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Produktionsnahen IT-Systeme: Herausforderungen bei der Betreuung

15.09.2011 -

Herausforderungen bei der Betreuung von produktionsnahen IT-Systemen. Viel diskutiert ist die Thematik des Zusammenwachsens von Büro- mit Produktionsnetzwerken, von Unternehmes- bzw. Betriebsleitebenen mit Prozessleitebenen, von Microsoft Office-Welt mit Spezialanwendungen aus der Automatisierungstechnik.

Dass diese fortschreitende Verschmelzung von einst streng getrennten Disziplinen unsinnig oder gar aufzuhalten sei, davon spricht kaum jemand. In diversen Artikeln wurde in den vergangenen Monaten und Jahren erörtert, welche Vor- und Nachteile mit dieser neuartigen Struktur einhergehen und worauf bei der Planung und Errichtung von Systemen mit vertikalen Kommunikationswegen zu achten ist. Wenig Beachtung fand hierbei jedoch jene Phase des Lebenszyklus, die in der Regel die längste Zeitdauer einnimmt: der Betrieb. Wie muss die Betreuung von produktionsnahen Systemen gestaltet werden, die über Abteilungsgrenzen hinweg Daten austauschen? Vor welchen Herausforderungen stehen die Beteiligten und wie können sie diesen begegnen?

Dass man sich über die Frage des Betriebs eines Manufacturing Execution Systems (MES) nicht erst bei der Inbetriebnahme des Systems, sondern bereits bei der Projektplanung Gedanken machen sollte, liegt wohl auf der Hand. Hat sich das Projektteam erst einmal aufgelöst, ist ein Verantwortlicher für die Betreuung nur schwer zu finden. Die Benennung eines Ansprechpartners ist aber nur ein Punkt, den es zu bedenken gilt, wenn die Betreuung von produktionsnahen IT-Systemen geplant und durchgeführt wird. Die Anforderungen an Betrieb und Betreuung von MES haben große Ähnlichkeiten mit denen von modernen Prozessleitsystemen. Durch die Nähe zur Produktion gelten für die Betreuung von Prozessleitsystemen (PLS) und MES ähnliche Anforderungen. Hier ist zuallererst die hohe Verfügbarkeit zu nennen, die für die meisten Anlagen in der Prozessindustrie gefordert wird. Zudem ist es erforderlich, dass eine zeitnahe Reaktion auf geänderte Prozessanforderungen sichergestellt ist, insbesondere dann, wenn verfahrenstechnische Änderungen an der Anlage durchgeführt wurden, die Auswirkungen auf das MES haben. Daraus lässt sich letztlich auch ableiten, dass die Systembetreuer des MES ein erhöhtes Maß an Prozess- und Anlagenkenntnis aufweisen sollten. Das MES als Bindeglied zwischen Unternehmensleitebene und Prozessleitebene muss aber im Gegensatz zum PLS, das meist isoliert betrachtet werden kann, auch ein Mindestmaß jener Anforderungen erfüllen, die für Systeme im Office-Bereich gelten. Was nicht heißt, dass im Umkehrschluss für die MESBetreuung dieselben Vorgaben und Maßstäbe angelegt werden dürfen wie für ein IT-System im Büronetz. Beispielsweise ist die Notwendigkeit für Hochrüstungen des MES-Basissystems nicht automatisch durch die Freigabe neuer Versionen durch den Systemlieferanten oder durch Herausgabe von Updates und Patches durch den Lieferanten des unterlagerten Betriebssystems gegeben. Vielmehr ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen des Anlagenbetreibers (dazu zählen die Beeinträchtigung des Produktionsablaufes, die Verfügbarkeit der Produktionsanlage oder die erforderliche Ausbildung des Produktionspersonals) der Vorgaben für Hard- und Softwareanforderungen des Systemlieferanten und der Vorgaben der zentralen IT-Abteilungen kritisch zu prüfen, ob und wann diese Notwendigkeit gegeben ist.

Interdisziplinäres Wissen zählt

Wichtig ist daher vor allem die gute Kommunikation zwischen den Betreuern des MES und den Betreuern der IT-Infrastruktur. Diese Kommunikation kann jedoch nur gelingen, wenn beide eine einheitliche Sprache sprechen, das heißt vor allem eine einheitliche Terminologie verwenden oder sich zumindest über die verschiedenartige Terminologie des Gegenübers im Klaren sind und – wenn nötig – darauf hinweisen. Ein weiterer Aspekt ist bei der Systembetreuung ebenfalls von wesentlicher Bedeutung: Neben dem Know-how über die Systemtechnologie ist häufig auch ein fundiertes Wissen über den verfahrenstechnischen Prozess unabdingbar. Dieses Prozess- Know-how ist in der Regel in produktionsnahen Engineering- Abteilungen vorhanden. Der vorwiegend zentralen und für mehrere Unternehmensbereiche zuständigen IT-Abteilung fehlt oft die Produktionsnähe und das notwendige Prozess- Know-how. Daraus folgt, dass der Support und die Betreuung für das MES – wie für das PLS – zwingend in der Verantwortung der anlagennahen Engineering- Abteilungen liegen müssen. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die gesamte Betreuung ausschließlich durch das Engineering durchgeführt werden muss. Eine maßgebliche Unterstützung durch die IT-Abteilungen oder eine Delegation von einzelnen Support Aufgaben (z. B. Betriebssystem- und Netzwerkbetreuung) ist wohl unabdingbar und zudem im unternehmerischen Interesse der Fachabteilungen. Diese Aufgabenteilung setzt aber voraus, dass Engineering-Abteilungen IT-Fachkenntnisse erlangen und IT-Abteilungen zumindest Kenntnisse über Arbeitsabläufe und Anforderungen der Anlagenbetreiber erwerben. Der viel zitierte „Blick über den Tellerrand“ ist hier unverzichtbar.

Aus der Praxis

Einen Beleg dafür, dass der (Projekt-)Erfolg maßgeblich von einer guten Zusammenarbeit zwischen Engineering- und IT-Abteilungen abhängt, sollen die folgenden (realen) Beispiele geben:
Eine Dienstleistungsfirma, die MES-Lösungen nach den Anforderungen der beauftragenden Firma konzipiert und projektiert, wurde mit der Umsetzung eines MES-Systems beauftragt. Die Projektingenieure des Dienstleisters und der technische Leiter der beauftragenden Firma führten mehrere Gespräche, führten Anlagenbegehungen durch, erarbeiteten ein Konzept für das MES, dessen technische Umsetzung auf Basis vorhandener Software-Tools nach dem Stand der Technik geplant war. Erst bei der Abschlusspräsentation des Konzeptes waren schließlich auch Mitarbeiter der ITAbteilung der beauftragenden Firma zugegen. Mit dem Hinweis, dass die vorgeschlagene Software nicht die im Unternehmen standardmäßig eingesetzte Software ist, lehnte die IT-Abteilung das erarbeite Konzept restriktiv ab. Die Situation war an diesem Punkt bereits derart verfahren, dass auch eine gemeinsame Überarbeitung des Konzepts nicht eingeleitet wurde. Es wurde kein MES im Sinne des Anlagenbetreibers installiert. Ein Scheitern hätte durch mehr gegenseitiges Wissen und Austausch, konkret eine frühere Einbindung der IT-Abteilung in den Projektverlauf, verhindert werden können.

In einem Unternehmen, das Änderungen an seinem bestehenden MES durchführen wollte, war es in diesem Zuge erforderlich, Änderungen am zentralen Domain-Server vorzunehmen. Der Systembetreuer des MES aus der Engineering- Abteilung führte diese Änderungen ohne Absprache mit der IT-Abteilung durch. Der Domain-Controller stellte daraufhin wegen einer durch den Ingenieur verursachte Fehlkonfiguration seine Arbeit ein und machte eine Neuinstallation des Domain-Controllers erforderlich. Sämtliche Netzwerke und Netzwerkanwendungen waren bis zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nicht oder nur stark eingeschränkt verfügbar.

Fazit: Erfolgreich kann bei der Betreuung von produktionsnahen IT-Systemen nur ein Team von Betreuern aus IT- und Engineering-Abteilungen sein, die Hand in Hand arbeiten, die Fachterminologie der fachfremden Kollegen verstehen und die Betreuung an den Anforderungen der Anlagenbetreiber ausrichten, ohne dabei die Vorgaben der zentralen IT außer Acht zu lassen. Weiterführende Informationen zum Thema MES aus Sicht der Prozessindustrie bieten die Namur-Arbeitsblätter NA94, NA110 und NA128 sowie die Homepage www.namur.de

Kontakt:
Obmann Ansgar Münnemann
Leiter Fachgruppe MES
Namur Arbeitskreis 2.4 MES
BASF SE
ansgar.muennemann@basf.com
www.basf.com