Anlagenbau & Prozesstechnik

Flexibilität und Innovationskraft

16.04.2025 - Der deutsche Großanlagenbau hat im vergangenen Jahr mehr Aufträge aus den Industrieländern und dem Mittleren Osten verbucht und blickt mit Optimismus in die Zukunft.

Der deutsche Großanlagenbau hat im vergangenen Jahr mehr Aufträge aus den Industrieländern und dem Mittleren Osten verbucht und blickt mit Optimismus in die Zukunft. Doch gilt es, die bestehenden Herausforderungen und Unwägbarkeiten zu meistern. ­CHEManager befragte dazu Lucretia Löscher, COO von Thyssenkrupp Uhde und Vorstandsmitglied der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB).

CHEManager: Frau Löscher, was sind Ihrer Meinung nach in diesen volatilen Zeiten die wichtigsten Erfolgsfaktoren für Anlagenbauer?

Lucretia Löscher: Das Projektgeschäft ist seit jeher volatil, und der exportorientierte Anlagenbau hat gelernt, mit Veränderungen umzugehen – auch in Zeiten, in denen sich Krisen weltweit auswirken. Im aktuellen Markt­umfeld sind Flexibilität und Innovationskraft entscheidend. Der Einsatz neuer Technologien wie KI kann dabei innovationsbeschleunigend wirken. Zudem wollen Anlagenbauer ihre Umsätze mit einem umfassenden Serviceportfolio erhöhen. Schließlich spielt ein starkes Chancen- und Risikomanagement eine zentrale Rolle, um sich besser an neue Rahmenbedingungen anzupassen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Die USA sind ein wichtiger Markt für viele VDMA-Anlagenbauer. Wie schätzen Sie die Auswirkungen des Kurswechsels in der US-Wirtschaftspolitik auf den Anlagenbau ein?

L. Löscher: Die USA waren 2024 der wichtigste Absatzmarkt für den VDMA-Großanlagenbau und werden weiterhin ein bedeutender Markt bleiben. Investoren künftiger Großprojekte benötigen jedoch stabile wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen, damit sie ihre Vorhaben realisieren. Nach den ersten Monaten der neuen US-Administration lässt sich für manche Branchen allerdings noch nicht erkennen, ob ihre Kunden in den USA die notwendige Zuversicht aufbringen, um in neue Anlagenbauprojekte zu investieren. Vor diesem Hintergrund erwarten etwa 40 % der VDMA-Anlagenbauer negative Auswirkungen auf ihr US-Geschäft. Viele sehen aber auch Chancen. Besonders in den Bereichen Energie, Stahl und Chemie könnten in naher Zukunft neue Investitionen erfolgen.

In welchen Regionen erwarten Sie künftig neue Marktchancen für den Chemieanlagenbau?

L. Löscher: Innerhalb Europas sind insbesondere die Länder der Iberischen Halbinsel und Skandinaviens bedeutende Lieferanten nachhaltiger Energieträger. Dies führt dort zu einer steigenden Nachfrage nach Anlagen zur Herstellung von grünem Ammoniak und Methanol. In Nordafrika kündigen sich erste Projekte zum Bau von Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff an, der über ein Pipelinesystem nach Europa transportiert werden soll. Im Mittleren Osten herrscht derzeit eine lebhafte Projekttätigkeit, wobei blaue Projekte dominieren, bei denen CO2 abgeschieden und gespeichert wird, aber auch rein fossile Projekte werden weiter stark nachgefragt. Darüber hinaus erwarten die VDMA-Großanlagenbauer im laufenden Jahr eine spürbare Zunahme der Projekttätigkeit in Nord- und Südamerika, Südostasien und Indien.

Welche politischen Maßnahmen könnten die Wettbewerbsbedingungen für den Anlagenbau verbessern?

L. Löscher: Auf nationaler Ebene ist es Aufgabe der Politik, für wettbewerbsfähige Standortbedingungen zu sorgen, dazu gehören auch die Besteuerung, die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften und sonstiger Ressourcen. Es ist offensichtlich, dass die administrative Belastung der Unternehmen durch die vielen nationalen und europäischen Regelungen der letzten Jahre erheblich zugenommen hat. Die hohe Belastung ist die eine – die Benachteiligung gegenüber dem außereuropäischen Wettbewerb die andere gravierende Konsequenz. Die Zuspitzung der geopolitischen Lage sollte deshalb Anlass sein, national wie europäisch die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Vor diesem Hintergrund ist die Zielsetzung des Clean Industrial Deal zu begrüßen. Die geplante Omnibus-Regulierung ist ein erster wichtiger Schritt, dem weitere rasch folgen müssen. Wenn wir es mit der Vertiefung des europäischen Binnenmarkts ernst meinen, müssen wir auch die mit innereuropäischen Arbeitseinsätzen einhergehenden Meldepflichten vereinfachen. Ein zentraler Baustein zur Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland wäre aus Sicht des exportorientierten Anlagenbaus die seitens des VDMA seit Jahren geforderte Flexibilisierung des Hermes-Instrumentariums. Das jüngste Maßnahmenpaket vom Januar 2025 ist immerhin ein erster wichtiger Schritt, um den Abstand zum Angebot anderer europäischer Exportkredit-Agenturen zu verringern. 

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