Forschung & Innovation

Innovationssystem im Wandel

Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka über wissenschaftliche Exzellenz und unternehmerisches Denken

19.03.2025 - Die Fraunhofer-Gesellschaft ist eine der führenden Organisationen für anwendungsorientierte Forschung. Ihren Namen verdankt sie Joseph von Fraunhofer, der von 1787 bis 1826 lebte und als Wissenschaftler, Erfinder und Unternehmer gleichermaßen erfolgreich war.

Im Innovationsprozess spielt sie eine zentrale Rolle – mit Forschungsschwerpunkten in zukunftsrelevanten Schlüsseltechnologien und dem Transfer von Forschungsergebnissen in die Industrie. Die 1949 gegründete Organisation betreibt in Deutschland 76 Institute und Forschungseinrichtungen und beschäftigt knapp 32.000 Mitarbeitende, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung. Seit August 2023 steht Professor Holger Hanselka als Präsident an der Spitze der Fraunhofer-Gesellschaft. Er bekleidet zudem Ämter und Funktionen in mehreren Forschungsorganisationen und anderen Gremien, die sich mit Wissenschaft und Innovation befassen. Michael Reubold sprach mit Holger Hanselka über Spitzenforschung in Deutschland, deren Umsetzung in anwendungsreife Innovationen sowie die innovationspolitischen Rahmenbedingungen am Industriestandort Deutschland.

CHEManager: Herr Hanselka, mit ihrer anwendungsorientierten Forschung gilt die Fraunhofer-Gesellschaft als Aushängeschild und Innovationsmotor unseres Landes. Das Fraunhofer-Modell ist ein Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Forschungsorganisationen. Würden Sie es unseren Lesern kurz beschreiben?

Holger Hanselka: Wenn es Fraunhofer nicht gäbe, müsste man es heute erfinden. Seit 75 Jahren setzt Fraunhofer Hand in Hand mit Partnern aus Industrie, Wissenschaft und öffentlicher Hand Ideen in Innovationen um. 1949 gegründet - im selben Jahr wie die Bundesrepublik Deutschland - unterstützte Fraunhofer als eingetragener, gemeinnütziger Verein den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals musste die Industrie, die sich in den Kriegsjahren auf rüstungsrelevante Themen konzentriert hatte, wieder zurück ins zivile Geschäft geführt werden. Der Mittelstand brauchte dringend Hilfe bei der Forschung und Entwicklung, da viele Experten ins Ausland abgewandert waren und es keine eigenen F&E-Kapazitäten gab. Mit diesen Herausforderungen wuchs Fraunhofer in den Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahren zu einer bedeutenden Forschungsorganisation, die seit den 1970er Jahren auf dem sogenannten Fraunhofer-Modell basiert. Unsere Finanzierung stammt zu einem Drittel aus Wirtschaftseinnahmen – das ist ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der deutschen Forschungslandschaft und garantiert eine enge Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Industrie, also eine starke Marktorientierung. Und zu einem weiteren Drittel aus im Wettbewerb eingeworbenen öffentlichen Aufträgen und Zuwendungen, die wir in der Regel  in Verbundprojekten gemeinsam mit der Industrie durchführen. Das verbleibende Drittel schießen Bund und die Länder als Grund­finanzierung zu. Die wissenschaftliche Arbeit findet in 76 Instituten statt, die eigenständig innerhalb der rechtlich einheitlichen Fraunhofer-Gesellschaft agieren. 
Ihren Namen verdankt die Fraunhofer-Gesellschaft übrigens Joseph von Fraunhofer, der von 1787 bis 1826 lebte und als Wissenschaftler, Erfinder und Unternehmer gleichermaßen erfolgreich war. Dieser Spirit dient als unser Leitbild.

Diese enge Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft zeichnet Fraunhofer auch heute noch aus. Ist das der wesentliche Erfolgsfaktor?

H. Hanselka: Ja. Wir haben immer die wissenschaftliche Exzellenz in Kombination mit dem Bedarf des Marktes im Blick. Das unternehmerische Denken unterscheidet uns sicherlich von anderen Wissenschaftseinrichtungen. Diese Dreieinigkeit, so nenne ich es mal, von Wissenschaft, Erfindergeist und unternehmerischem Denken, die schon unser Namenspatron verkörpert hat, prägt auch unsere Mitarbeitenden und Führungskräfte. So haben wir zum Beispiel ein doppeltes Berufungsverfahren für die Institutsleitungen. Die Personen, die wir suchen, müssen eine Doppelqualifikation haben, Sie müssen einerseits den Kriterien einer Universitätsprofessur entsprechen und andererseits das unternehmerische Element mitbringen.

Die Anforderungen an Innovationsprozesse steigen beispielsweise hinsichtlich Geschwindigkeit, Agilität und Internationalität. Ist das Fraunhofer-Modell in der heutigen Zeit noch wettbewerbsfähig? 

H. Hanselka: Das Fraunhofer-Modell ist sehr robust und bewährt sich auch in Krisenzeiten. Unsere Grundfinanzierung ist nicht zweckgebunden, wodurch unsere Institute flexibel auf Marktveränderungen reagieren können. Wir beobachten Märkte, konzentrieren uns auf neue Bereiche und können uns wie ein Unternehmen orientieren. Das Fraunhofer-Modell kombiniert langfristiges, zukunftsgerichtetes Denken mit der Orientierung am Markt, gewährleistet also Konstanz und Agilität gleichermaßen. Jedes Inst­itut wird nach diesem Mechanismus geführt. Die Grundfinanzierung der Institute errechnet sich auf der Basis ihres  wirtschaftlichen Erfolgs und ihrer öffentlichen Aufträge. Somit ist die Resilienz sozusagen im System eingebaut. Zusammengefasst ist Fraunhofer stark marktorientiert, anwendungsbezogen und unternehmerisch geprägt.

Sie haben die Finanzierung angesprochen. Können Sie das Modell bitte näher erläutern?

H. Hanselka: Fraunhofer erhält ein Drittel seiner Mittelaus der öffentlichen Grundfinanzierung , während zwei Drittel im Wettbewerb eingeworben oder erwirtschaftet werden müssen. Diese Struktur, die in Balance stehen muss, fördert Effizienz und Marktanpassung: Die Grundfinanzierung kommt vom Staat, das zweite Drittel wird durch direkte Auftragsforschung aus der Industrie finanziert und das dritte Drittel müssen wir aus öffentlichen Ausschreibungen wie etwa vom Forschungs-, vom Wirtschafts- oder vom Umweltministerium oder der EU generieren. Dieser ausgewogene Mix aus Grundfinanzierung und Wettbewerbsmitteln unterscheidet uns von anderen deutschen Wissenschaftseinrichtungen, die in der Regel. fast vollständig grundfinanziert sind und Drittmittel ergänzend dazu erwirtschaften. Bei Fraunhofer führt der Marktanteil wie erwähnt zu einer sehr unternehmerischen Kultur.

Können Sie selbst entscheiden, wo die Forschungsgelder eingesetzt werden. Richten Sie sich nach politischen Trends oder orientieren Sie sich an den Bedürfnissen der Industrie?

H. Hanselka: Wir richten uns nicht unbedingt nach Trends, aber wir sind an vielen Stellen Trendsetter. Und das erwartet die Industrie auch von uns. Wir arbeiten eng mit der Regierung, dem Europäischen Parlament und der Wirtschaft zusammen, um zukünftige Märkte und Entwicklungen zu identifizieren. Dabei müssen wir flexibel bleiben, besonders wenn sich Marktbedingungen ändern, wie bei der Elektromobilität.

Bei welchen Themen und auf welchen Forschungsfeldern ist Fraunhofer derzeit hauptsächlich unterwegs?

H. Hanselka: Immer da, wo es einen Markt gibt – oder gerade einer entsteht. Ursprünglich begann alles mit Materialien und Produktionstechnik. Diese Bereiche sind bis heute unsere stärksten. In den 2000er Jahren kamen IT, Cybersecurity und industrielle Datenräume hinzu. Life Sciences und Medizintechnik sind ebenfalls wichtige Themen, heute und für die Zukunft. Weitere Schwerpunkte sind Photonik, Optik und Kreislaufwirtschaft. Fraunhofer entwickelt zudem Technologien wie Batteriefabriken und Mikroelektronik für die Zukunft.

Sie beraten auch innovationspolitische Gremien zu Fragestellungen der Wissenschafts- und Forschungspolitik. Fühlen Sie sich dort verstanden, wenn Sie zum Beispiel an die Budgetkürzungen für das Thema Elektromobilitätsforschung denken?

H. Hanselka: Bereits im Dezember letzten Jahres  haben wir der Politik im Vorfeld der Wahlen mit unseren Positionspapieren Handlungsempfehlungen in wichtigen wissenschaftspolitischen Feldern an die Hand gegeben. Wir haben notwendige Maßnahmen identifiziert und unsere Forderungen klar adressiert. Die Elektromobilität ist eine besondere Herausforderung in Deutschland und Europa. Fraunhofer hat diesen Trend früh erkannt und sich in Bereichen wie Elektromotoren, Radnabenmotoren und Batteriemanagementsystemen positioniert. Aber: Wir setzen nicht blind auf einen Trend, sondern denken immer daran, ob die von uns entwickelten Technologien auch in anderen Segmenten Nutzen bringt. Denn wir sind technologieoffen. Unsere Technologien für die Elektromobilität können beispielsweise auch in Akkuschraubern oder Rasenmähern eingesetzt werden. So stellen wir sicher, dass unsere Forschung – auch wenn sich die politische Förderpraxis ändert - relevant bleibt und wir flexibel auf Veränderungen reagieren können.

Durch die enge Verzahnung mit der Wirtschaft, insbesondere dem deutschen Mittelstand, bekommen Sie die Stimmung in den Unternehmen hautnah mit. Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation?

H. Hanselka: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Ich bin täglich im Austausch mit der Wirtschaft. Der Mittelstand ist oft langfristig orientiert, besonders familiengeführte Unternehmen. Das ist gut so. Aber viele dieser Unternehmen verlagern ihre Aktivitäten nun ins Ausland oder werden nicht an die nächste Generation weitergegeben, weil sich eine Weiterführung oft nicht lohnt. Diese kritische Situation erfordert dringend politische Aufmerksamkeit. Der Mittelstand ist nicht nur eine eigene Community, sondern auch ein wichtiger Teil der Lieferketten großer Unternehmen und damit ganzer Wertschöpfungssysteme. Das ist höchst relevant für die deutsche Wirtschaft.
Uns muss klar sein: Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland müssen so gestaltet werden, dass Unternehmertum wieder attraktiv wird. Es bedarf langfristiger Planungssicherheit und einer stabilen politischen Agenda, um unternehmerisches Risiko wieder lohnenswert zu machen. Meine persönliche Erwartung an die künftige Regierung ist es, dass sie einen klaren und stabilen Rahmen setzt, innerhalb dessen Unternehmen im wahrsten Sinne unternehmerisch agieren können.

Wenn immer mehr deutsche Unternehmen Investitionen ins Ausland verlagern, stößt da das Fraunhofer-Modell – im wahrsten Sinn des Wortes – an Grenzen?

H. Hanselka: Unser Hauptaugenmerk liegt zwar auf der deutschen Industrie, aber unsere Institute in Deutschland erzielen 30 % ihres Umsatzes international. Wir betreiben in neun Ländern eigene Fraunhofer-Einheiten, die rechtlich und finanziell selbstständig sind, aber unter der Marke Fraunhofer agieren. Sie sind in Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien aktiv. Häufig nutzen wir eine Huckepack-Strategie: Wir begleiten deutsche Firmen, die im Ausland Standorte eröffnen, um den lokalen Markt zu bedienen. Dort führen wir gemeinsam Projekte durch. Der Erfolg unserer Partner im Exportgeschäft zeigt, wie wichtig unsere internationale Ausrichtung ist. Dennoch müssen wir darauf achten, keine Konkurrenzsituation zu deutschen Unternehmen zu schaffen. 

Gilt das auch für die Ausbildung? Andere Länder bauen auch wissenschaftliche Kompetenzen auf. Worauf sollte sich Deutschland konzentrieren, um im internationalen Wettbewerb stark zu bleiben? 

H. Hanselka: Wissenschaft ist weltweit vernetzt und orientiert sich an Exzellenz, gemessen an Veröffentlichungen und dem internationalen Ranking. Fraunhofer fokussiert sich auf angewandte Wissenschaft und Marktzugang. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Delegationen aus aller Welt sind an unserem Modell interessiert, das einen unternehmerischen Ansatz und eine starke MINT-Ausbildung erfordert – und die deutsche Ingenieurs- und Informatikausbildung genießt internationale Anerkennung. Bei Fraunhofer bilden wir Promovierende zusätzlich im Projektgeschäft aus, sodass sie lernen, wie Kunden und Märkte funktionieren und wie sie wissenschaftliche Ergebnisse verständlich kommunizieren. Das macht uns einzigartig und attraktiv auf internationaler Ebene. 

Um aus einer Idee ein marktreifes Produkt zu machen, dauert es eine gewisse Zeit. Sind wir in Deutschland bei dieser Transferdauer noch wettbewerbsfähig?

H. Hanselka: Geschwindigkeit ist kein Problem, wenn wir direkt am Markt arbeiten. Ein zu langsamer Transferprozess, oft als "Tal des Todes" bezeichnet, ist oftmals dann besonders spürbar, wenn eine gute akademische Idee in einem Unternehmen oder einer Ausgründung umgesetzt werden soll. Der Weg von der Idee bis zur Marktreife ist oft lang und erfordert Unterstützer und Investoren. Fraunhofer geht diesen Weg naturgemäß direkter, da wir vom Markt ausgehen: Der Kunde hat einen Bedarf und beauftragt uns, diesen zu erfüllen. Schwieriger wird es , wenn wir Ideen entwickeln, für die es noch keinen Markt gibt. In Deutschland haben wir hier Nachholbedarf, insbesondere im Vergleich zum Silicon Valley, wo alles schneller geht und mehr Kapital verfügbar ist. Unser Risikokapitalmarkt ist weniger entwickelt.

Innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft unterstützen wir Gründer mit einer zentralen Anlaufstelle: Fraunhofer Venture. Unsere Hauptaufgabe ist jedoch die Auftragsarbeit für die Industrie sowie unser Lizenzgeschäft. Beispiele sind unser bekanntes MP3-Patent und aktuellere Patente für Audio- und Videoübertragungen, die in vielen modernen Handys genutzt werden. Diese Lizenzen bringen uns jährlich erhebliche Einnahmen, die in die Forschung reinvestiert werden.

Voraussetzung für Spitzenforschung sind Spitzenforscher. Sie haben es bereits angesprochen. Wir erleben derzeit – nicht nur aufgrund der demografischen Entwicklung – ein nachlassendes Interesse an MINT-Studiengängen. Wie würden Sie dem entgegensteuern?

H. Hanselka: Es ist tatsächlich eine Herausforderung, das Interesse an MINT-Studiengängen und -berufen frühzeitig zu wecken. Viele junge Menschen bevorzugen derzeit andere Studienrichtungen, was möglicherweise auch an den extrem großen Herausforderungen liegt, die zu einer „Flucht“ in technologieferne Fächer führt. Wichtig ist: Technologie und Zukunft müssen positiv besetzt sein und dürfen keine Angst auslösen. Deshalb ist mir der bereits erwähnte Begriff Technologieoffenheit so wichtig. Wir müssen auch effizienter in Forschungsprozessen werden, da die besonders geburtenstarken Jahrgänge  bald aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Künstliche Intelligenz kann unterstützen, sowohl in Verwaltung als auch in Forschung. Zudem müssen wir unseren Arbeitsmarkt öffnen für Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt. Wir brauchen hochqualifizierte Fachkräfte, auch aus dem Ausland, um unseren Bedarf zu decken.

Kompetenzen in Digitalisierung sind heute unerlässlich. Welche Qualifikationen benötigen Nachwuchskräfte, um für die Industrie und Fraunhofer attraktiv zu sein?

H. Hanselka: Heutzutage  gibt es eine unsichtbare und eine sichtbare Welt: Die unsichtbare Welt ist der digitale Zwilling der realen Welt. Um Prozesse in Hardware umsetzen zu können, muss man Dinge aber auch sehen und anfassen, etwa in der Produktion. Wir brauchen Fachleute, die zwischen digitaler und physischer Welt navigieren können – so, wie man in meiner Generation Kunststoff- und Metallexperten zusammenbringen musste. Damals waren dies zwei völlig getrennte Welten. So wie Kunststoff- und Metalltechniker heute beides verstehen, müssen wir Fachleute beide Welten verstehen. Wir müssen für Software- und Hardwaretechnologien ausbilden.

Die drei größten Industriezweige in Deutschland und unsere Exportaushängeschilder – Automobil, Maschinenbau, Chemie – befinden sich in einer tiefgreifenden Transformation. Die Haupttreiber dieses Umbaus sind die Themen Nachhaltigkeit, Energie, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung. Sind das auch die Top-Themen in den Fraunhofer-Instituten?

H. Hanselka: Die Megatrends, die uns beschäftigen, betreffen die Grundbedürfnisse des Menschen: Ernährung, Gesundheit, Mobilität, Kommunikation et cetera. Wir haben die SDGs, an denen wir uns orientieren können. Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist Kreislaufwirtschaft ein wichtiges Thema für uns, auch mit Blick auf  begrenzte Ressourcen wie Seltene Erden. Denn diese Themen sind nicht aus idealistischen Gründen relevant, sondern aus Notwendigkeit: Mit Blick auf die Zukunft müssen wir alle Materialien im Kreislauf denken, nachhaltig und mit Substituten. Wir müssen Werkstoffe synthetisieren, um sie nicht mühsam aus anderen Ländern zu beschaffen.
Ein weiteres Thema, das uns bei Fraunhofer intensiv beschäftigt, betrifft die Verteidigung und Sicherheit. Wie stellen wir unsere Verteidigungskompetenzen wieder her? Wie investieren wir in Sicherheit, sowohl in Hardware als auch in Software? Die aktuelle weltpolitische Lage führt deutlich vor Augen: Wir müssen uns mit Cyberangriffen und hybrider Kriegsführung auseinandersetzen. Fraunhofer hat eine lange Tradition in diesem Segment mit etwa zehn Instituten, die unter anderem über das Verteidigungsministerium finanziert werden. Diese Institute waren in Zeiten der Entspannung weniger sichtbar, sind heute aber maximal relevant. Unser Wissen aus  der Forschung muss zum Schutz unseres Lebens eingesetzt und in den Markt gebracht werden. Dazu gehört einerseits der Klimaschutz, andererseits aber auch der Schutz vor Bedrohungen, die unser Leben und unsere Existenz unmittelbar betreffen.

Wie beurteilen Sie abschließend die Zukunft des Forschungsstandorts Deutschland in Anbetracht der diskutierten Herausforderungen?

H. Hanselka: Ganz klar: Wir müssen unsere Stärken stärken. Jeder sollte das tun, was er am besten kann, und sich im Wettbewerb behaupten. Es braucht Leitplanken, aber kein Mikro­management. Das Vertrauen in die Zukunft und die Beiträge der Wissenschaft sind entscheidend. Daher ist es auch für unsere Zukunft entscheidend, dass wir als Gesellschaft die Freiheit der Wissenschaft, so wie sie im Grundgesetz verankert ist, ernst nehmen.
Aus Fraunhofer-Sicht sage ich: Wissenschaft und Transfer müssen zusammen gedacht werden. Die beste Forschung nützt nichts, wenn die Ergebnisse nur in Publikationen landen, am Ende müssen Produkte entstehen, die einen Markt haben – und die unserer Wirtschaft und Gesellschaft nutzen.

ZUR PERSON
Holger Hanselka ist seit August 2023 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Zuvor leitete der 1961 in Oldenburg geborene Maschinenbauingenieur zehn Jahre lang das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und war Vizepräsident für den Forschungsbereich Energie der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF). Hanselka promovierte 1992 er an der Technischen Universität Clausthal und arbeitete anschließend bis 1997 am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig. Dem folgten Professuren an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg (bis 2001) und der Technischen Universität in Darmstadt (von 2001 bis 2013), wo er parallel das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF leitete und von 2006 bis 2012 bereits dem Präsidium der Fraunhofer-Gesellschaft angehörte.

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