Vormarsch ins Hinterland – China auch weiterhin im Fokus der Chemie
21.10.2013 -
Vormarsch ins Hinterland – China auch weiterhin im Fokus der Chemie.
China und Indien bestimmen die Zukunft. Schlagzeilen wie diese dominieren seit geraumer Zeit die Medien.
Ein Blick in die unaufhörlich überbuchten Asien-Flüge aller europäischen Airlines zeigt ebenso, dass der Boom in Fernost weiterhin anhält und wohl auch noch eine ganze Weile den Chemiemanagern der Welt einen regelmäßigen Jetlag bescheren wird.
Grund genug, sich einmal vertiefend damit auseinanderzusetzen, wo eigentlich aus Sicht der Chemieindustrie die Investitionen in China getätigt werden und welche Investitionsbedingungen dort vorzufinden sind.
Auch wenn die Volksrepublik China immer noch eine stark staatsgelenkte Volkswirtschaft darstellt, ist die Zeit der staatlichen Allokation von Joint- Venture-Partnern zumindest für die meisten Investitionsprojekte ein Relikt der Vergangenheit.
Hundertprozentige Eigeninvestitionen auch für größere Vorhaben sind mittlerweile nicht nur üblich, sondern zumeist auch für die etablierten ausländischen Firmen die bevorzugte Variante.
Diese hat den Vorteil, bei der Standortentscheidung für eine neue Investition frei von Zwängen des Partners zu sein. Entscheidend sind dann lediglich Markt- und Standortkriterien.
Hinsichtlich der Standortalternativen hat sich in den letzten zehn Jahren in China sehr viel getan. Die Sonderwirtschaftszonen im Hinterland Hongkongs und Chinas „Fenster zur Welt", Shanghai, haben mittlerweile eine große und zumeist auch sehr umtriebige Konkurrenz bekommen.
Die meisten der Industrieund Chemieparks sind in den Küstenprovinzen zu finden - mit wesentlichen Konzentrationen in Shanghai und dessen Nachbarprovinzen, dem Pearl River Delta sowie im Nordosten des Landes.
Diese Konzentration hat in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer immer größeren wirtschaftlichen und damit auch sozialen Kluft zwischen den küstennahen Provinzen und dem Hinterland geführt.
Mittlerweile steht aber auch gerade dieses Hinterland im Fokus der Investoren. Es ist mittlerweile eine Wanderungsbewegung insbesondere von arbeitskräfteintensiven Branchen wie der Textilindustrie in den Westen des Landes zu verzeichnen, welche durch die schnell steigenden Arbeitskosten im Osten unter Druck gerät.
Zeitgleich haben Rohstofffunde (z. B. Erdöl- und Erdgasfelder) in Chinas Westen auch andere Branchen wie z. B. die Chemieunternehmen über Investitionen nahe den Rohstoffquellen nachdenken lassen.
Dies führte mittlerweile zur Gründung verschiedener Chemieparks und ersten ausländischen Investitionen auch in diesem Teil des Landes.
Sollte im Rahmen einer Investitionsabsicht das Marktumfeld und der Großraum für die Standortwahl erst einmal eingegrenzt sein, so bietet sich dem potentiellen Investor trotz allem eine scheinbar grenzenlose Auswahl von Standortmöglichkeiten.
Allein die Stadt Shanghai hat bereits zirka 100 Gewerbe- und Industriegebiete.
Genau diese schier unermessliche Auswahl führt jedoch bereits zum ersten Problem. Von den ca. 800 Industriezonen von Shanghais Nachbarprovinz Zhejian sind derzeit nur ca. 200 Zonen wirklich operativ.
Außerdem stehen viele dieser Gebiete trotz oftmals vorhandener Fokussierung auf bestimmte Industrien miteinander in starkem Wettbewerb.
Für den ausländischen Investor ist es daher von besonderer Wichtigkeit, sehr frühzeitig und sorgfältig die realen Fähigkeiten und Referenzen der in Frage kommenden Industriegebiete abzuklären.
Eine Prüfung, welche Behörde das Industriegebiet ausgewiesen hat und welche erfolgreichen Ansiedlungen bereits als Referenz dienen können, ist sehr anzuraten, ebenso wie eine persönliche Inaugenscheinnahme.
Flexibilität versus Rechtssicherheit
Fragt man Geschäftsleute nach ihren besonders positiven Erfahrungen in China, so wird fast immer auf die hohe Dynamik und Flexibilität verwiesen.
Fragt man dagegen nach Gründen für Frustration, so wird fast immer ein Mangel an Verbindlichkeit bei Zusagen sowie die mangelnde Rechtssicherheit beklagt. Eine Lösung für diesen augenscheinlichen Widerspruch zu finden ist mit dem geometrischen Problem der Quadratur des Kreises zu vergleichen.
Teilweise birgt dieses Problem aber auch positive Züge, es ist einer der besonders großen Standortvorteile Chinas, dass Investitionsentscheidungen bei Bedarf relativ zügig umgesetzt werden können und bürokratische Hürden zum Teil recht pragmatisch behandelt werden.
Dennoch erweist sich der gut gemeinte Wille von Industrieparkverwaltungen gerade im Hinterland, welche beim Ringen um Investitionen besonders viel Flexibilität zeigen wollen, oft als hinderlich.
Es ist zu beobachten, dass die Flexibilität in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Professionalität der jeweiligen Ansiedlungsbehörde steht.
Für einen Experten, der seinem Management ein nachhaltig gesichertes Investment zur Entscheidung vorlegen muss, ist das kein einfaches Umfeld.
Vision und Realität
Ein Besuch in einer chinesischen Industriezone beginnt praktisch immer mit einer Präsentation im zumeist sehr eindrucksvollen Verwaltungsbau der Ansiedlungsbehörde.
Ein Kontrastprogramm zu diesem Bau hingegen ist jedoch häufig die nachfolgende visuelle Besichtigung des Industrieparks. Auf der einen Seite sind die bis zu 80 Quadratkilometer großen Areale oft nur sehr spärlich bebaut und erschlossen und eher ländliche Idylle prägt das Bild. Anbindung an Ver- und Entsorgungseinrichtungen fehlen gänzlich oder in großen Teilen.
Auf der anderen Seite haben gerade viele der Chemiezonen unter den ambitionierten Visionen ihrer Gründungsjahre zu leiden, denn es gab deutlich überhöhte Erwartungen der Kommunen und Industrieparks an die mögliche Investitionsgeschwindigkeit. Aus diesem Grund wurden nicht selten Infrastruktureinrichtungen wie Kläranlagen, Wasserwerke, Kraftwerke, usw. in ihren Kapazitäten deutlich über Bedarf gebaut.
Die interessierten ersten Investoren, die eigentlich besonders attraktive Ansiedlungsförderungen im Sinne eines „Pioneer Status" erwarten, sehen sich dann nicht selten schwierigen Diskussionen ausgesetzt. Ein großes Land mit einer großen wirtschaftlichen Dynamik ermöglicht große Visionen - es erfordert diese sogar.
Die Kunst liegt jedoch darin, einen wirtschaftlich vertretbaren Spagat zwischen einer solchen Vision und einer schrittweisen Ansiedlung einzelner Investitionen zu erzielen.
Dies gilt weniger für die großzügige Ausweisung von Flächen für eine industrielle Nutzung. Derartige Planungen sind nicht nur von Weitblick geprägt, sondern sichern auch langfristig die Investitionen vor unnötigen Nachbarschaftskonflikten.
Wichtig ist dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass in China fruchtbare Böden eine sehr knappe Ressource darstellen und daher seitens der Zentralregierung die Baulandvergabe von Jahr zu Jahr restriktiver gehandhabt wird.
Ausblick
Ungeachtet der sicher vielfältigen Herausforderungen für ausländische Investoren bleibt die Volksrepublik China jedoch auch weiterhin im Fokus der Chemiebranche.
Nach den ersten vorsichtigen Anfängen und diversen „Kinderkrankheiten" haben gerade die etablierten großen chinesischen Chemieparks schnell hinzugelernt.
Allerdings gilt auch hier, dass Professionalität und moderne Infrastruktureinrichtungen ihren Preis haben. Und auch in China gilt die Regel, dass sich eine Investition letztendlich immer noch rechnen muss.
Nachdem über Jahre hinweg chinesische Delegationen zwecks Erfahrungsaustauschs in Europa unterwegs waren könnten nun durchaus auch die hiesigen Industrieparkbetreiber einmal Richtung Osten schauen. Angst davor sollten sie nicht haben - das brauchen sie auch nicht!
Kontakt:
Dipl.-Ing. Thomas Glatte
BASF SE, Ludwigshafen
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