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VCI: Erholung des Chemiegeschäfts rückt in weite Ferne

14.09.2023 - Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat im zweiten Quartal 2023 ihre Talfahrt fortgesetzt. Alle Indikatoren – Produktion, Kapazitätsauslastung, Preise und Umsatz – sanken. Auch der Blick in die Zukunft hat sich in Deutschlands drittgrößter Industriebranche weiter eingetrübt.

Die Unternehmen rechnen für das zweite Halbjahr mit einer weiteren Verschlechterung der Geschäftslage. Angesichts einer zunehmenden Nachfrageschwäche muss die Hoffnung auf eine Erholung verschoben werden. Ob und in welchem Umfang die Branche in Zukunft von einem globalen Aufschwung profitieren kann, ist angesichts immenser Standortnachteile mehr als fraglich.

„Die Lage ist ernst und die Stimmung dementsprechend schlecht“, stellt VCI-Präsident Markus Steilemann fest. „Hohe Energiepreise und Überregulierung gehen vielen deutschen Unternehmen zunehmend an die Substanz. Natürlich nehmen wir als Branche wahr, dass die Politik nicht die Augen vor den aktuellen Problemen verschließt. Aber Worte sind noch keine Taten. Die Bundesregierung muss den Alarmruf der energieintensiven Industrie ernst nehmen. Uns eint der Wille, die Deindustrialisierung zu stoppen. Ein entscheidender Schritt ist ein international wettbewerbsfähiger Strompreis. Deshalb brauchen wir einen Brückenstrompreis und die Beibehaltung des Spitzenausgleichs. Die Zeit drängt. Die Zeit zu handeln ist jetzt.“

Prognose
Für das Gesamtjahr 2023 rechnet der VCI mit einem Produktionsrückgang von 8%. Bei rückläufigen Preisen wird der Branchenumsatz in diesem Jahr voraussichtlich um 14% sinken.

Produktion
Die Chemieproduktion ging im Vergleich zum Vorquartal um 1,2% zurück. Im Vorjahresvergleich entsprach dies einem Minus von 8%. Die Kapazitätsauslastung der Branche sank erneut und lag zuletzt bei 77,3%.

Erzeugerpreise
Die Erzeugerpreise gaben in den vergangenen Monaten deutlich nach und lagen 3,1% niedriger als ein Quartal zuvor. Damit waren chemische und pharmazeutische Erzeugnisse 0,5% günstiger als ein Jahr zuvor.

Umsatz
Auch im zweiten Quartal blieb die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen insgesamt schwach. Der Gesamtumsatz der Chemie- und Pharmaindustrie sank saisonbereinigt um 4,7% auf insgesamt 54,2 Mrd. EUR.

Beschäftigung
Die Unternehmen hielten die Zahl der Arbeitsplätze in der chemisch-pharmazeutischen Industrie weiterhin auf hohem Niveau stabil. Aktuell sind rund 477.000 Menschen in der Branche beschäftigt.

Weltwirtschaft im Abschwung
Die Weltwirtschaft zeigte im zweiten Quartal nur eine schwache Wachstumsdynamik. Die Inflationsraten blieben in vielen Ländern trotz der restriktiven Geldpolitik der Zentralbanken hoch und dämpften den Konsum. Steigende Zinsen belasteten Wirtschaftswachstum und Investitionen. Die weltweite Industrieproduktion war sogar rückläufig.

Die europäische Wirtschaft entwickelte sich weiterhin schwach. Das BIP stagnierte auch im zweiten Quartal. Damit wuchs die EU-Wirtschaft seit drei Quartalen nicht mehr. Die Inflation blieb hoch und die restriktive Geldpolitik und die hohen Zinsen belasteten die Konjunktur. Das Wirtschaftswachstum in Deutschland blieb auch im zweiten Quartal des Jahres ohne Schwung. Das BIP stagnierte. Stabilisierend waren steigende Bruttoanlageinvestitionen, vor allem in Ausrüstungen.

Die Exporte von Waren und Dienstleistungen gingen dagegen zurück, Importe stagnierten. Die schwache Weltkonjunktur trifft Deutschland als exportorientiertes Land besonders hart. Die Industrieproduktion sank gegenüber Vorquartal leicht. Die Unternehmen hielten sich weiterhin mit Bestellungen zurück.

China konnte nicht an sein dynamisches Wirtschaftswachstum aus dem Vorquartal anknüpfen. Die Industrieproduktion wurde im Vergleich zum Vorquartal sogar gedrosselt. Die Nachholeffekte nach Beendigung der Null-Covid-Politik ebbten immer mehr ab. Der Inlandskonsum zeigte wenig Dynamik und die Export-Nachfrage blieb schwach. Die Krise auf dem Immobilienmarkt belastete zusätzlich die Wirtschaft. Positive Effekte auf die Weltkonjunktur blieben aus.

Die US-Wirtschaft stemmte sich erfolgreich gegen die Rezession. Das BIP stieg um 0,5%. Der private Konsum war zwar im Vergleich zum Vorquartal leicht rückläufig. Die Ausrüstungsinvestitionen zeigten aber einen starken Anstieg. Der Arbeitsmarkt in den USA war weiterhin robust. Die geldpolitische Straffung der Fed führte allerdings zu einer deutlichen Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen. Die US-Wirtschaft ist noch nicht auf Erholungskurs. Die Industrieproduktion nimmt weiterhin keine Fahrt auf.

Produktion erneut gedrosselt
Auftragsmangel und hohe Produktionskosten zwangen die chemisch-pharmazeutische Industrie im zweiten Quartal ihre Produktion weiter zu drosseln bzw. an ausländische Standorte zu verlagern. Die Inlandsproduktion der Branche sank gegenüber dem Vorquartal um 1,2%. Das Vorjahresniveau wurde daher kräftig verfehlt (-8%). Die Nachfrage nach chemischen Produkten aus dem In- und Ausland blieb schwach. Die Auftragseingänge in der chemisch-pharmazeutischen Industrie gingen weiter zurück, die Auftragspolster schmolzen dahin. Die Kapazitätsauslastung der Branche verschlechterte sich dementsprechend um rund einen Prozentpunkt. Mit 77,3% blieben die Anlagen weiterhin unterausgelastet.

Ausblick: Erholung rückt in weite Ferne
Das deutsche Chemiegeschäft hat die Talsohle noch nicht durchschritten. Im zweiten Quartal waren alle für das Chemiegeschäft wichtigen Indikatoren erneut im roten Bereich. Produktion, Kapazitätsauslastung und Branchenumsatz waren rückläufig. Auch die Verkaufspreise und die Erträge kamen unter Druck.

Die Lage ist ernst und die Stimmung schlecht. Nicht nur die aktuelle Lage wird laut ifo-Konjunkturtest überwiegend negativ beurteilt. Auch der Blick in die Zukunft hat sich wieder eingetrübt. Die Unternehmen rechnen für das zweite Halbjahr mit einer weiteren Verschlechterung der Geschäftslage. Die Hoffnung auf eine Erholung musste angesichts einer sich verstärkenden Nachfrageschwäche verschoben werden. Und ob und in welchem Umfang die Branche in Zukunft von einer globalen Erholung profitieren kann, ist angesichts der immensen Standortnachteile mehr als fraglich. Einige Unternehmen haben bereits dauerhafte Produktionsstilllegungen und die Verlagerung von Investitionen ins Ausland angekündigt. Weitere könnten folgen.

Konjunkturell dürfte sich die Lage im weiteren Jahresverlauf verschärfen. Die Weltwirtschaft ist im Abschwung. Die Industrie ist in vielen Ländern im Rückwärtsgang. Das belastet das Auslandsgeschäft der deutschen Chemie. Auch im Inland bekommen die Unternehmen die wirtschaftliche Schwäche zunehmend zu spüren.

Der Auftragseingang der Branche war bereits in den zurückliegenden Monaten rückläufig. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Wichtige Kundenbranchen wie der Bau oder die Automobilindustrie drosseln angesichts des konjunkturellen Gegenwinds die Produktion und bauen Lagerbestände ab. Der Branchenumsatz dürfte seine Talfahrt fortsetzen. Eine Produktionsausweitung ist nahezu ausgeschlossen und die Kapazitäten bleiben unausgelastet. Auch die Chemikalienpreise dürften trotz hoher Produktionskosten sinken und die Margen weiter unter Druck geraten.

Die Unternehmen stehen vor enormen Herausforderungen. Der Auftragsmangel als Folge des globalen Abschwungs ist dabei laut einer aktuellen Mitgliederbefragung nicht das größte Problem. Vielmehr nimmt eine aufwändige Bürokratie, quälend lange Genehmigungsverfahren und eine nicht nachlassende Flut von neuen kleinteiligen Regelungen den Unternehmen die Luft zum Atmen. Hinzu kommen die im internationalen Vergleich besonders hohen Energie- und Rohstoffpreise und nicht zuletzt der zunehmende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Diese Probleme sind struktureller Natur und hausgemacht – also durch politische Entscheidungen verursacht – und sie verstärken sich gegenseitig. Als Folge dieser Entwicklungen sinkt das Vertrauen in den Standort Deutschland rapide.

Weltwirtschaftliche Flaute, Rezession in Deutschland, schwache Industriekonjunktur sowie international nicht wettbewerbsfähige Energie- und Rohstoffpreise: In dieser Gemengelage bleibt das Chemiegeschäft auch in der zweiten Jahreshälfte schwierig. Nach dem schwachen zweiten Quartal rechnen wir für das Gesamtjahr 2023 mit einem Produktionsrückgang von rund 8%. Rechnet man das Pharmageschäft heraus dürfte die Produktion in diesem Jahr um rund 11% niedriger liegen als 2022. Der Branchenumsatz insgesamt wird voraussichtlich um rund 14% sinken.

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