Evonik optimiert Blasensäulen-Technologie
Evonik Industries betreibt seit Mai 2014 in Marl eine Blasensäulen-Versuchsanlage, um diese wesentliche Prozesstechnologie weiter zu optimieren. Das Spezialchemieunternehmen sammelt dort zusätzliches Wissen über die Hydroformylierung, einen im Unternehmen genutzten Prozess zur Synthese von Aldehyden, die Ausgangsprodukte für Spezialchemikalien sind.
Dr. Claas Klasen, Leiter Verfahrenstechnik & Engineering bei Evonik: „Mit einem besseren Verständnis von Blasensäulen bauen wir unsere bereits heute ausgezeichnete Technologiekompetenz weiter aus. Wir machen die Chemieproduktion noch effizienter, energiesparender und emissionsärmer und leisten so einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Chemie."
Blasensäulen gehören in der chemischen Industrie zu den wichtigsten Apparaten in der Produktion. Evonik erzeugt mit ihnen neben Aldehyden auch das Oxidations- und Bleichmittel Wasserstoffperoxid.
Weltweit produziert die Chemieindustrie mit Blasensäulen rund 50 Mio. t Stoffe. „Unser Ziel ist es, die Planung von großen Produktionsanlagen, aber auch die Entwicklung neuer Prozesse und Verfahren deutlich zu beschleunigen", erläutert Prof. Robert Franke, im Geschäftsbereich Advanced Intermediates verantwortlich für Forschung zur Hydroformylierung.
Im Prinzip sind Blasensäulen große Rohre, in denen ein Gas von unten nach oben durch eine Flüssigkeit perlt. An der Grenzfläche zwischen Gas und Flüssigkeit läuft die chemische Reaktion ab, wodurch die gewünschten Produkte entstehen. So gewinnt Evonik zum Beispiel Aldehyde durch die Hydroformylierung von Olefinen mit Synthesegas.
Blasensäulen sind zwar mechanisch einfache Apparate, die darin ablaufenden Prozesse aber sehr komplex. Mit Hilfe von Rechenmodellen, den Computational Fluid Dynamics, kurz CFD, können die Abläufe in Reaktoren zwar beschrieben werden. Daten für die Übertragbarkeit in reale Systeme der Chemieindustrie stehen aber nur in geringem Maße zur Verfügung, da bislang nur Wasser-Luft-Systeme untersucht wurden.
Dr. Marc Becker, einer der leitenden Verfahrenstechniker bei Evonik in Marl, erklärt: „Die realen Prozesse in der chemischen Industrie sind viel komplexer. Wir wollen noch mehr darüber wissen, was genau zwischen Gas und Flüssigphase in einer realen, mehrere Meter hohen Blasensäule mit Zwischenböden, Wärmeaustauscher und Füllkörpern passiert und wie sich das Mehrphasensystem in der Säule verhält." Dazu fehlten bisher belastbare Modelle sowie Messtechniken, um die Modelle fundiert belegen zu können. Hier setzte das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 3 Mio. € geförderte Projekt „Multi-Phase" an.
Evonik initiierte das Projekt gemeinsam mit Partnern an Universitäten, Forschungszentren und mittelständischen Unternehmen. Projekt „Multi-Phase" entwickelt Modelle und Methoden weiter Die Projektpartner sollten zum einen Messtechnik für Pilot- und Produktionsreaktoren entwickeln und optimieren. Zum anderen sollten sie neue Modelle für Blasensäulen berechnen und ihre Gültigkeit anhand konkreter Messungen belegen. Untersucht wurden unterschiedliche Test-Stoffsysteme zum Beispiel aus dem Lösungsmittel Aceton und dem Gas Stickstoff. Nach Abschluss des Projekts im April 2015 wird eine Open-Source-Software zur Verfügung stehen, die alle Interessenten nutzen und entwickeln können. Becker zieht schon heute ein positives Fazit: „Der Erkenntnisse sind auf breiter Basis für verschiedene Reaktionen anwendbar und werden vielfältige Verbesserungen im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit, aber auch auf die Energie- und Ressourceneffizienz von Chemieanlagen nach sich ziehen."
Die im Mai 2014 gestarteten Arbeiten von Evonik in der Blasensäulen-Versuchsanlage bauen auf Erkenntnissen aus dem Projekt „Multi-Phase" auf. Die Blasensäule der Versuchsanlage ist vier Meter hoch und war für die Testphase des BMBF-Projekts im Chemiepark Marl errichtet worden. Evonik nutzt sie nun nach Abschluss der Testphase für das reale Stoffsystem Olefin und Synthesegas. Becker erklärt: „Mit Hilfe der neuen Messtechnik aus dem Multi-Phase-Projekt wird es erstmals möglich sein, das System über einen längeren Zeitraum zu beobachten und dadurch ein besseres Verständnis für die ablaufende Reaktion zu erhalten." Danach soll der Reaktor genutzt werden, um neue Produktionsverfahren für die Herstellung von Weichmacheralkoholen und Spezialchemikalien zu erproben - unter anderem mit verschiedenen Katalysatoren bei Variation von Drücken und Temperaturen.