Pharma-Vertrieb: Account-basierte Modelle & Go-to-Market-Modelle
20.01.2011 -
Pharma-Vertrieb: Account-basiertes Modell & Go-to-Market-Modelle - Das Umfeld für die pharmazeutische Industrie verändert sich dynamisch durch Integrationsprozesse und ökonomische Anforderungen. Dies führt zu einer Erhöhung des Umsatz- und Ertragsrisikos. Alle Unternehmen müssen daher ihr Geschäftsmodell und insbesondere ihren Marktbearbeitungsansatz überdenken.
Das Marktumfeld für die deutsche Pharmaindustrie hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert und steht unter einem anhaltend starken wirtschaftlichen Druck. Einen regelrechten Wendepunkt markiert das Jahr 2007; im Rahmen der Umsetzung des GKV-WSG wurde eine umwälzende Marktdynamik initiiert, die das absatzwirtschaftliche Umfeld für die Branche hierzulande fundamental verändert (§130a (8) und § 305a SGB V) hat: Neben mehr Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung und einer Verbesserung der sektorübergreifenden Versorgung wurden mit der Einführung von Rabattverträgen im großen Stil zusätzlich zu den bisherigen Festbetragsmechanismen und der Stärkung des IQWIGs die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Unternehmen deutlicher verändert als dies mit vorangegangenen Reformen geschah. Nach Jahren der eher „symptomatischen", regulatorischen Adjustierungen haben sich diesmal u.a. durch das Entstehen völlig neuer Entscheidungsträger im pharmazeutischen Vertriebswesen die Marktbedingungen fundamental, also „systemisch" verändert. Die Umsetzung des GKV-WSG hat Mechanismen in Gang gesetzt und beschleunigt, die das Umfeld für die Industrie fundamental verändern. Diese Mechanismen werden durch drei große Trends beeinflusst (Abb. 1).
Neben der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens dürfen auch die zunehmende vertikale und horizontale Integration als Katalysatoren eines fundamentalen Wandels der ‚Go-to-Market' Modelle von Pharmaunternehmen gelten. Die horizontale Integration ist dabei durch den strategischen Zusammenschluss von gleichartigen Einheiten auf einer Wertschöpfungsstufe gekennzeichnet, z.B. Praxisnetze, Praxisketten oder medizinischen Versorgungszentren.
Darüber hinaus breitet sich der private Krankenhaussektor in Form von teilweise börsennotierten Klinikketten weiter aus. Außerdem ist die Entstehung von Apothekenketten und ein daraus resultierender Verdrängungswettbewerb nach Fall des Mehrbesitzverbots, d.h. spätestens 2010, auch in Deutschland zu erwarten. Hierdurch entstehen u.a. neue Kundenstrukturen für die Pharmaindustrie, die sich durch eine massive Konzentration von Nachfragemacht auszeichnen (Abb. 1).
Diese Trends bedeuten, dass pharmazeutische Hersteller neuen Entscheidungsträgern gegenüber stehen und darauf muss sich die Pharmaindustrie einstellen: Ein Account-basierter Ansatz wird für die Bearbeitung von Kunden und Absatzkanälen wichtiger, da die Pharmaunternehmen zukünftig von weniger, aber mächtigeren Kunden abhängen werden. Außerdem müssen sich die Unternehmen darauf einstellen, dass sie einer größeren Nachfragekonzentration gegenüberstehen und sich Bezahler (u.a. Kassen) und Leistungserbringer integrieren und für beide ein einheitlicher Marketing- und Vertriebsansatz erforderlich wird. Für die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen haben wir einen Rahmen entwickelt, der auch die Dynamik der Zukunft abbildet (Abb. 2).
Die Dimensionen in diesem Ansatz sind der Wertbeitrag des jeweiligen Produktes bzw. Leistungsangebots und die Komplexität des Zielgruppenumfelds. Mit diesem Schema lassen sich die verschiedenen zukünftigen Kommerzialisierungsmodelle (Go-to-Market-Modelle) einordnen und erklären: Kassenverträge (Kassen sind die Entscheidungsträger im mehrheitlich ausschreibungsgetriebenen Markt), arztzentrierte Modelle (relevante Entscheidungsträger sind die traditionellen Zielgruppen) und Account-basierte Modelle (Institutionelle Leistungserbringer sind die Schlüsselkunden). Ein Blick auf die aktuellen Markttrends deutet daraufhin, dass die aktuelle Entwicklung insbesondere im Bereich Rabattverträge weitergeht und sich zukünftig auch wie im US-Markt auf den Gesamtmarkt erstrecken wird. Insgesamt werden Kassenvertrags- und Account-basierte Modelle an Bedeutung gewinnen und einen immer größeren Anteil des Marktes bestimmen. Entsprechend bleibt der arztzentrierte Bereich den innovativen Präparaten und Therapien sowie Nischen vorbehalten.
Die pharmazeutischen Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell überdenken, da sie sich einem dynamischen Umfeld gegenüber sehen, das für sie erheblich riskanter wird. Das zukünftige Geschäftsmodell muss sich dem erhöhten Risiko stellen und besonders die Aspekte Kommerzialisierungsmodell, Gestaltung und Kommunikation einer starken Wertposition sowie Schaffung einer flexiblen Organisations- und Kostenstruktur aufgreifen und neu definieren. Die Kunst wird es für die Unternehmen sein, die Schlüsselentscheidungen richtig und schnell zu treffen. Hierfür gilt es, sich auf die folgenden drei großen Themen zu konzentrieren und die damit verbundenen Fragen zu beantworten (Abb. 3)
Auswirkungen in Marketing und Vertrieb haben alle drei bisher definierten Kommerzialisierungsmodelle. In folgenden konzentrieren wir uns auf Schlüsselerfolgsfaktoren, neue Fähigkeiten, Rolle des Vertriebs und Rolle des Marketing für Account-basierte Modelle.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem klassischen Vertriebsmodell und einem Account-basierten Modell ist die komplexere Kundenstruktur bei Letzterem. Dies bedeutet, dass der Erfolg davon abhängt, inwieweit die Organisation in der Lage ist, die Entscheidungsstrukturen beim Kunden zu durchdringen und im eigenen Interesse zu beeinflussen. Die Existenz und Umsetzung eines „Best-in-Class" Planungsprozesses ist somit ein kritischer Erfolgsfaktor. Solche Prozesse finden sich heute vor allem bei professionellen Serviceorganisation und im Investitionsgüterbereich mit langen Verkaufszyklen. Ein wichtiger Bestandteil - und Erfolgsfaktor Zwei - ist die Fähigkeit, informative und handlungsorientierte Netzwerkstrukturen abzubilden. Das so genannte „Stakeholder Influence Mapping" ist dafür ein erprobtes Modell. Letztlich entscheidend ist die Koordination durch den Account Manager der internen Ressourcen mit den Bedürfnissen der verschiedenen Akteure im Netzwerk auf Kundenseite, den so genannten „Customer Touch Points".
Diese Koordination erfordert neue Fähigkeiten innerhalb der Organisation. Kundenteams sollten hierfür gebildet werden, die durch den Account Manager so geführt werden, dass die Customer Touch Points richtig bedient werden. Die Account Teams müssen zudem in die Lage versetzt werden, Verträge mit den institutionellen Kunden zu verhandeln und abzuschließen.
Der Außendienst hat in diesem Modell eine untersützende Funktion, besonders zur Betreuung der traditionellen Zielgruppen, die Verordnungen tätigen. Sie sind dabei in die Account Teams eingebunden. Beispielsweise werden in einem Medizinischen Versorgungszentrum, das über eine zentrale Instanz verfügt, die Leitlinien für die Therapie getroffen, der Außendienstmitarbeiter sorgt dann mit dafür, dass diese auch umgesetzt werden. (Key) Account Manager konzentrieren sich auf die neuen Zielgruppen, die eine Budgetverantwortung tragen bzw. die Therapieentscheidung beeinflussen.
Die Rolle des Marketing ist es, Botschaften auch für die neuen Zielgruppen zu entwickeln. Diese müssen die Bedürfnisse aller Zielgruppen - traditionelle und neue - berücksichtigen. Zu den Kundenaktionsplänen leistet das Marketing ebenfalls einen signifikanten Beitrag, z.B. durch die Gestaltung von „value-added services", Budgetargumenten und die Entwicklung auf die Kunden zugeschnittener Aktionspläne.
Dieses Account-basierte Modell ist besonders interessant, da es für den Vertrieb besondere Herausforderungen bereithält, die typischerweise in einem zugeschnittenen Entwicklungsprogramm bearbeitet werden müssen. Schlüsselherausforderungen hierbei sind strategische und taktische Kundenplanung, Verkaufsfähigkeiten und Coaching. Diese ruhen auf einem passenden Leistungsbeurteilungssystem, das für die richtigen Leistungsanreize sorgt; eine erfolgreiche Umsetzung dieses Modells erfordert eine detailerte Analyse der im Unternehmen vorhandenen Fähigkeiten sowie ein entsprechendes Qualifikationsprogramm zum Auf- bzw. Ausbau der notwendigen Qualifikationen.
Alle Unternehmen müssen einen konkreten Aktionsplan entwickeln, wie sie kurz- und mittelfristig ihr Geschäft weiterentwickeln wollen. Viele Fragestellungen sind zwar für alle Unternehmen im gleichen Maße relevant. Dennoch müssen solche Maßnahmenpläne für jedes Unternehmen individuell entwickelt und auf die konkrete Situation abgestimmt werden. Ausgangspunkt dafür ist in der Regel eine Betrachtung des Portfolios in Verbindung mit dem Marketing- und Vertriebsmodell.