Zukunft Chemie: Der Strukturwandel beginnt
Strategieberatung CMC2 stellt Chemieparks und Serviceunternehmen neu auf
Besonders betroffen: die Chemieindustrie – eine Schlüsselbranche mit globaler Bedeutung für alle Wertschöpfungsketten. Mit neuen Strategien, effizienteren Strukturen und gezielter Transformation stellen Chemieparks die Weichen für die Zukunft der chemisch-pharmazeutischen Industrie am Standort Deutschland. Welche Maßnahmen dabei im Mittelpunkt stehen und welche Hebel noch ungenutzt bleiben, beleuchtet die Strategieberatung CMC2 auf Basis von zahlreichen Projekterfahrungen und Expertengesprächen.
Auf politischer Ebene sind die Herausforderungen weitgehend bekannt: hohe Energiekosten, übermäßige Regulierung und eine unzureichende Standortentwicklung. Besonders die Bürokratie setzt Unternehmen unter Druck – mit rund 97.000 Einzelnormen sind deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich stark eingeschränkt. Chemieunternehmen kämpfen zusätzlich mit immer strengeren Umwelt- und Regulierungsauflagen. Bei der Standortentwicklung hinkt Deutschland hinterher – fehlende Investitionen der öffentlichen Hand in den letzten 10 bis 15 Jahren zeigen nun ihre Wirkung – etwa beim Ausbau der Energieinfrastruktur. Spätestens mit dem drastischen Anstieg der Energiekosten seit 2022 erreichte die Situation einen kritischen Höhepunkt.
Ein wesentlicher Teil der aktuellen Krise ist auch in den unternehmerischen Entscheidungen oder Unterlassungen der letzten 20 Jahre in deutschen Chemieunternehmen zu finden. In der Chemiebranche wirken sich die hohen Lohn- und Strukturkosten bei sinkenden Produktmargen und fehlende Investitionen zunehmend belastend aus. Viele Unternehmen halten an nicht mehr zeitgemäßen Organisationsstrukturen fest: zu große Verwaltungen, zu wenig kundenorientiert, zu funktional, geringe Produktivität und eine zögerliche Digitalisierung.
Ein weiterer kritischer Faktor ist die schleppende Innovationsdynamik. Forschung und Entwicklung sind die Grundlage neuer Geschäftsmodelle, langfristiger Wettbewerbsfähigkeit und Basis für die Verlängerung auslaufender Produktzyklen und strukturelle Erneuerung des Kunden- und Produktportfolios. Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie liegt bei den Entwicklungsausgaben global nur auf Platz vier hinter den USA, China und Japan. Deutsche Chemieunternehmen investieren rund 6 % ihres Umsatzes in F&E, während China mit 13 % mehr als das Doppelte ausgibt. Mit einem weltweiten Anteil von 32,4 % an den gesamten F&E-Ausgaben der Branche dominiert China inzwischen das Innovationsgeschehen.
Doch es gibt erste positive Anzeichen für Veränderung – nun kommt es darauf an, aus der Erkenntnis auch die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Zahlreiche Unternehmen haben die Dringlichkeit der Situation erkannt und erste Schritte eingeleitet. Viele sinnvolle inhaltliche Lösungsansätze liegen auf dem Tisch – jetzt bedarf es unternehmerischer und kämpferischer Lust und Mut, das eigene Unternehmen zukunftsfähig zu machen.
Chemieparks als Schlüssel zur Transformation
Eine zentrale Rolle bei der Sicherung des Chemieproduktionsstandortes Deutschland spielen die Chemieparks. Als integrierte Produktions- und Innovationszentren bieten sie entscheidende Standortvorteile und treiben die Neuausrichtung der Branche aktiv voran. Vorteile dieser Chemieparks sind: Synergieeffekte (Kollektive Nutzung von Services), bewährte Infrastruktur, umfassendes Industrieservice-Portfolio, optimale Verkehrsanbindung, Entlastung der Kunden von sekundären Aktivitäten, Partner bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit, beschleunigte Innovation (Vernetzung), Risikoreduktion (Sicherheit und Prävention) und Abbild eines attraktiven Arbeitsumfeldes.
Chemieparks bieten Unternehmen nicht nur Stabilität, sondern auch die nötige Agilität, um sich in einem herausfordernden Marktumfeld zu behaupten. Ihre Bedeutung als zentrale Bausteine einer wettbewerbsfähigen und widerstandsfähigen Chemieindustrie wird weiter wachsen – wenn eigenständige Chemieparks und Site-Service-Organisationen als selbstbewusste, marktorientierte und unternehmerische Persönlichkeiten auftreten.
Wenn das Chemieunternehmen dies gewährleistet, kann dies auch ohne eine gesellschaftsrechtliche Trennung und Verkauf an Dritte funktionieren. Die Bestimmung der richtigen Fertigungstiefe bleibt davon unbenommen.
Chemieparks sind nicht nur stabile Anker in einem herausfordernden Marktumfeld – sie entwickeln sich selbst weiter. Die Betreiber erkennen die Herausforderungen der Chemie- und Pharmaunternehmen und arbeiten gezielt daran, langfristig die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür setzen sie zunehmend auf neue Strategien und Strukturen und treiben die Weiterentwicklung in verschiedenen Bereichen voran.
„Die deutsche Industrie steht vor großen Herausforderungen und die Szenarien reichen von schleichendem Wohlstandsverlust bis hin zu neuem wirtschaftlichem Aufschwung."
Neustrukturierung der Chemieparks – neue Rollen und Eigentümerstrukturen
Lange Zeit folgte das Chemieparkmodell einem einfachen Prinzip: Ein Konzern betrieb den Standort, stellte Infrastruktur bereit und nutzte diese vor allem selbst. Doch mit steigender Zahl externer Unternehmen am Standort und der steigenden Bedeutung von Investitionen in das chemische Kerngeschäft wird eine klare Trennung von Rollen und Verantwortlichkeiten notwendig.
Steigende externe Beteiligung: der Fremdfirmenanteil steigt an historischen Chemiestandorten in den letzten Jahren von nahezu 0 % auf 25 % – an anderen Standorten sogar bis zu 80 %. Dies zeigt, dass die klassische „One-Company“-Struktur obsolet wird. Die unternehmerische Aufstellung der Site-Service-Organisation ist zwingend.
Vier Perspektiven (Owner, Operator, Manager, Customer) im Chemieparkmodell: Mit wachsender Kundenvielfalt und neuen Herausforderungen wird eine klare Trennung der Rollen unerlässlich. Die vier Perspektiven mit ihren spezifischen Aufgaben und Interessen sollten getrennt betrachtet und können von verschiedenen Unternehmen übernommen werden.
Neue betriebliche Strukturen: Serviceeinheiten als eigenständige Geschäftsbereiche mit klaren Service-KPIs und Strategien – notwendig sind Manager, welche das Service-Geschäft und die Erfolgsfaktoren Kundenzentrierung, Vertrauen und Prozesseffizienz verstehen.
Veränderte Eigentümerstrukturen: Früher dominierten Chemie- und Pharmaunternehmen als Betreiber; heute übernehmen vermehrt Private-Equity-Gesellschaften und branchenfremde Investoren die Führung – mit Fokus auf Kosteneffizienz, Skaleneffekte und strategische Standortentwicklung. Zahlreiche M&A-Transaktionen in Europa belegen diesen Trend.
Ziele des Wandels: Professionelleres Ansiedlungsmanagement, Effiziente Infrastruktur und Services, wettbewerbsfähige Kosten, steigern die Attraktivität des Chemieparkkonzepts für Investoren, z.B. bei Neuansiedlungen zur Variabilisierung von Standortkosten.
Strategische Ausrichtung der Chemieparks – Spezialisierung oder Diversifizierung?
Während einige Betreiber auf hochspezialisierte Standorte setzen, diversifizieren andere bewusst, um Risiken zu streuen. Vor diesem Hintergrund haben sich drei strategische Handlungsoptionen etabliert:
Konsolidierung der Standorte: Schließung kleinerer Parks, Ausbau & höhere Auslastung großer Standorte (Grund: Skaleneffekte und höhere Auslastung verbessern die Wirtschaftlichkeit).
- Spezialisierung: Chemieparks (eben auch kleinere) als Kompetenzzentren für bestimmte Branchen oder Technologiegruppen für die gezielte Ansiedlung von Unternehmen mit speziellem Know-how. Dies fördert die Sog-Wirkung durch Alleinstellungsmerkmale (z. B. Batterie- & Energiespeicher oder Pharma & Biotechnologie).
- Diversifizierung: Ansiedlung unterschiedlicher Branchen zur Risikostreuung und Senkung von Fixkosten (z.B. Rechenzentren in Chemieparks zur besseren Nutzung der Infrastruktur).
Ob ein Chemiepark eine Spezialisierungs- oder Diversifizierungsstrategie verfolgt, hängt stark von den individuellen Standortbedingungen ab und muss im Rahmen einer strategisch orientierten Leistungsfähigkeitsanalyse beurteilt werden.
„Chemieparks bieten Unternehmen nicht nur Stabilität, sondern auch die nötige Agilität, um sich in einem herausfordernden Marktumfeld zu behaupten."
Effizienzsteigerung & Werterhöhung – Chemieparks treiben die wirtschaftliche Transformation
Chemieparks setzen auf Digitalisierung, Automatisierung und optimierte Prozesse. Ziele sind dabei Kosteneinsparungen, bessere Ressourcennutzung und höhere Flexibilität:
- Digitalisierung & Automatisierung: Echtzeitüberwachung, KI-Analysen und Robotik steigern Effizienz und Sicherheit; Optimierte Wartung und Ressourcennutzung durch datenbasierte Steuerung. Service-Profis arbeiten mit Profi-Prozessen und -Werkzeugen.
- Flexible Produktionskonzepte: Modulare Anlagen für schnelle Anpassung an Marktveränderungen, höhere Kapazitätsauslastung und Reaktionsgeschwindigkeit.
- Maximale Infrastruktur-Auslastung: Effizientere Planung von Servicekapazitäten und Ressourcen, automatisierte Beauftragungs- und Abrechnungsprozesse, standortweite Optimierung durch gemeinsame Logistik und Energieversorgung.
- KI als Effizienztreiber: Entlastet Fachkräfte, ersetzt sie aber nicht. Intelligente Systeme optimieren u. a. Wartung und Prozesssteuerung.
- Wettbewerbsfähige Kosten: tarifliche Möglichkeiten bleiben eine Folge der Attraktivität eines am Markt absetzbaren Produktportfolios; die Gehaltsstrukturen im Industrieservice-Umfeld müssen auch für die Chemieparks gelten, es sei denn, die Kunden können oder möchten sich ein höheres Personalkosten-Niveau leisten.
Der Erfolg eines Chemieparks hängt zunehmend davon ab, wie effizient Prozesse und Ressourcen organisiert und eingesetzt werden. Digitalisierung ist dabei ein entscheidender Schlüssel.
Zukunftssicherung durch neue Technologien & Nachhaltigkeit
Eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit erfordert Fokus auf Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit. Chemieparks setzen daher gezielt auf strategische Stoßrichtungen, um innovative Unternehmen anzuziehen und ihre eigene Zukunft zu sichern.
Neue Rohstoffquellen nutzen: Die Anbindung an Wasserstoff- und CO2-Pipelines für die industrielle Nutzung lässt sich durch die Bildung eines lokalen Versorgungs-Hubs kostenoptimiert realisieren.
Ansiedlung innovativer Unternehmen: Die Attraktivität für Start-ups und Technologieführer kann kontinuierlich gesteigert werden und Synergien entstehen.
Nachhaltigkeit als Standortstrategie: CO2-Reduktion (wie z.B. CO2-Regionen-Projekten), Kreislaufwirtschaft und grüne Technologien (z.B. die industrielle Nutzung von abgeschiedenen CO2, CCU) eröffnen neue Geschäftsfelder.
Nachhaltige Produktionsprozesse: Die Verwendung von biobasierten oder CO2-neutralen Chemikalien, Kreislaufwirtschaft und Recycling, sowie die effiziente Wiederverwertung industrieller Abfallströme fördern die Rohstoffeffizienz. Anlagentechnische Optimierungen, wie die Nutzung von Abwärme, Einsatz von erneuerbaren Energien und smarter Infrastruktur ergänzen dieses Konzept durch die Steigerung der Energieeffizienz im Produktionsumfeld.
Neue Wertschöpfungsfelder zur Sicherung der Zukunft: Neuartige Chemieprodukte (wie z.B. die SAF/HVO-Produktion für nachhaltige Flug- und Transportkraftstoffe, grüne Lösungsmittel-Technologien oder neue Rohstoffe für die Batterietechnik) lösen das nicht-nachhaltige fossile Produktportfolio ab.
Fazit
Die Chemieindustrie steht zweifelsfrei an einem Wendepunkt. Die Herausforderungen sind groß, doch Unternehmen und Chemieparks haben erkannt, dass Abwarten keine Option ist. Durch neue Strukturen, Klarheit zur Positionierung, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit stellen sie die Weichen für eine wettbewerbsfähige Zukunft. Entscheidend wird sein, dass Service-minded-Führungskräfte und -Unternehmer die eingeleiteten Veränderungen in den Chemieparks konsequent umsetzen und auch zukünftig zielstrebig weiterverfolgen.
Autoren: Linus Armbrust, Business Analyst,
Thomas Wagner, Senior Consultant,
Carsten Suntrop,Senior Expert,
CMC2, Köln
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