Wasser und dem Hochwasser geschaffen, so dass sich Gefahrstoffe nicht weiter verteilen können und weitere Schäden verhindert werden.
- Sandsäcke füllen und platzieren, wo Wasser in das Gebäude eindringen kann. Vorinstallierbare oder mobile Schotts sind für Betriebe in gefährdeten Regionen besonders zu empfehlen. Türen und Fenster sollten besonders geschützt werden, da diese durch umher schwimmendes Treibgut beschädigt werden können. Dann dringt Wasser ungehindert in das Gebäude ein, obwohl alle Spalten, Schlitze und Fugen ordnungsgemäß abgedichtet waren.
- Materialien und Anlagen sichern, die sich im Freien befinden oder die nicht in sichere Gebäudebereiche verlegt werden können. Bei chemischen Prozessanlagen ergibt sich dabei häufig ein differenzierter Aktionsrahmen: Einerseits können z.B. Behälter aufschwimmen und deren Verbindungen abreißen. Hier sollte eine Notbefüllung mit einer unschädlichen Flüssigkeit in Erwägung gezogen werden.
- Die Versorgung mit brennbaren Flüssigkeiten und anderen Risikostoffen unterbrechen und die entsprechenden Leitungen leeren. Treten gefährliche Chemikalien aus, können sie sich über das stehende Wasser schnell verbreiten. Das erhöht nicht nur die Brandgefahr, sondern kann auch erhebliche Gesundheits- und Umweltrisiken mit sich bringen.
- Bei Außerbetriebnahme von Brandschutzvorrichtungen oder der Wasserversorgung immer Expertenrat einholen. In einer Notfallsituation ist auch die FM Global Brandschutzmappe sehr hilfreich (Whitepaper „Brandschutzmappe" online abrufbar).
- Den Versicherer kontaktieren, um die Vorsichtsmaßnahmen abzustimmen. Große Industrieversicherer besitzen Expertenteams aus Ingenieuren und speziell geschulten Risikomanagern, die wertvolle Ratschläge für die jeweilige Gefahrenlage geben und vor Ort bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen helfen.
Zusätzlich sollten bereits präventiv erste Maßnahmen erfolgen. So können festinstallierte Anlagen mit wasserabweisendem Rostschutzanstrich versehen werden. Zulieferer, Abnehmer, Fremdfirmen und Reparaturunternehmen sollten identifiziert werden, so dass diese im Krisenfall rechtzeitig informiert werden können. Zugleich sollte ein betriebsinterner Bergungstrupp aufgestellt werden, der vorbereitet und geschult ist, die Maßnahmen aus dem Notfallplan umzusetzen.
Aufräumarbeiten bergen neue Gefahrenquellen
Der Bergungstrupp sollte unverzüglich mit seiner Arbeit beginnen, sobald sich das Wasser zurückzieht. Zunächst gilt es, den Zustand des Betriebsgeländes und die Schäden an Gebäuden, Geräten und Werkstofflagern festzustellen. Bevor allerdings mit den Aufräumarbeiten in den Gebäuden begonnen werden kann, müssen diese unbedingt zunächst auf Statik und Sicherheit überprüft werden, da Auftrieb und Druck des Wassers eine enorme Belastung für die Bausubstanz bedeuten.
Deshalb kann es unter Umständen notwendig werden, bei Hochwasser die Untergeschosse der Betriebsgebäude mit sauberem Wasser zu fluten, um einen Gegendruck zu erzeugen. Dieses Wasser wird nach der Überschwemmung wieder abgepumpt. Ein Totalschaden des Gebäudes aufgrund fehlender Stabilität kann so verhindert werden.
Brandschutzanlagen sollten während der Aufräumarbeiten unbedingt in Betrieb bleiben, da sich während der Aufräumarbeiten große Mengen brennbarer Materialien ansammeln, seien es beschädigte Gefäße, Tanks und Behälter, Holzlatten von beschädigten Paletten, Treibgut, oder Leitungen, aus denen brennbare Flüssigkeiten oder andere gefährliche Chemikalien auslaufen. Diese Gefahrenquellen müssen als erstes beseitigt werden, um Folgeschäden zu verhindern. Anschließend kann mit dem Trocknen und Entfeuchten betriebswichtiger Anlagen und Bereiche begonnen werden und können nicht abgelaufenes Wasser und Sedimente entfernt werden.
Testläufe vor Wiederinbetriebnahme
Es wird dringend angeraten, alle Anlagen einem gründlichen Testlauf zu unterziehen. Dabei sollten sich insbesondere Chemieunternehmen nicht nur auf Anlagen konzentrieren, die vor dem Hochwasser außer Betrieb genommen wurden und solche, die repariert werden mussten, sondern auch jene Anlagen prüfen, die scheinbar nicht beschädigt wurden. Werden bei Reparaturen Heißarbeiten durchgeführt, ist ebenfalls mit besonderer Vorsicht vorzugehen (Whitepaper „Heißarbeiten" online abrufbar).
Kontakt
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