Dr. Willi Fuchs, VDI: Ingenieurmangel, was tun?
Gut ausgebildete Verfahrenstechniker haben beste Chancen
Höchste Qualitätsstandards und innovative Technologien „Made in Germany" wird es in ihrer heutigen Form in zehn Jahren nicht mehr geben - jedenfalls dann nicht, wenn der Fachkräftemangel weiter zunimmt. Kaum eine Branche klagt derzeit so über Fachkräfte- und Nachwuchsmangel wie die Hightech-Industrie. Monatlich 25.000 offene Stellen waren 2007 zu verzeichnen. Bleibt die Gesamterwerbstätigkeit in etwa auf dem heutigen Stand bestehen, können vor allem angesichts des sich bereits abzeichnenden demographischen Wandels 2014 voraussichtlich 60.000 Stellen nicht besetzt werden. Dass das für Deutschland als weltweit angesehenen Standort für Technik und Innovation einen enormen Rückschritt bedeuten würde, bedarf sicherlich keiner weiteren Erklärung.
Bereits 2006 erlitt die deutsche Volkswirtschaft laut einer VDI-Studie, erstellt vom Institut der Deutschen Wirtschaft, einen Wertschöpfungsverlust von 3,5 Mrd. €, weil 73.000 Stellen für Ingenieur- und Naturwissenschaftler unbesetzt blieben.
Diese Entwicklung ist bei näherem Hinsehen unverständlich, denn die Branche bietet eine Vielzahl an Perspektiven, zukunftsorientierte Karrieremöglichkeiten und vor allem eine sehr niedrige Arbeitslosenquote. Letztere sank in den vergangenen drei Jahren um mehr als die Hälfte, liegt momentan bei etwa 3%. Volkswirtschaftlich betrachtet bedeutet das Vollbeschäftigung.
Ingenieure sind unverzichtbar
Dabei bietet der Ingenieurberuf wie wohl kaum ein anderer die Möglichkeit, die Welt und das Leben mit zu gestalten und weiter zu verbessern. Ingenieure aller Fachrichtungen sind für die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ein überaus wichtiger Faktor. Denn wir leben in einem Land, das sich nicht auf Bodenschätze oder Rohstoff-Ressourcen verlassen kann. Unser Wohlstand beruht allein auf unserer Leistung und den damit verbundenen Fortschritten in Forschung und Entwicklung. Hier liegt unsere Zukunft, z.B. im Bereich Verfahrenstechnik. Verfahrenstechniker sind als Garanten für eine stete Verbesserung der Produkte unseres täglichen Bedarfs unentbehrlich. Angefangen von Kunststoff-Verpackungen, über die Herstellung von widerstandsfähigen Lacken und leistungsfähigen MP3-Playern bis hin zur Weiterentwicklung und Verbesserung der Insulin-Therapie für Diabetiker - Ingenieure der Verfahrenstechnik bleiben unverzichtbar. Aber auch in zukunftsweisenden Bereichen, wie etwa der Nanotechnologie oder der Energieerzeugung, leisten sie entscheidende Impulse auf dem Weg in eine innovativ orientierte Zukunft.
Ingenieure sind Visionäre, die wie in kaum einer anderen Berufssparte die Möglichkeit haben, das Leben und die Umwelt aktiv mit zu gestalten. Die Faszination Technik und die Möglichkeit, die moderne Welt zu verbessern, steht im krassen Gegensatz zum landläufig leider noch weit verbreiteten Vorurteil des einsamen Tüftlers, der allein in seinem Labor an komplizierten Geräten schraubt. Heute stehen vielmehr Teamfähigkeit, Kommunikations- und Problemlösekompetenzen im Mittelpunkt, die in zunehmend auch international besetzten Arbeitsgruppen gefragt sind.
In dieser Hinsicht hat sich das Ingenieur-Studium bereits zu einem großen Teil an diese Anforderungen angepasst. Die Entwicklung neuer Studiengänge, kürzere Studienzeiten und die vielen Möglichkeiten, die sich aus der Umstellung auf das Bachelor- / Master-System ergeben, bieten den angehenden Jungingenieuren eine umfassende und zukunftsorientierte Ausbildung, die sie auf spannende Aufgaben vorbereitet. Die Möglichkeiten, erfolgreich ins Berufsleben zu starten, sind für Ingenieure sehr gut, die hohe Nachfrage und geringe Absolventenzahlen tun ihr Übriges. So schlossen in den vergangenen Jahren jeweils nur rund 750 Studierende ein Studium der Verfahrenstechnik ab.
Nachwuchs ist gefragt
Doch trotz dieser viel versprechenden Aussichten gibt es in Deutschland einen großen Mangel an Fachkräften. Um auch in Zukunft in Sachen Technologie und Innovation in der ersten Liga zu spielen, müssen wir einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen umsetzen. Das Wichtigste dabei ist, dass wir das Problem an der Wurzel anpacken und uns vor allem um den Nachwuchs kümmern: Wir müssen die jungen Leute wieder vermehrt für den Ingenieurberuf begeistern. Einige positive Ansätze in diese Richtung sind bereits zu beobachten.
Unsere Initiative „Sachen machen" hat es sich seit zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben, den Technikstandort Deutschland zu stärken und zu fördern. Fernziel: Bis 2015 soll Deutschland wieder weltweit führender Technikstandort sein. Gemeinsam mit mittlerweile rund 100 Partner-Unternehmen plant und veranstaltet „Sachen machen" verschiedene Aktivitäten, die dieses ehrgeizige Ziel unterstützen. Dabei spielt die Nachwuchsförderung eine wichtige Rolle. So können z.B. beim „Tag der Technik" jedes Jahr junge Menschen erste Erfahrungen in technischen Berufen sammeln und sich über Studiums- und Berufsmöglichkeiten informieren.
Die Begeisterung des Nachwuchses für Technik kann nicht früh genug geweckt werden. Bereits im Kindergartenalter sind Mädchen und Jungen in der Lage, die Welt der Technik spielerisch zu erforschen. In den Schulen stehen Naturwissenschaften und Technik leider meist nur sporadisch auf dem Stundenplan. Teilweise fallen diese Fächer sogar über Schuljahre hinweg aufgrund von Lehrermangel im Fachbereich komplett aus. Das Schulfach Technik an allgemeinbildenden Schulen ist im Vergleich mit den klassischen Schulfächern relativ jung, wird aber z.B. in Baden-Württemberg an Hauptschulen und Realschulen erteilt. Auch in Nordrhein-Westfalen tut sich etwas: Bis 2010 wird die Landesregierung 6,3 Mio. € in den Aufbau von 25 Innovationszentralen Schule-Technik investieren. Erste Erfolge zeichnen sich in den bereits gestiegenen Studienanfängerzahlen in NRW ab. Wichtig ist jedoch, bereits in der Schule für ein umfassendes technisch-naturwissenschaftliches Grundlagenwissen zu sorgen, das im Übrigen nicht nur für angehende Ingenieure in unserer heutigen Welt eine wichtige Basis für Entscheidungen in unterschiedlichen Bereichen ist. Deswegen fordert der VDI die Einführung des Pflichtfachs „Technik", das sich konsequent durch alle Schulformen zieht.
Mit der Einführung der zweistufigen Ingenieurausbildung haben sich für ein ingenieurwissenschaftliches Studium bereits viele neue Möglichkeiten eröffnet. Dennoch müssen wir dafür sorgen, dass sich die Zahl der Studienabbrecher weiter verringert, ohne dass dabei die Qualität der Ingenieurausbildung leidet. Es müssen sich wieder mehr junge Menschen für ein Studium der Ingenieurwissenschaften entscheiden. In den letzten Jahren sind die Anfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften insgesamt zurückgegangen. Auch im Bereich Verfahrenstechnik ist die Zahl rückläufig: Nur 1.378 Studenten schrieben sich im vergangenen Wintersemester für dieses Studienfach ein. Die Steigerung der Attraktivität des Ingenieurstudiums ist hier ein Ansatzpunkt, z.B. durch Kooperationen zwischen Unternehmen und Hochschulen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der „Sachen machen"-Partner Linde. In Kooperation mit der Technischen Universität München hat Linde 2004 die Carl von Linde-Akademie ins Leben gerufen. Die versteht sich als interdisziplinäre wissenschaftliche Einrichtung und vermittelt angehenden Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Informatikern geistes-, kultur- und sozialwissenschaftliches Rüstzeug für ihren beruflichen Werdegang. Damit überwinden die geförderten Studenten die Grenzen einer rein technischen Qualifizierung. Spezielle Förderprogramme und eine bessere studienbegleitende Unterstützung wie diese würden die Anzahl der Erstsemester und Absolventen weiter ansteigen lassen.
Auswege aus dem Fachkräftemangel
Ein weiteres Problem, das wir im Sinne der Reduzierung des Fachkräftemangels anpacken müssen: Frauen sind in ingenieurwissenschaftlichen Berufen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Lediglich 70.000 Ingenieurinnen gibt es hierzulande, das entspricht gerade einmal 10% der arbeitenden Ingenieure. Außerdem ist nur jeder fünfte Studienanfänger weiblich. Bessere Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frauenförderung sowie eine frühe Heranführung junger Mädchen an die Technik würden dem Ingenieurberuf sicherlich sein Image als „Männerdomäne" nehmen.
Auch wenn der Fokus auf dem Nachwuchs liegt, müssen weitere Möglichkeiten zur Reduzierung des Fachkräftemangels geschaffen werden. Deshalb fordern wir, dass qualifizierte Zuwanderung bedarfsgerecht möglich gemacht wird. Die Einkommensuntergrenze für Fachkräfte aus anderen Ländern ist unserer Ansicht nach mit 85.000 € unrealistisch hoch angesetzt. Eine Senkung auf 40.000 € würde eine sinnvolle Zuwanderungsquote in den relevanten Bereichen möglich machen und damit den Fachkräftemangel weiter senken. Die Zuwanderung von Ingenieuren stellt jedoch keine langfristige Lösung dar, da der Fachkräftemangel auch international in vielen Ländern ein Problem ist.
Trotz der Tatsache, dass die Wirtschaft teils händeringend versucht, vakante Stellen zu besetzen, gibt es viele ältere arbeitslose Ingenieure in Deutschland. Warum nutzen wir dieses Potential nicht? Anstatt nach dem idealisierten Absolventen zu suchen, könnten mit strategischer Weiterbildung auch ältere und erfahrene Ingenieure eine durchaus attraktive Alternative sein. Denn mit der nötigen Auffrischung der Kenntnisse muss niemand mit Ende 40 zum „alten Eisen" gehören.
Unsere Zukunft: „Made in Germany"
Keine Frage - es muss einiges passieren, damit Deutschland seinen weltweiten Spitzenplatz unter den Technologienationen auch in Zukunft behalten kann. Eine 2007 von „Sachen machen" in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage ergab, dass 65% der Deutschen ihr Land im Wettbewerb der besten Technologie-Nationen auf Platz drei sehen, direkt hinter den USA und Japan. In der Chemiebranche sind wir ebenfalls in der Spitzengruppe vertreten. Es gibt viel zu tun, denn diesen Spitzenplatz wollen wir verteidigen und ausbauen. Deswegen fordert der VDI einen nationalen Technikrat, der dafür sorgt, dass Deutschland im Zuge der rasanten Entwicklung in Technologie und Forschung nicht an Boden verliert. Kreative Köpfe und innovative Entwicklungen sind nötig, um den Engpass an Fachkräften zu überwinden und weiter das zu tun, was Deutschland als Wirtschaftsnation am besten kann: Forschung, Entwicklung und Innovationen weiter vorantreiben. Damit „Made in Germany" auch in Zukunft ein weltweit anerkanntes Qualitätsmerkmal bleibt, und das nicht nur in der Verfahrenstechnik.