„Elektrizitätspuffer”
Die Prozessindustrie wird flexibler – Teil 3: Energieadaptive Produktionstechnik
Die energieintensive Grundstoffindustrie ist verantwortlich für etwa ¾ des industriellen Energiebedarfs verantwortlich und somit der größte Hebel für Energieeinsparungen.
Die Spitzen sind dabei so hoch, dass bis zu 4 Mrd. kWh erneuerbaren Stroms pro Jahr abgeregelt werden müssen, weil das Netz sie nicht aufnehmen kann. Gleichzeitig kämpft das Land damit, seine Klimaziele zu erreichen, denn die Kohlekraftwerke müssen weiterlaufen, um die Energieversorgung in windstillen Nächten zu sichern. Während also am 1. Januar 2018 laut „Agora Energiewende“ mehr als 95 % des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen stammten, mussten am 24. Januar
2017 über 90 % des Energiebedarfs durch konventionelle Kraftwerke abgedeckt werden, wie der BDEW berichtete.
Bisher ist diese „konventionelle Reserve” der einzige Weg, eine durchgängige Stromversorgung sicherzustellen. Die bestehenden Speicherkapazitäten etwa in Pumpspeicherwerken sind begrenzt und in Deutschland weitgehend ausgeschöpft. Batterietechnologien werden stark vorangetrieben, aber die Skalierbarkeit ist limitiert und Elektrofahrzeuge setzen sich nur sehr langsam am Markt durch.
Demand Side Management als Lösung?
Wenn sich die Angebotsseite also nur begrenzt ausgleichen lässt, wie wäre es damit, die Nachfrageseite zu flexibilisieren – „demand side management“ zu betreiben? Das vom BMBF geförderte Kopernikus-Projekt „SynErgie – Synchronisierte und energieadaptive Produktionstechnik zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung“ hat sich genau dieser Frage gewidmet. In der gerade erschienenen Publikation „Flexibilitätsoptionen in der Grundstoffindustrie“ untersuchen die Autoren Methodik, Potenziale und Hemmnisse, inwieweit sich Prozesse der Grundstoffindustrie hoch- und herunterregeln lassen, um Energiespitzen abzufangen.
Die energieintensive Grundstoffindustrie (Metallerzeugung, Chemie, Papier, Zement, Glas, Keramik) ist verantwortlich für etwa ¾ des industriellen Energiebedarfs und etwa 2/3 des industriellen Stromverbrauchs in Deutschland. Damit stellen diese Prozesse potenziell den bedeutendsten Hebel für eine Flexibilisierung des Stromsystems dar. An jeweils einem Prozess untersuchten die Experten beispielhaft, welche Flexibilisierungspotenziale umsetzbar wären. Dabei berücksichtigten sie sowohl technologische als auch ökonomische Randbedingungen und die praktische Umsetzbarkeit, etwa im Hinblick auf regulatorische Restriktionen. Die Autoren beziehen sich auf drei Anforderungsprofile: einer kurzfristigen Variation der abgerufenen Leistung (15 min.), um eine kurzfristige Schwankung in der Stromerzeugung zu kompensieren; einer tageszeitlichen Schwankung mit einem Tag Vorankündigung und einer Dauer von 3–12 h; und einer „Dunkelflaute“ von 1–5 Tagen mit mehreren Tagen Vorlauf.
Chlor-Alkali-Elektrolyse:Ein Klassiker in neuer Rolle?
Als Beispiel für die Chemieindustrie wird in der Studie die Chlor-Alkali-Elektrolyse gewählt, die in mehreren Varianten untersucht wurde. Dieser Prozess lässt sich in mehrerlei Hinsicht flexibel gestalten: So kann die Anlage in einem Fenster zwischen Volllast und minimaler Teillast betrieben werden. Alternativ lässt sich die Produktion puffern, indem Zwischenprodukte gespeichert werden, und die Membran-Elektrolyse lässt sich mit schaltbaren Sauerstoffverzehrkathoden betreiben. Alle diese Optionen eignen sich, um Schwankungen auszugleichen – allerdings um den Preis von Produktionsverlusten und zu erheblichen Zusatzkosten für die Unternehmen.
Chlor-Alkali-Elektrolysen sind in der Regel stark ausgelastet, so dass eine Lasterhöhung in der Regel kaum möglich ist. Lastreduktionen sind technisch machbar. Allerdings sind die Prozesse häufig in Verbundstandorten angesiedelt und mit weiterführenden Prozessen verknüpft; Produktionsausfälle führen deshalb zu Ausfällen in nachgelagerten Folgeprozessen. Zwischenprodukte zu speichern ist nicht beliebig machbar, denn bspw. Chlorspeicher unterliegen gesetzlichen Größenbeschränkungen. Ein spezieller Fall ist jedoch die PVC-Produktion. Das Zwischenprodukt EDC kann gespeichert werden und somit die Folgeprozesse von der Chlor-Produktion entkoppelt werden. Damit eröffnen sich Möglichkeiten, die Chlor-Alkali Elektrolyse im Rahmen der PVC-Wertschöpfungskette für die Flexibilitätsbereitstellung zu nutzen.
Doch noch ein weiterer Faktor macht den Einsatz der Chlor-Alkali-Elektrolyse für das Demand-Side-Management schwierig: In der Regel muss es darum gehen, lokale Überschüsse oder Engpässe auszugleichen. Die Zentren der Chlor-Alkali-Elektrolyse liegen jedoch meist nicht in Gebieten mit einem hohen Anteil erneuerbarer Stromerzeugung; auch deshalb wird ihr Beitrag zunächst überschaubar bleiben. Trotz all dieser Hemmnisse empfehlen die Autoren der Publikation den Betreibern von Chlor-Alkali-Elektrolysen, sich mit den kommenden Veränderungen des Stromsystems auseinanderzusetzen und die Möglichkeiten weiter zu entwickeln, damit dieser stromintensive Prozess einen Beitrag zur Standortsicherung leisten kann.
Flexibilitätsoptionen in der Grundstoffindustrie
Die Publikation des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ist kostenlos im Download verfügbar.
www.dechema.de/flexibilitaetsoptionen