Anlagenbau & Prozesstechnik

Chemieanlagenbau zeigt sich widerstandsfähig

Dekarbonisierung und Energiewende stützen die Nachfrage nach chemischen Anlagen

15.05.2024 - Trotz der herausfordernden weltwirtschaftlichen Lage hat sich der Chemieanlagenbau im vergangenen Jahr als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen.

Zwar gab es 2023 im Inland kaum Neuaufträge, vielmehr wurden in Deutschland Anlagen geschlossen und Geschäftsfelder aufgegeben. Im Ausland jedoch hat sich die Lage in einigen Regionen spürbar verbessert, nicht zuletzt aufgrund von Förderprogrammen wie etwa dem Inflation Reduction Act (IRA) in den USA.

Insgesamt blieb das Auftragsvolumen im VDMA-Chemieanlagenbau im Jahr 2023 nahezu stabil: Nach 2,54 Mrd. EUR im vorangegangenen Jahr 2022 lagen die Bestellungen 2023 bei 2,48 Mrd. EUR. Die Verschiebung der regionalen Schwerpunkte im Geschäft mit Chemieanlagen hat sich 2023 fortgesetzt. Während der russische Markt mittlerweile nahezu obsolet geworden ist, ist die Nachfrage aus den USA und Europa (EU, EFTA) zum Teil kräftig gestiegen. Gleichzeitig entwickeln sich neue, globale Handelsbeziehungen zwischen energiereichen und energiearmen Regionen. Bei grünem und blauem Wasserstoff treten etwa Nordamerika und Australien über alternative Technologiepfade verstärkt als Exporteure in Erscheinung.

 

„Die Verschiebung der regionalen Schwerpunkte im Geschäft mit Chemieanlagen hat sich 2023 fortgesetzt.“



Gleichzeitig behaupten die etablierten Öl- und Gasproduzenten im Mittleren Osten ihre dominierende Marktstellung. In ersten Ansätzen sind dort aber auch Investitionen zu beobachten, die den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft ermöglichen sollen. Ein Beispiel ist der Bau einer Großanlage mit integrierter CO2-Abscheidung und -speicherung in Katar, mit der blauer Ammoniak hergestellt werden kann. Ein Mitgliedsunternehmen der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) übernimmt bei diesem Leuchtturmprojekt als Generalunternehmer die Gesamtverantwortung.

Innerhalb Europas nimmt die Bedeutung der Länder der iberischen Halbinsel und Skandinaviens als Lieferanten kostengünstiger und nachhaltiger Energieträger zu, so dass dort der Bedarf an Anlagen zur Herstellung von (grünen und blauem) Wasserstoff, Ammoniak und Methanol wächst. Das übrige Europa bleibt hingegen weitestgehend von Energieimporten abhängig; dadurch entstehen Absatzchancen beim Bau von Ammoniak-Crackern, Wasserstoff- und Ammoniak-Importterminals sowie der entsprechenden Lager-, Verteil- und Nutzungsinfrastruktur.

USA sind für den Chemieanlagenbau wichtigster Markt weltweit

Die USA sind derzeit der mit Abstand wichtigste Markt für den Chemieanlagenbau. Dies schlägt sich eindrucksvoll auch in den Auftragseingängen der AGAB-Mitglieder nieder. 2023 wurden in den Vereinigten Staaten Bestellungen für Chemieanlagen (inkl. Gaserzeugungs- und Luftzerlegungsanlagen) im Wert von 824 Mio. EUR getätigt, das ist fast dreimal so viel wie 2022 (284 Mio. EUR).

 

„Die USA sind derzeit der mit Abstand wichtigste Markt für den Chemieanlagenbau.“

 

Insbesondere die vom IRA ausgehenden Investitionsanreize wirkten sich positiv auf die Nachfrage nach Chemieanlagen aus. Verbunden mit dem Boom am US-Markt sind allerdings auch Ressourcenengpässe, vor allem im Bereich der Bau- und Montageleistungen. Einzelne Projekte mussten aufgrund hoher Montagekosten gestoppt werden.

Grüne Projekte verzögern sich, CCS gewinnt an Akzeptanz

Weltweit lassen sich derzeit Verzögerungen bei der Realisierung von kohlenstofffreien Transformationsprojekten feststellen. Ein wichtiger Grund hierfür ist der teilweise stockende Ausbau der regenerativen Energien und der Netzinfrastruktur, der je nach Region auch von regulatorischen Hemmnissen gebremst wird. Es fehlt somit häufig schlichtweg an den notwendigen Mengen an regenerativem Strom zu marktfähigen Preisen, um grüne Vorhaben umzusetzen. Als Alternative zur Bekämpfung des Klimawandels gewinnen blaue Technologien, bei denen Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert wird (CCS/CCU), eine immer breitere Akzeptanz, vor allem in den USA und in Europa. Konkrete Projekte, wie etwa der Bau des ersten klimaneutralen Zementwerks in Norwegen oder die Nachrüstung von mehreren Gaskraftwerken mit CCS-Technologie in Großbritannien, nehmen aktuell an Fahrt auf.

 

„Die Dekarbonisierung bleibt das dominierende Thema im Groß- und im Chemieanlagenbau“



Der politisch gewollte Übergang von einer Wirtschaftsform, die bis vor kurzem auf der Nutzung fossiler Energien fußte (grau) zu einem überwiegend auf der Nutzung regenerativer Energien beruhenden Modell (grün) kann – mit der gebotenen Geschwindigkeit – nur über einen Mix aus grünen und fossilen Energieträgern mit integrierter CO2-Speicherung (blau) gelingen. Obwohl der Hochlauf nachhaltiger Technologien derzeit langsamer verläuft als noch vor einigen Jahren angenommen, bleibt die Dekarbonisierung doch das dominierende Thema im Groß- und im Chemieanlagenbau, wie die Vielzahl von Anfragen, Studien und Vorplanungsleistungen (pre-FEED, FEED) belegen, die derzeit von den Mitgliedsunternehmen der AGAB bearbeitet werden.

Effizienzgewinne durch innovative Technologien und Modularisierung

Angesicht der hohen Unsicherheiten und der Umbrüche im Weltmarkt gibt es im Chemieanlagenbau den Trend, Projektrisiken so weit wie möglich zu minimieren. Hierbei bieten sich Chancen für den Einsatz innovativer Technologien, etwa um Anlagen durch digitale Services aufzuwerten. Immer häufiger kommen auch Lösungen zum Einsatz, die auf künstlicher Intelligenz (KI) basieren, bspw. bei der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance) und beim Anlagenbetrieb. Dadurch können Kosten mit geringem Aufwand effizient gesenkt werden. Bei Neubauprojekten werden ausgereifte Automatisierungssysteme sowie die Vernetzung von Anlagenkomponenten immer mehr zum Standard, insbesondere im Hinblick auf einen nutzerfreundlichen, störungsfreien und sicheren Anlagenbetrieb.

Gleichzeitig steigt das Interesse an standardisierten und modularen Lösungen. Schließlich können Projektrisiken durch Vorfertigung, Vormontage und Modularisierung (kurz: PPMOF = Prefabrication, Preassembly, Modularization and Off-site Fabrication) reduziert werden. Die Fertigung unter kontrollierten Bedingungen gewährleistet die Qualität von Gewerken und senkt die Aufwände auf Baustellen. Bei sorgfältiger Planung wird dadurch der Zeitplan des Gesamtprojekts spürbar entlastet. Ferner tragen diese Maßnahmen auch zur Reduktion des CO2-Footprints bei und verringern die Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf lokale Gemeinschaften. Die Angebote reichen von Modulen für Standardanwendungen in der Energieversorgung (z.B. Trafo- und Verteilerstationen) bis hin zu proprietären Technologiemodulen, die vollständig vorgefertigt werden.

Optimistischer Ausblick trotz vieler Herausforderungen

Die Unternehmen des Chemieanlagenbaus stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen sich an grundlegende Marktveränderungen anpassen und in der Lage sein, mit geopolitischen Spannungen, fragilen Lieferketten und dem Fachkräftemangel umzugehen. Gleichzeitig steigen die Ansprüche der Kunden an Qualität, Ausführungszeiten, Investitions- und Betriebskosten (CAPEX/OPEX) sowie an die von der Politik vorgegebenen Ziele zur Minderung klimaschädlicher Emissionen kontinuierlich. Hinzu kommt ein zunehmender Wettbewerbsdruck, ausgelöst vor allem durch Anlagenbauer aus Asien.

Dennoch ist Optimismus im VDMA-Chemieanlagenbau weitverbreitet. Die meisten Unternehmen sind davon überzeugt, dass die Chancen, die die Dekarbonisierung dem Anlagenbau auf Feldern wie etwa grünem und blauem Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und CCU/CCS bietet, die Risiken (deutlich) übersteigen. Hinzu kommen die enormen Potenziale innovativer Technologien – insbesondere der KI – die signifikante Produktivitätssprünge versprechen und helfen könnten, den Fachkräftemangel zu lindern, indem sie Ingenieure bei der Durchführung komplexer Planungsaufgaben unterstützen und große Datenmengen (z.B. Betriebsdaten, Sensordaten) automatisiert analysieren und verarbeiten.

Harald Weber, Geschäftsführer, VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB), Frankfurt am Main

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