Logistik & Supply Chain

Komplex und dennoch transparent. Interview mit Jürgen Spindler, Geschäftsführer der CPL Pharma Lager und Vertrieb

Handel 2.0 verknüpft Logistik-Outsourcing mit Pharmagroßhandels-Kompetenz

08.12.2009 -

Leistungsfähige und transparente Logistiklösungen erhalten auch in der Pharma- und Healthcare-Branche zunehmende Bedeutung. Mit einem neuen Geschäftsmodell ist hier die Anzag-Tochtergesellschaft CPL angetreten. LCP befragte Jürgen Spindler, den Geschäftsführer der CPL Pharma Lager und Vertrieb, zu den Möglichkeiten des firmeneigenen Logistik-Modells „Handel 2.0". Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.

Herr Spindler, Unternehmen der Pharma- und Healthcare-Branche vertrauen schon seit vielen Jahrzehnten einer Lieferkette, die über Pharmagroßhändler läuft. Was müssen Verantwortliche der Pharmabranche nun unter Handel 2.0 verstehen?

J. Spindler: Das Modell „Handel 2.0" verbindet die Outsourcing-Logistikkompetenz von erfahrenen Logistikdienstleistern mit den finanziellen und infrastrukturellen Vorteilen eines Handelshauses. Beim klassischen Vertrieb über den Handel erwerben die Pharmagroßhändler die Arzneimittel von den Herstellern - dafür haben diese dann aber keinen Einfluss mehr auf die Prozess-Steuerung oder die Konditionen. Hersteller, die deshalb den Vertrieb ihrer Produkte auf einen Logistikdienstleister übertragen, müssen allerdings das Waren- und Kostenrisiko übernehmen. Handel 2.0 schließt diese Lücke: Denn bei dieser Lösung kauft der Logistikdienstleister den Pharmaunternehmen die Waren ab und vertreibt sie nach Herstellervorgaben an Apotheken, Krankenhäuser, Ärzte oder Sanitätshäuser.

Wo liegen hier die Vorteile für die Pharmaindustrie?

J. Spindler: Ohne dafür wesentliche Finanz- und Managementressourcen aufwenden zu müssen, können die Hersteller mit Handel 2.0 bestimmen, wie und an wen die Arzneimittel ausgeliefert werden. Darüber hinaus lassen sich relevante Bilanzkennzahlen wie Cash-flow, Liquidität und Eigenkapital-Quote sofort wirksam verbessern. Hersteller können z.B. die von CPL erworbenen Waren direkt bei ihren Umsätzen verbuchen. Auch können die im Umlaufvermögen und in Anlagen gebundenen Reserven an liquiden Mitteln herausgelöst und für andere Zwecke wie Wachstums­investitionen genutzt werden.
Da CPL eine Großhandelserlaubnis besitzt, können die Hersteller sicher sein, dass alle Vorschriften zur Lagerung und Distribution von Arzneimitteln eingehalten werden - die Verantwortung hierfür geht komplett auf uns über. Die sonst aufwändige Auditierung externer Lager im Rahmen der Qualitäts-Management-Systeme der Hersteller kann auf ein Minimum reduziert werden; dies erspart ihnen Zeit und Geld, das sie für ihre Kernkompetenzen einsetzen können. Reine Logistikdienstleister könnten ihnen diese Arbeit nicht in diesem Umfang abnehmen, denn bei ihnen sind die Hersteller weiterhin für die Lagerung der Arzneimittel verantwortlich und müssten die Lager als eigene Außenlager in ihre Genehmigungen und ihr Qualitäts-Management-System aufnehmen, auch beispielsweise gegenüber Versicherungen.
Mit Handel 2.0 geht außerdem ein umfassender Customer Service einher, wie Debitorenmanagement oder Auftragsannahme. Sie sehen, Handel 2.0 kann bei den Herstellern die Komplexität der Prozesse drastisch reduzieren und gleichzeitig die gesamte Organisation entlasten.

Für welche Pharmaunternehmen und Produkte bietet sich eine Lösung nach diesem Modell an?

J. Spindler: Je nach Größe, Sortiment, Vertriebsmodell und Struktur haben die verschiedenen Pharmahersteller unterschiedliche Bedürfnisse: Vor allem mittelständische Pharmahersteller sowie Unternehmen, deren Kerngeschäft nicht im Pharmabereich liegt, greifen auf diese Lösung zurück. Denn Arzneimittel flexibel, kostengünstig und flächendeckend in ganz Deutschland zu liefern, gehört nicht zu ihren Kernkompetenzen,.
Aber auch diese Hersteller wollen vielfach die Kontrolle über die Lieferkette behalten und ihre Produkte nicht ausschließlich über den klassischen Handel vertreiben. Besonders bei OTC-Produkten oder hochpreisigen Arzneimitteln sehen viele Hersteller bei alternativen Vertriebsformen zahlreiche Vorteile: die Hoheit über die Verkaufskonditionen und deren Vertraulichkeit, die Bestimmung des Sortimentes, der Verkaufsschwerpunkte und des Service-Niveaus, sowie die detaillierte Transparenz über die Warenflüsse bis zum Point of Sale als klassisches Steuerungsinstrument der aktuellen Marketing- und Verkaufsmaßnahmen - und das alles möglichst bei gleichzeitig niedrigeren eigenen Kosten.
Handel 2.0 ist unsere Antwort auf diese Anforderungen. Die Hersteller können sich voll und ganz auf die Entwicklung und Vermarktung ihrer Produkte konzentrieren, ohne dabei auf eine professionelle Distribution verzichten zu müssen, die heute für den Markterfolg unerlässlich ist. Für jeden Hersteller entwickelt CPL dabei maßgeschneiderte Lösungen, die sie anschließend auch umsetzt. Viele vor- und nachgelagerte Prozesse brauchen die Hersteller so nicht mehr selber ausführen.

Wie könnte ein Distributions-Modell nach Handel 2.0 konkret aussehen?

J. Spindler: Für einen großen Kunden, dessen breite Palette an Konsumgütern normalerweise über den Einzelhandel vertrieben wird, übernehmen wir nach dem Handel 2.0 Modell die gesamte Abwicklung des Vertriebs an die Apotheken, und zwar für rund 230 Produkte. Denn aufgrund geringer Lagerkapazitäten bestellen die Apotheken nur kleine Mengen, gleichzeitig muss während des gesamten Prozesses auch die Arzneimittelsicherheit gewährleistet sein. So hat
unser Kunde die CPL-Leistungsbausteine - von der gesamten Auftragsbearbeitung über die Abrechnung unter Berücksichtigung komplexer Tarifmodelle bis hin zur Retourenabwicklung - entsprechend seinen Anforderungen kombiniert. Nach dem Collaborative
Planning Forecasting and Replenishment (CPFR) Modell steuern wir gemeinsam die Planungs-, Prognose- und Bevorratungsprozesse, um eine hohe Warenverfügbarkeit bei gleichzeitig optimierten Beständen zu gewährleisten. Wir haben außerdem eine Hotline zur Bearbeitung von Produktanfragen und Reklamationen eingerichtet und übernehmen das gesamte Inkasso-Verfahren. Das vereinfacht die Prozesse und minimiert das Risiko. Die Hersteller haben mit der CPL dann nur noch einen Rechnungsträger statt der zuvor rund 21.500 Apotheken und können ihren Aufwand so z.T. um 80 % reduzieren.

Welche Rolle spielt bei Handel 2.0 Collaborative Planning Forecasting and Replenishment (CPFR)?

J. Spindler: Wie zuvor schon erwähnt, wollen viele Pharmahersteller den Vertrieb ihrer Produkte am liebsten selbst gestalten oder von Logistikdienstleistern durchführen lassen, da sie Einfluss auf die Kosten, die Sortiments- und Prozess-Steuerung und die Angebotskonditionen haben möchten. Beim Handel 2.0 haben wir mit Collaborative Planning Forecasting and Replenishment (CPFR) die passende Lösung für die Hersteller entwickelt: Denn wie bereits angedeutet steuern beim CPFR-Modell die Pharmahersteller und CPL gemeinsam die Planungs-, Prognose- und Bevorratungsprozesse. So können wir eine hohe Warenverfügbarkeit bei gleichzeitig optimierten Beständen sicher stellen. Unsere Kunden haben stets die tatsächliche Nachfrage im Blick und können gegebenenfalls zeitnah gegensteuern.


Wie sehen Sie die Zukunft der Pharmalogistik?

J. Spindler: Der Kostendruck und der Wunsch nach Transparenz steigen auch in der Pharmaindustrie. Deshalb wird es immer wichtiger, leistungsfähige und transparente Logistiklösungen anzubieten, die die Komplexität für die Hersteller vermindern und ihnen gleichzeitig handfeste Kostenvorteile bringen. Es wird nicht mehr ausreichen, „nur" zuverlässige Logistikdienstleistungen anzubieten oder „nur" ein hervorragender Händler zu sein - beide Bereiche wachsen immer mehr zusammen. Für unser Modell „Handel 2.0" sehen wir daher in Zukunft eine steigende Bedeutung. Gleichzeitig müssen innovative Logistiklösungen künftig dazu beitragen, den Kundenservice entlang der Lieferkette zu verbessern. Wir können schon heute für unsere Kunden Aufgaben bei der Verpackung und Konfektionierung ihrer Artikel übernehmen wie beispielsweise Etiketten drucken und Beipackzettel hinzufügen.