Gesellschaftliche Verantwortung, Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen
Dekarbonisierung: Scope-1- und Scope-2-Maßnahmen in der chemischen Industrie
Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Überschwemmungen und Stürme nehmen zu und verursachen erhebliche Schäden an Infrastruktur und Lebensgrundlagen. Dekarbonisierung in der Industrie ist also unbedingt notwendig. Zehn Chemieunternehmen haben uns gesagt, wie sie die Herausforderung angehen.
Nein, das Klima bricht nicht zusammen – wie sollte es auch. Und die Natur ist auch nicht gefährdet – im Gegenteil. Bestimmt mag die Natur Überschwemmungen und Wirbelstürme, um Neues auszuprobieren.
Lebewesen mit kurzen Reproduktionszyklen von Stunden oder wenigen Tagen werden spielend mit einem Temperaturanstieg von einigen Grad pro Jahrhundert fertig. Nun ja, Eisbären und alle anderen Bärenarten auch haben da ihre Probleme, aber die Natur kann locker auf solch unflexible Lebewesen verzichten. Dafür breiten sich Stinkwanzen in Gegenden aus, in denen sie vor einigen Jahren noch nicht überleben konnten.
Eigentlich auch ganz possierliche Tierchen mit interessanten Fähigkeiten – ich mag sie allerdings nicht.
Wenn wir Menschen uns um Klima, Natur und Umwelt sorgen, dann also hauptsächlich im Eigeninteresse – um in 20, 50 oder 100 Jahren noch komfortabel auf unserer Erde leben zu können mit möglichst wenigen Katastrophen, die Leben und Wohlstand gefährden. Ökologie und Ökonomie gehören also immer zusammen – zumindest über größere Zeiträume betrachtet. Und hier beginnen die Herausforderungen: Über welche Zeiträume muss man als Unternehmensführer oder Politiker planen und agieren? Was kann und muss ich heute investieren, um in 20 oder 50 Jahren erfolgreich zu sein? Und wie agiere ich als Mensch? Lebe ich da nur im Hier und Jetzt, oder beziehe ich auch das Wohlergehen meiner Kinder und Enkel in mein Handeln eín und nehme einen Zeitraum von etwa 100 Jahren intensiv in den Blick?
Wettbewerb, Scope 1 und Scope 2
Der globale Wettbewerb hat sich verändert – Wettbewerbsfähigkeit bedeutet nicht, früher bewährte Strukturen zu bewahren, sondern neue flexibel zu adaptieren, disruptive Veränderungen zu erkennen oder sie sogar zu bewirken. Gefragt ist also die Fähigkeit, sich an neue Realitäten anzupassen – Darwin lässt grüßen. Wir müssen den Mut für langfristige Visionen und manchmal auch unpopuläre Maßnahmen aufbringen.
„Physikalisch hört die Erwärmung auf, sobald wir endlich weltweit netto null CO2-Ausstoß erreicht haben. Die Technologien dafür haben wir im Wesentlichen. Wenn wir das zur höchsten Priorität machen, könnten wir sehr schnell Klimaneutralität erreichen“ sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom PIK – Potsdam Institute for Climate Impact Research.
Also zeigen wir nicht mit dem Finger auf andere, sondern packen wir die Scope-1-Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen an, nicht ohne das Umfeld zu vergessen.
Scope 1 umfasst alle direkten Treibhausgasemissionen, wie sie besonders in der Produktion anfallen, aber auch andere direkt in Unternehmensimmobilien verbrauchte Primärenergieträger. Beispiele sind u. a. Erdgas, Heizöl, Benzin oder Diesel. Hinzu kommen die Emissionen aus Kältemittelleckagen und dem Verbrenner-betriebenen Fuhrpark.
Scope 2 umfasst die indirekten Treibhausgasemissionen, die aus der Erzeugung der beschafften Energie resultieren. Die CO2-Emissionen entstehen durch verbrauchte Sekundärenergieträger, wie z.B. Strom, Fernwärme, Dampf oder Kühlungsenergie in Gebäuden sowie in Elektrofahrzeugen.
Experten der Firmen Altana, Nobian, Peter Greven, Evonik, Wacker, IGR Interessengemeinschaft Regelwerke Technik, Clariant, Covestro, Dow und Bayer haben uns erläutert, welche Maßnahmen zur Dekarbonisierung in Scope 1 und 2 sie aktiv umsetzen oder planen.
Lesen Sie hier die Meinungen der Experten:
Michael Berkei, Leiter Corporate EH&S, Altana
Haimo Tonnaer, Sustainability Program Manager, Nobian
Verena Koch, Nachhaltigkeitsmanagerin, Peter Greven
Julia Frey, Leiterin Nachhaltigkeit & Effizienz in der Verfahrenstechnik,Evonik Industries
Stefan Henn, Leiter Energieversorgung, Wacker Chemie, Burghausen
Werner Sievers, VV der IGR Interessengemeinschaft Regelwerke Technik
Richard Haldimann, Chief Technology and Sustainability Officer, Clariant
Sucheta Govil, Chief Commercial Officer, Covestro
Dirk Missal, Tech Center Associate Hydrocarbons, Dow Olefinverbund
Daniel Schneiders, Director Climate Program, Bayer
Fazit
Nur mit Klima- und Umweltschutz wird auch in Zukunft lebenswertes Leben auf der Erde möglich sein – Nachhaltigkeit ist eine Notwendigkeit, die wirtschaftlich tragfähig gestaltet werden muss. Deshalb ist der Schutz unseres Planeten wieder ein zentrales Thema des Weltwirtschaftsforums 2025 (WEF, World Economic Forum). Es umfasst Maßnahmen in den Bereichen Energie, Klima und Natur durch innovative Partnerschaften, verstärkte Finanzierung und den Einsatz von Spitzentechnologien. Das Netzwerk der Sustainability Lighthouses des WEF zeigt schon heute, dass Produktivität und Nachhaltigkeit kein Widerspruch mehr sein müssen.
Und ja, es tut sich einiges zur Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung in der Prozessindustrie. Da alle Maßnahmen zur fossilfreien Produktion jedoch grüne Energie benötigen, ist deren Verfügbarkeit zu international wettbewerbsfähigen Preisen essenziell. Das ist und bleibt eine enorme Herausforderung, die zu lösen aber auch eine riesige Chance darstellt. Bleibt ganz zu hoffen, dass im Sinne von Ökonomie durch Ökologie auch die „Early Adopters“ belohnt werden – vielleicht ja auch mit steigenden Börsenkursen durch wachsendes Renommee.
Autor: Volker Oestreich, CHEManager