R. Stahl: Ex-Anwendungen, Funkübertragung wird immer attraktiver
Hat’s gefunkt?
Längst gehört drahtlose Kommunikation zum Alltag. Den Vorreiter spielte das GSM-Telefon, heute in beinahe jedermanns Jackentasche. Es folgten unzählige WLAN-Netze für Laptops in Wohnungen und Büros. Auch in der Industrie sind inzwischen unterschiedliche Funklösungen im Einsatz. Welche Vorteile bieten die gängigsten Spielarten für prozesstechnische Anwendungen - und dort insbesondere in explosionsgefährdeten Bereichen?
Funknetze können ganz neue, ökonomischere Prozesse und Arbeitsabläufe ermöglichen. Dies beginnt mit der bequemeren Handhabung kabelloser Lesegeräte zur Erfassung von Fässern, Tanks, IBCs und anderen Behältnissen mit Barcode-Etiketten oder RFID Tags. Bei der Installation, der Inbetriebnahme und bei Wartungsvorgängen sorgt Funktechnik dafür, dass das Personal vor Ort nicht nur Prozess-Messwerte im Auge behalten kann, sondern bei voller Bewegungsfreiheit stets auch Zugriff auf Wartungspläne, Bedienungsanleitungen, ATEX-Zertifikate etc. hat. Aus MES- oder ERP-Datenbanken können Aufträge zentral generiert und unmittelbar an mobile Geräte von Servicetechnikern geschickt werden. Die Ausführung kann ohne Verzögerung quittiert und äußerst zeitnah dokumentiert werden. Grundsätzlich kann die Funkübertragung auch für die Anbindung von Sensoren und Aktoren der Prozessautomatisierung zur Anwendung kommen. Der Einsatz bietet sich vor allem für schwer zugängliche oder weit entfernt installierte Feldgeräte an, für die eine Verkabelung einen zu hohen Aufwand darstellt. Eines der interessantesten und sinnvollsten Anwendungsfelder liegt im Asset Management. Die zu diesem Zweck ermittelten Messwerte dienen der Zustandsbestimmung der eingesetzten Produktionsmittel, um durch vorausschauende diagnostische Auswertungen drohende Ausfälle weit im Vorfeld zu vermeiden.
Etablierte Drahtlos-Standards
Mit Blick auf die Anforderungen der Industrie haben gängige Funkstandards unterschiedliche Stärken und Schwächen. Verbreitet finden sich in Industrieanlagen inzwischen WLAN-, Bluetooth- und Zigbee-Geräte. Wo es um den Einsatz mobiler Arbeitsmittel wie Barcodescanner oder tragbarer Bediengeräte geht, eignet sich WLAN am besten, das direkt auf dem Standard für kabelgebundenes Ethernet aufsetzt und auf die Übertragung Ethernet-basierender Protokolle zugeschnitten ist. WLAN bietet eine hohe Bandbreite, nämlich eine Bruttodatenrate von 11 Mbit/s bei der Variante 802.11b und 54Mbit/s bei 802.11g. Zudem kann ein WLAN-Netz einen Teilnehmer - etwa einen PDA - unterbrechungsfrei von einem Access Point zum nächsten übergeben. Anwender können sich also auf dem Betriebsgelände frei und ohne Rücksicht auf die Reichweite einzelner Empfänger bewegen, ohne die Verbindung zum Netzwerk zu verlieren. Bei Bluetooth erreicht man mit modernen Systemen immerhin einen Durchsatz von bis zu 2 Mbit/s. Zudem ist Bluetooth aufgrund seiner synchronen Kommunikationsmodi eine sehr gute Basis für Echtzeitanwendungen. Die Technologie setzt auf das Frequenzsprungverfahren FHSS (Frequency Hopping Spread Spectrum) und ist deshalb im Vergleich zu WLAN wesentlich unempfindlicher gegenüber Störquellen. Mit Bluetooth lassen sich in der Praxis Netze von bis zu acht Teilnehmern aufbauen; bei mehr fällt erhöhter technischer Aufwand an. Bluetooth-Geräte brauchen weniger Hilfsenergie als WLAN-Geräte. Die Technik lässt sich aufgrund ihrer Eigenschaften hervorragend für die Einbindung von fest installierten Geräten wie Terminals oder auch Sensoren einsetzen. Zigbee, die jüngste Spielart der Funkkommunikation in der Industrie, ermöglicht die Übertragung von Daten mit einer Rate von bis zu 250kBit/s. Beim Hilfsenergiebedarf liegt die Technologie deutlich unter den Ansprüchen von Bluetooth, geschweige denn WLAN. Die bis dato in der Zigbee Alliance verabschiedeten Protokollprofile sind auf die Anwendungen in der Gebäudeautomatisierung zugeschnitten. Es ist derzeit noch nicht absehbar, in welche Richtung sich dieser Funkstandard weiterentwickeln wird.
Kommende Alternativen?
Neben und parallel zu den bisher erläuterten Standards gibt es eine Vielzahl herstellerspezifischer Protokolle, die immer den Nachteil der Inkompatibilität zu anderen Funklösungen mit sich bringen. Mehrere Gremien und Organisationen arbeiten deshalb an neuen Richtlinien auf Grundlage der bestehenden Normen für WLAN, Bluetooth und Zigbee, um Anwendern und Herstellern mehr Investitionssicherheit zu geben. Auf nationaler Ebene sind insbesondere der VDI/VDE GMA-Fachausschuss 5.21 sowie ZVEI und Namur auf diesem Feld aktiv. Die Norm VDI/VDE 2185 führt Anhaltspunkte auf, nach denen ein Anwender den Einsatz bestehender Funktechnologien beurteilen kann. In der Namur beschäftigt sich seit 2006 der Arbeitskreis AK 4.15 mit normativen Vorgaben für die Wireless Automation in der Prozessindustrie. Bedeutende Organisationen, die sich heute auf internationaler Ebene mit dem Einsatz von Funktechnologien in der Automatisierung befassen, sind die ISA (The Instrumentation, Systems and Automation Society) mit ihrer SP100-Arbeitsgruppe und die Hart Foundation mit einer Wireless HART-Gruppe. Letztere will ihre Spezifikation bis Ende 2007 verabschieden. Der Entwurf der Norm liegt bereits zur Abstimmung vor. Wireless HART basiert auf der Norm IEEE 802.15.4, die auch dem Zigbee-Protokoll zugrunde liegt. Im Gegensatz zu Zigbee kombiniert Wireless HART ein Frequenzsprungverfahren und ein TDMA-Zugriffverfahren. Die ISA SP100 hingegen steht noch mehr oder weniger am Anfang ihrer Normierungsarbeit. Ähnliches gilt auch für die Wireless-Arbeitsgruppen der Fieldbus Foundation und der Profibus-Nutzerorganisation.
Planen und sichern
Der Aufbau eines Funknetzes beginnt mit der Definition der grundsätzlichen Anforderungen. Festgelegt werden müssen insbesondere Bandbreite, Mobilitätsanforderungen der Endgeräte, das Ausmaß der Echtzeiterfordernisse für die Signalübertragung, das Verschlüsselungssystem und die Anforderungen der IT-Abteilung, um die praktisch immer gewünschte Einbindung des neuen Netzes in die bestehende IT-Struktur des Unternehmens zu ermöglichen. Ebenfalls sollte gleich zu Beginn des Vorhabens ermittelt werden, welche Funksysteme im Zielbereich und in den angrenzenden Zonen bereits im Einsatz sind, die das neue Netz stören könnten. Die meisten einschlägigen Funkverfahren bedienen sich der sogenannten ISM-Frequenzbänder, die lizenzfrei und damit kostenlos genutzt werden können. Dies bedeutet aber auch, dass sich verschiedene Anwendungen ihr Frequenzband teilen müssen. Abstand zu benachbarten Netzen zu halten, sofern machbar, ist daher so wie gut wie immer sinnvoll. Nur zum Teil kann man gegenseitigen Interferenzen anderweitig technisch vorbeugen. So gibt es beispielsweise für Bluetooth ein adaptives Frequenzsprungverfahren, das Frequenzen im Sprungschema auslässt, bei denen die Übertragung gestört wurde. WLAN und Bluetooth können damit nebeneinander störungsfrei betrieben werden. Empfangen werden können die offenen Frequenzen aber natürlich prinzipbedingt von jedem in Reichweite, was die zweite grundsätzliche Problematik der Systeme darstellt. Die veraltete WLAN-Verschlüsselungsmethode WEP war notorisch dafür bekannt, dass sie mit recht einfachen Mitteln schnell zu überwinden war. Die neueren Verschlüsselungssysteme bieten heute aber nachweislich hohen Schutz. Das bei Bluetooth und anderen Funkverfahren zum Einsatz kommende Frequenzsprungverfahren trägt ergänzend ebenfalls zur Sicherheit bei, da sich der Übertragungskanal zwischen Sender und Empfänger ständig ändert. Ein Mithören ist ohne die Kenntnis des Sprungschemas so gut wie ausgeschlossen. Mit Planungsprogrammen lässt sich anhand eines Grundrisses die Ausleuchtung des Areals vorab begutachten, um Antennenstandorte und -modelle auszuwählen. Dabei lassen sich allerdings nicht alle Details berücksichtigen. Den Einfluss von Fahrzeugen oder temporär abgestellten Containern zum Beispiel, wird man erst mit einem so genannten „On-Site-Survey" zuverlässig erfassen können. Dabei handelt es sich um eine Vor-Ort-Begehung mit einem transportablen Access Point, mit dessen Hilfe die zuvor am Computer ermittelten Werte verifiziert werden. Dies gibt auch Aufschluss darüber, welche Bandbreite am Rande der Funkausleuchtung noch erreicht wird. Anschließend kann dann das Funksystem installiert und in Betrieb genommen werden. Dabei sollte nochmals unter realen Betriebsbedingungen geprüft werden, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.
Besonderheiten im Ex-Bereich
Prinzipbedingt ist durch Funkkommunikation eine Zündgefahr durch Strahlung gegeben. Zwar kann das elektromagnetische Feld eines Senders in der Regel nicht unmittelbar ein explosionsfähiges Gemisch entzünden, solange die Funkquelle nicht gleich mehrere hundert Watt Sendeleistung erreicht. Durchaus besteht aber in der Praxis die Gefahr, dass in metallische Objekte oder unzureichend EMV-geschützte elektronische Schaltungen induzierte Ströme zu Erwärmung und zu Funkenbildung führen. Wie eine Untersuchung der IEEE ergab, liegt bereits bei 6 W Leistung darin eine ernstzunehmende Gefahr. Schutzvorgaben mit konkreten Kennzahlen waren lange nicht im internationalen Normenwerk zu finden. Erst seit kurzem enthält der Entwurf der IEC EN 60079-0 handhabbare Richtlinien für den Einsatz von Funkgeräten in explosionsgefährdeten Bereichen. Hier werden Grenzwerte für kontinuierliche und gepulste Funksignale definiert. Der Normentwurf bezieht sich auf Signale im Frequenzbereich von 10kHz bis 300GHz. Die schon erwähnten ISM-Frequenzen, auf denen WLAN, Bluetooth und Zigbee vorwiegend funken, dürfen nur mit geringen Sendeleistungen genutzt werden. Allein schon aufgrund der Funk-Vorschriften für das übliche 2,4 GHz-Band sind WLAN Access Points deshalb auf 100 mW Leistung begrenzt. Bluetooth- und ZigBee-Geräte begnügen sich üblicherweise sogar mit 10 mW. Wie deutlich die Grenzwerte letztlich unterschritten werden, steht aber erst fest, wenn der sogenannte Antennengewinn einberechnet wird. Dieser Parameter beschreibt, wie stark die eingespeiste Leistung in eine bestimmte Richtung gebündelt wird. Der Antennengewinn wird durch die Reduzierung der Leistung in andere Richtungen erzeugt. Die abgestrahlte Gesamtleistung bleibt also gleich. Typische Werte für Stabantennen und Richtantennen liegen zwischen 5 und 9 dBi.
Installation in Zone 1
Neben der Einhaltung der Grenzwerte im Normalbetrieb fordert die IEC EN 60079-0 außerdem für Geräte zum Einsatz in der Zone 1 eine Fehlerfallbetrachtung, aus der sich in der Praxis eine Einschränkung der Komponentenauswahl auf bestimmte ATEX-Ausführungen ergibt. Für die meisten marktgängigen Funkkomponenten liegt überdies ohnehin keine Zulassung für die Installation in Zone 1 vor. Einen üblichen Ausweg stellt der Einbau von konventionellen Funklösungen ohne Zulassung in Gehäuse dar, die der Zündschutzart Ex d (Druckfeste Kapselung) oder vergleichbaren Zündschutzarten entsprechen. Der Großteil solcher gekapselten Gehäuse aber besteht aus Metall, das die elektromagnetische Strahlung der Antenne stark abschirmt. Aus dem Innern eines derartigen Gehäuses kann in der Regel nur eine hinter einer Glasscheibe platzierte, speziell auf das Gehäuse abgestimmte Planarantenne wirksam senden. Die Alternative besteht in der Verwendung von externen Antennen, für die eine ATEX-gerechte Ausführung dann aber natürlich Pflicht ist. In der Regel sind Modelle in der Schutzart Ex e erforderlich. Ihre Auslegung stellt sicher, dass bei einem Kurzschluss zwischen der Stromversorgung und der Ausgangs- oder Eingangsstufe des Funkgerätes keine unzulässig hohen Ströme bzw. Spannungen ungeschützt in den Ex-Bereich eindringen können. Die Beurteilung der abgegebenen Leistung im Fehlerfall stellt eine größere Hürde für den Einsatz von Funksystemen dar. Hier muss entweder eine Zertifizierung des eingesetzten Funksystems, etwa eines WLAN Access Points, erfolgen, oder eine zusätzliche HF-Begrenzungslösung zwischen Antennenschnittstelle des Funksystems und Antenne geschaltet werden.
Fazit
Bei der Ausstattung von Prozessanlagen mit Funkübertragungstechnik statt konventioneller Kabelvernetzung stehen Anwendern eine Reihe unterschiedlicher Standards zur Verfügung. Die konkrete Entscheidung ist anwendungsspezifisch zu treffen. Da die technische Fortentwicklung und insbesondere die normative Regulierung industrietauglicher Funksysteme derzeit schnellem Wandel unterworfen sind, sollte Experten-Know-how auf dem neuesten Stand hinzugezogen werden. Zur Implementierung in explosionsgefährdeten Bereichen sind zudem geschützte Geräteausführungen erforderlich, bei deren Auswahl ebenfalls nur spezialisierte Anbieter kompetent beraten können. So hoch der Aufwand scheint, bleiben die Investitionskosten in der Regel moderat, und gut geplante, ausgereifte Lösungen machen klar effektivere Betriebsabläufe möglich. Zudem können sie die Anbindung zusätzlicher Messstellen vereinfachen, um Qualität und Sicherheit in der Produktion zu erhöhen.