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Wie kommt die Chemieindustrie in den Zukunftsmodus?

Studien belegen: Dramatisch schlechte Stimmung in der Chemiebranche, Standortbedingungen beeinflussen Transformationspfade

09.11.2024 - Die Stimmung in der deutschen Chemiebranche ist dramatisch schlecht. Das ist ein zentrales Ergebnis einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) basierend auf einer Umfrage unter den Verbandsmitgliedern.

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup ordnete das Ergebnis ein: „Unsere Unternehmen arbeiten mit voller Kraft an der Transformation. Aber sie agieren nicht im luftleeren Raum – die Standortbedingungen in Deutschland haben sich fundamental verschlechtert.

Die Krisen der letzten Jahre hätten nicht nur Spuren in den Bilanzen der Chemie- und Pharmaunternehmen hinterlassen, sie beeinflussten auch die Transformation der Branche zur Klimaneutralität. Große Entrup sagte dazu: „Wir müssen wirtschaftliches Wachstum und Klimaschutz wieder in Einklang bringen.“

Wo sich der Abschwung zeigt und wie die Branche wieder in den Zukunftsmodus schalten kann, hat der Chemieverband in gleich zwei Studien aufarbeiten lassen – zum einen in der o.g. BCG-Studie auf Basis der Mitgliederbefragung, zum anderen in einem Update der Szenarien der Klimaschutzplattform Chemistry4Climate, das neben dem VCI auch vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) initiiert und von der Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie durchgeführt wurde.

Bedarf an Strom und Wasserstoff sinkt

In dem Update der Chemistry4Climate-Szenarien wurde untersucht, wie sich der Rückgang der Produktionsmengen auf die Transformationswege der Chemie auswirkt. Bei der Initiative Chemistry4Climate engagierten sich knapp 80 Partner aus der Industrie, Nicht-Regierungsorganisationen und der Politik, um notwendige Voraussetzungen für eine treibhausgasneutrale chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland zu erarbeiten.

Ins Leben gerufen wurde die Plattform von VCI und VDI. Dieter Westerkamp, Bereichsleiter Technik und Gesellschaft beim VDI, unterstrich die Dringlichkeit: „Die Produktionsrückgänge sind so massiv, dass wir die Datenbasis der Chemistry4Climate-Studie aktualisieren mussten. Nur durch eine präzise und aktuelle Analyse können wir zielgerichtet herausfinden, wie die Transformation der Branche gelingen kann.“

Alexis Bazzanella, Studienautor bei der Dechema, führte die Neuberechnungen durch und erläuterte die Ergebnisse: „Durch die Produktionsrückgänge bei besonders erdgas- und energieintensiven Basischemikalien sinken etwa die Bedarfe der Branche für Strom und Wasserstoff. Die technologischen Hebel zur Transformation – also der Ersatz fossiler Rohstoffe und die Prozesselektrifizierung – bleiben aber unverändert.“

VCI-Hauptgeschäftsführer Große Entrup stellte angesichts der neuen Zahlen klar: „Weniger Nachfrage nach Strom und Wasserstoff verändert beispielsweise Infrastrukturanforderungen in Deutschland. Der Weg zur Klimaneutralität wird damit aber nicht automatisch leichter. Im Gegenteil: Dem Klima ist mit dem deutschen Produktionsrückgang nicht geholfen und unser Standort wird anfälliger für Lieferkettenprobleme.“

Stimmungsbild und Lösungswege

Die BCG-Studie auf Basis der Mitgliederbefragung beleuchtete auch das Investitionsklima in der deutschen Chemie. Madjar Navah von BCG erläuterte: „Fast drei Viertel der Befragten hält es derzeit für unwahrscheinlich, Investitionen in neue Anlagen und Standorte in Deutschland zu tätigen.“ Als größte Investitionshemmnisse werden von den Unternehmen Bürokratie, nicht wettbewerbsfähige Energiekosten sowie lange Genehmigungsverfahren genannt. Auch den Innovationsstandort Deutschland betrachten nur noch gut ein Viertel der Befragten in Chemie- und knapp die Hälfte in Pharmaunternehmen als zukunftsträchtig. Die BCG-Studie macht zudem deutlich, dass die digitale und nachhaltige Transformation von den Unternehmen umfangreiche Innovationen und Investitionen erfordere.

BCG sieht vier zentrale Hebel, um den Standort wieder wettbewerbsfähig zu machen. Navah: „Wirtschaft, Politik und Wissenschaft müssen vor allem diese Themen adressieren: Innovationskraft stärken, Produktionsstandort aufwerten, Wertschöpfungsketten absichern, Fachkräfteverfügbarkeit sicherstellen.“

Hoffnung macht dem BCG-Experten, dass „Deutschland noch über eine starke und in weiten Teilen wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie verfügt. Das Land hat das Potenzial, auch in Zukunft als führende Chemie- und Pharmanation erfolgreich zu sein.“

Transformation entscheidet über Standortzukunft

VCI-Hauptgeschäftsführer Große Entrup betonte angesichts der Studienergebnisse: „Energieintensive Industrien wie die chemische Grundstoffindustrie sind Eckpfeiler des deutschen Wohlstands und Innovationsmotor für alle nachgelagerten Industrien. Diese wichtigen Keimzellen für den klimaneutralen Umbau des Industriestandorts müssen erhalten bleiben.“

Die Energie- und Klimapolitik müsse den Glauben an sichere und bezahlbare Energie in Deutschland zurückgeben. Das sei auch Basis für viele neue Produktionsverfahren, etwa durch Elektrifizierung. Auch der VCI sieht die zahlreichen weiteren Problemfelder wie Bürokratie-Overload, zu hohe Steuern oder Probleme bei der Umsetzung von Grundlagenforschung in neue Geschäftsmodelle.

Große Entrup machte deutlich, was er jetzt von der Politik erwartet: „In unserer Branche zeigen sich die Probleme des Standorts wie unter einem Brennglas. Sie betreffen aber alle Branchen. Wir brauchen jetzt mit Hochdruck eine umfangreiche und langfristige Innovations- und Wachstumsagenda. Es geht um nicht weniger als das deutsche Wohlstandsmodell. Das sollte über Parteigrenzen hinweg oberste Priorität haben.“

www.vci.de

Links zu den Studien:

Update Chemistry4Climate

BCG-Studie

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