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Cradle-to-Cradle: Wert-Stoffe statt Müll

03.03.2015 -

Stark vernetzte Wertschöpfungsketten, ein wachsendes Nachhaltigkeitsbewusstsein, steigender Konkurrenz- und Preisdruck: Industrieunternehmen haben ambitionierte Ziele, um ihre Standorte weltweit zukunftsfähig zu machen. Dazu zählen schlankere Prozesse, ein strategisch optimiertes Immobilienportfolio, Ressourceneffizienz im Facility Management und energieeffiziente Gebäude und Anlagen. Das so genannte Cradle-to-Cradle-Konzept kann helfen, Ökologie und Ökonomie profitabel zu verbinden.

Mit kontinuierlichen Kreisläufen der Rohstoffknappheit begegnen

Die natürlichen Ressourcen der Erde sind begrenzt. Das Thema Rohstoffknappheit steht daher zunehmend im Fokus. Die Rohstofffrage von Unternehmen wird laut einer Untersuchung der Commerzbank schon heute als weit drängender eingestuft, als das Thema Energie. Alle Prognosen gehen von einer weiteren Verschärfung des Wettlaufs um die Rohstoffe aus. Das vom deutschen Chemiker Michael Braungart mitentwickelte Cradle-to-Cradle-Konzept (von der Wiege bis zur Wiege) beschreibt das Prinzip zweier kontinuierlicher Kreisläufe (Circular Economy): Verbrauchsgüter sind biologisch abbaubar und gehen in den natürlichen Nährstoffkreislauf zurück. Gebrauchsgüter werden nach ihrer Nutzung in sortenreine Ausgangsstoffe zerlegt und einem technischen Kreislauf zugeführt. Dabei bleibt ihre stoffliche Güte erhalten, ein Downcycling mit Qualitätsverlust wird vermieden. Alle Inhaltsstoffe sind chemisch unbedenklich und kreislauffähig. Müll im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, sondern nur noch nutzbare Nährstoffe.

Die Unternehmensberatung Drees & Sommer setzt sich für eine Etablierung und Verbreitung von C2C ein. Dazu kooperieren sie mit Prof. Braungarts Institut EPEA. Die Berater stehen für Projekte ein, die in zweierlei Hinsicht Ökonomie und Ökologie verbinden:

  • durch den effizienten Energie- und Ressourceneinsatz, der vor allem zu minimierten Betriebskosten führt
  • durch die Planung und Verwendung von recycelbaren und schadstofffreien Baustoffen, Bauteilen und gebäudetechnischen Anlagen

Das überzeugende an Cradle to Cradle ist, dass alle Beteiligten profitieren. Investoren senken die Kosten und das Investitionsvolumen. Produkthersteller sichern sich Rohstoffe für die Zukunft und erschließen sich neue Märkte. Die Nutzer erhalten hochwertige und gesundheitlich unbedenkliche Produkte zu konkurrenzfähigen Preisen.

Den Kreislauf in Schwung bringen

Abfall ist Nahrung: Was zunächst nach Mülltauchern klingt, die in Abfallcontainern nach weggeworfenen Lebensmitteln angeln, nimmt in Zeiten schwindender Rohstoffe globale wirtschaftliche Dimensionen an. Bei aller Volatilität steigen die Rohstoffpreise weiter und irgendwann werden diese Ressourcen unwiederbringlich zur Neige gehen. Das Metall Kupfer beispielsweise wird noch für etwa 30 bis 40 Jahre reichen. Gleichzeitig ist in Großstädten die Kupferdichte bereits höher als in einer Kupfermine. Bei den Rohstoffen setzt auch das Cradle-to-Cradle-Konzept an. Während das heute angepriesene Recycling in Wahrheit meist Downcycling ist - schließlich bringt jede zusätzliche Verarbeitung minderwertigere Erzeugnisse hervor - wird bei Cradle to Cradle  echtes Upcycling betrieben. Derzeit wird Fensterglas in der Regel zu Behälterglas verarbeitet welches nach zwei oder drei weiteren Zyklen im Müll landet. Nach C2C entsteht ein nahezu endloser Kreislauf, in dem aus Fensterglas immer wieder Fensterglas in gleich bleibender Qualität hergestellt wird. Statt Müll bleiben Wert-Stoffe.

Der größte globale Rohstofffresser ist dabei die Bau- und Immobilienbranche: Etwa die Hälfte aller global gewonnenen Rohstoffe werden derzeit in Gebäuden verbaut - und landen nach deren Abriss bestenfalls im Downcycling, doch wahrscheinlicher ist es, dass sie ihr Ende auf der Mülldeponie finden und damit für immer verloren sind. Angesichts der demografischen Entwicklungen wird deutlich, wie akut der Handlungsbedarf ist. Schließlich steigt mit dem Bevölkerungswachstum auch der Rohstoffverbrauch. „Wir haben uns in den zurückliegenden Jahren viel mit der Energieeffizienz beschäftigt und dabei den Rohstoffeinsatz vollkommen außer Acht gelassen - und diese sind nun einmal endlich", resümiert Dr. Peter Mösle, Partner und Geschäftsführer der Stuttgarter Unternehmensberater.

Wirtschaftliche Stabilität und Zukunftssicherheit

Zudem wächst das Gesundheits- und Umweltbewusstsein. Dabei bedeutet ein rasches Handeln keineswegs eine ausschließlich ökologische Weltverbesserung, sondern geht vielmehr mit steigenden Renditen sowie wirtschaftlicher Stabilität und Zukunftssicherheit einher. Funktionieren wird das dann, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

Immobilien als Rohstofflager

Künftig können Immobilien als wahre Rohstoffdepots fungieren, die angesichts der steigenden Preise eine hohe Wertsteigerung erfahren. Die Investoren müssen die verbauten Rohstoffe als Kapitalanlage betrachten und haben statt potentiellen Entsorgungskosten wahre Werte in Ihren Büchern. Auf den Punkt gebracht heißt das: Die Gebäude von heute sind unsere Rohstoffe für morgen zu den Preisen von gestern.

Die Automobilindustrie macht bereits vor, wie es geht: Fahrzeuge werden heute so gebaut, dass sie später wieder leicht in ihre Einzelteile zerlegt und die Rohstoffe gut isoliert werden können. Hier haben allerdings Gesetze und Verordnungen für einen Innovationsschub in dieser Branche gesorgt. Trotzdem kann sich die Immobilienwirtschaft einiges vom mobilen Bruder abschauen: Es gilt, Materialien so einzusetzen, dass sie beim Rückbau problemlos sortenrein herausgenommen werden können - bei Metall und Beton beispielsweise ist das gut möglich. Hersteller von Baumaterialien sind gefordert, kreislauffähige Produkte zu entwickeln. Klar ist, dass der Recyclingprozess nur dann funktionieren kann, wenn sämtliche Baustoffe keinerlei gesundheits- oder umweltschädliche Bestandteile enthalten, denn sonst gelangen die Schadstoffe weiter in den Materialkreislauf. Intelligente Rohstoffnutzung und gesunde Immobilien sind also zwei Seiten derselben Medaille.

Leasen statt kaufen

Bauherren, Investoren und Produkthersteller werden sich nur dann engagieren, wenn sich C2C positiv auf die Bilanzen und Renditen auswirkt: Ein Fünftel der Bruttobaukosten entstehen durch Material. Wenn davon via Cradle to Cradle nur ein Zehntel zurückgewonnen werden kann, haben sich etwaige Mehrkosten für die intensivere Planung oder qualitativ hochwertige Bauprodukte schnell amortisiert. Eine Win-Win-Situation entsteht durch Leasingkonzepte. Bildlich gesprochen leiht sich der Immobilienbesitzer die Aussicht, anstelle ein Fenster zu kaufen. Er nutzt das Licht, die Lampe bleibt jedoch Eigentum des Herstellers. Damit spart sich der Immobilienbesitzer die Entsorgung von Sondermüll, auch seine Anfangsinvestitionen werden geringer. Gleichzeitig ist der Hersteller für die sortenreine Trennung und Aufbereitung am Ende der Nutzungszeit verantwortlich. Dadurch, dass die Rohstoffe in seinem Besitz bleiben und er diese immer wieder neu einsetzen kann, profitiert er von diesem Konzept: Schließlich muss weniger neues Material eingekauft werden und das vorhandene steigt sogar im Laufe der Zeit an Wert. Der Teppichhersteller Desso beispielsweise hat sich auf diese Art und Weise einen Wettbewerbsvorsprung verschafft: Der Marktführer stellt komplett recyclefähige Teppiche her, die Feinstaub binden und damit die Luftqualität in Innenräumen verbessern. Nach der Nutzungsdauer nimmt der Hersteller die Teppiche zurück und bereitet sie für den erneuten Einsatz wieder auf. Seit 2008 setzt das Unternehmen auf C2C, derzeit produziert die Firma rund 80% seiner Teppiche nach den Vorgaben. Bis zum Jahr 2020 sollen alle Produkte C2C-Kriterien entsprechen.

Der Markt verlangt nach gesunden Immobilien

In den Niederlanden zeigt sich bereits, dass sich C2C tatsächlich positiv in den Finanzen bemerkbar macht. Unweit von Amsterdam wartet der Park 2020 des Projektentwicklers Delta Development mit einem 80.000 qm großen C2C-Gewerbegebiet für Wohnen und Arbeiten auf. Neben ökologischen Themen wurde der Business Park durch sein Konzept, das Arbeiten und Wohnen kombiniert und den Fokus auf gesunde Immobilien mit hoher Luftqualität legt, zum Mieter- und Käufermagneten. Während benachbarte Areale mit der schwierigen Marktsituation kämpfen, kann Delta Preise von 200 EUR pro qm erzielen - doppelt so viel wie in den Gebieten nebenan. Der Niederländer fragt zu Beginn eines Vorhabens potenzielle Lieferanten, wie viel es ihnen wert ist, ihre Rohstoffe nach der Nutzungsdauer zurückzunehmen. Nur wer ein Rücknahmekonzept anbietet, kommt in die nächste Runde.

C2C-Gewerbegebiete zu entwickeln, hat sich auch die Europäische Union auf ihre Fahnen geschrieben. In einem Projekt des INTERREG-IVB (ein Programm der Europäischen Union zu Förderung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und territorialen Zukunft von Nord-Westeuropa) werden Leitlinien für Planung, Bebauung und Management von Gewerbeflächen erstellt. Mit dabei ist auch die Stadt Bielefeld. Im Rahmen des Projekts entwickelt sie ein Konzept für eine Gewerbefläche nach dem C2C-Prinzip.

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