Strategie & Management

Chemie rauf – CO2 runter

Der Einsatz von Chemieprodukten spart weltweit mehr Energie als ihre Produktion verbraucht

29.01.2010 -

Ohne Frage brauchen Chemieunternehmen viel Energie für ihre Prozesse und emittieren entsprechend viel klimarelevantes Kohlendioxid. Doch sie sorgen auch dafür, dass Energie eingespart wird, denn ihre Produkte sind oft leichter, dämmen besser oder leuchten effizienter als Nicht-Chemieprodukte. Eine vom Weltchemieverband beauftragte Studie hat Bilanz gezogen. Das Ergebnis: Mit Chemie wird weniger CO2 emittiert als ohne.

Die Temperaturen steigen weltweit an - darüber sind sich die Wissenschaftler heute einig. Längst wird auf Symposien und in der Politik darüber diskutiert, wie man mit den Folgen der Klimaerwärmung am besten umgeht. Die Szenarien, über die dort gesprochen wird, gehen von einer durchschnittlichen Temperaturerhöhung von maximal 2 Grad aus. Dies setzt allerdings voraus, dass der jährliche Ausstoß an Kohlendioxid bis 2050 um mindestens die Hälfte sinkt, verglichen mit dem Jahr 1990. Wird diese Reduktion nicht erreicht, wird die Temperatur stärker ansteigen. Die Weltwirtschaft müsse „dekarbonisiert" werden, fordert daher der Weltklimarat.

In Kopenhagen werden Weichen gestellt

Diese „Dekarbonisierung" ist das zentrale Ziel des 1997 von vielen Staaten - allerdings nicht den größten CO2-Emittenten China und USA - unterzeichneten Kyoto-Protokolls. Es läuft 2012 aus. Bis dahin muss eine Nachfolgeregelung gefunden werden. Auf der im Dezember stattfindenden UN-Klimakonferenz in Kopenhagen werden dafür wichtige Weichen gestellt werden.
Im Vorfeld der Konferenz gibt es zahlreiche Aktivitäten. Wie ernst die Wirtschaft den Klimawandel nimmt, verdeutlicht ein von über 500 Unternehmensführern unterzeichnetes „Kommuniqué von Kopenhagen über den Klimawandel". Das Kommuniqué appelliert an die politischen „Entscheidungsträger in aller Welt", das gleiche Maß an Koordinierung unter Beweis zu stellen wie bei der Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise. Ein „halbwegs ambitioniertes, wirksames und faires weltweites Abkommen" könne „die Bedingungen schaffen, um in unserer Weltwirtschaft einen Transformationsprozess in Gang zu setzen und jene Wirtschaftssignale auszusenden, die Unternehmen benötigen, um Milliarden in kohlenstoffarme Produkte, Dienstleistungen und Infrastrukturen investieren zu können", heißt es in dem Schrei-ben.

Erstmalig CO2-Bilanz für eine Branche

Welche Rolle die chemische Industrie in diesem Transformationsprozess spielt, zeigt eine Studie des Weltchemieverbands ICCA. Erstmalig wird hier für eine ganze Branche eine CO2-Bilanz aufgestellt. Denn zwar verursachen Chemieunternehmen durch ihre energieintensiven Prozesse auf der einen Seite Treibhausgasemissionen in erheblicher Höhe, auf der anderen Seite sorgen aber viele ihrer Produkte auch für die Reduktion von Kohlendioxid.
Für die Bilanzierung hat das mit der Studie beauftragte Beratungsunternehmen McKinsey Lebensweganalysen von mehr als 100 Chemieprodukten ausgewertet und errechnet, wie viel Kohlendioxid von der Gewinnung des Rohstoffs über die Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung anfällt. Dem gegenüber stellt McKinsey die CO2-Einsparung durch das betreffende Produkt im Lauf seiner Nutzung im Vergleich zu Nicht-Chemieprodukten. Die Systematik wurde von BASF entwickelt, die bereits unternehmensweit als erstes Unternehmen eine solche Bilanz erstellt hat.
Das Ergebnis: Im betrachteten Jahr 2005 wären die weltweiten Emissionen ohne chemische Produkte zwischen 8 und 11 % höher gewesen, als sie tatsächlich waren. Diese entspricht 3,6 bis 5,2 Mrd. t CO2-Äquivalenten. Dabei spielen einige Produkte eine besonders herausragende Rolle:
Dämmstoffe: Sie senken die Wärmeverluste von Gebäuden eklatant und somit den Heizbedarf.
Dünge- und Pflanzenschutzmittel: Durch die Steigerung der Erträge wird verhindert, dass noch mehr Land für den Anbau von Nutzpflanzen genutzt wird.
Leuchtmittel: Energiesparlampen und LEDs senken den Energieverbrauch von Lampen um ein Vielfaches gegenüber den konventionellen Glühbirnen.
Kunststoffverpackungen: Im Vergleich zu anderen Verpackungen schneiden sie bei der Lebensweganalyse besser ab.
Antifoulingfarben: Sie verhindern die Besiedelung von Schiffskörpern mit Pflanzen und Tieren und somit vermehrten Treibstoffverbrauch.
Kunststoffe für die Automobilindustrie machen Autos leichter und damit sparsamer.
Niedrigtemperaturwaschmittel, Schmiermittel, Benzinzusätze und Kunststoffrohre sind weitere Beispiele.

Blick in die Zukunft

Letztendlich spart die chemische Industrie laut der Studie heute also deutlich mehr CO2 ein, als sie produziert. Doch was bedeutet das für die Zukunft? Um diese Frage zu beantworten, werden in der Studie zwei unterschiedliche Szenarien für das Jahr 2030 vorgestellt:
Das Szenario „Business-as-usual" geht davon aus, dass der Bedarf an Produkten und Produktion steigt, die Effizienz verbessert wird und es zu regionalen Produktionsverlagerungen kommt. In diesem Szenario unternimmt der Gesetzgeber keine zusätzlichen Schritte für die Minderung von Treib-hausgasemissionen. Nach den McKinsey-Berechnungen, für die allerdings Unsicherheiten zwischen 25 und 40 % angegeben werden, verdoppeln sich die Emissionen aus der Chemieproduktion auf rund 6,5 Mrd. t CO2-Äquivalente. Dieser Anstieg wird jedoch durch die Einsparungen bei dem Gebrauch der Produkte im Vergleich zu anderen Produkten mehr als kompensiert: In absoluten Zahlen würde dies einer Einsparung von rund 12 Mrd. t CO2-Äquivalenten/Jahr entsprechen.
Das „Vermeidungs-Szenario" berücksichtigt weitere mögliche Einsparpotentiale sowohl bei der Produktion von Chemieprodukten als auch bei deren Nutzung. In diesem Fall würden die durch die Produktion verursachten Emissionen lediglich auf rund 5 Mrd. t CO2/Jahr ansteigen. Durch eine verstärkte Verwendung von Dämmmaterialien, hochleistungsfähigen Beleuchtungen, Lignocellulosic (LC) Ethanol, erneuerbaren Energien sowie CO2-Abtrennung und Einlagerung (Carbon Capture and Storage/CCS) ergäbe sich eine Netto-Emissionseinsparung durch die Chemie-Industrie von 16 bis 18,5 Mrd. t CO2.

Für die deutsche und westeuropäische Chemieindustrie zeigen die Ergebnisse der Studie Chancen auf. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Unternehmen in unserer rohstoff- und energiearmen Region einen Know-how-Vorsprung in puncto Energieeffizienz aufgebaut. Die herausragende Rolle der Europäischen Union im Klimaschutz hat zudem dazu geführt, dass Unternehmen hier verstärkt auf Produkte setzen, die zu mehr Energieeffizienz führen - aufgrund von gesetzlichen Vorgaben wie etwa der Energieeinsparverordnung sind neue Märkte entstanden. Dies kann global ein Wettbewerbsvorteil sein - wenn die internationale Politik es tatsächlich schafft, den geforderten Transformationsprozess in Richtung Dekarbonisierung in Gang zu bringen. Kopenhagen wird es zeigen.

 

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