KI – ein Werkzeug für Erfindungen?
Richtig eingesetzt, schafft künstliche Intelligenz Mehrwert für die Pharmaforschung
Das Europäische Patentamt entschied im vergangenen Jahr: Künstliche Intelligenz (KI) ist kein Erfinder – aber KI-generierte Erfindungen sind patentierbar (mehr dazu in unserem Beitrag in CHEManager 8/2022). Mittlerweile ist jedem bewusst, dass KI-basierte Systeme potenzielle Erfindungen generieren können. So wird sie seit Jahren in der chemischen Forschung angewendet. Auch in der Pharmaforschung hält sie mehr und mehr Einzug.
Jeder, der mögliche Anwendungen von KI in Erwägung zieht oder bereits anwendet, wird diesem unspezifischen Begriff eine Vielzahl verschiedener mathematischer Methoden zuordnen. Maschinelles Lernen (ML), Rechenmodelle und Algorithmen zur Klassifizierung, Bündelung, Regression und Dimensionalitätsreduktion, wie z.B. neuronale Netze, genetische Algorithmen, Support Vector Machines, k-Means, Kernel-Regression und Diskriminanzanalyse sind die weniger Marketing wirksamen, jedoch fachlich korrekten Begriffe.
In der Biochemie wird KI nun zur Vorhersage von Proteinen genutzt. Michael Eisenstein schreibt: „ML and other artificial intelligence (AI)-based computational tools have already proven their prowess at predicting real-world protein structures.“ Dies veranschaulicht, welchen enormen Einfluss KI bereits auf die Forschung und Industrie hat. So werden heute bereits durch KI generierte Wirkstoffe in klinischen Studien getestet. Die Insilico Medicine, Hong Kong, berichtet von einem Small Molecule mit der Funktion eines anti-fibrotischen Inhibitors.
Irreführende Diskussion zu ethischen Regeln
Die aufgekommene Forderung nach ethischen Regeln zu KI generierten Molekülen verkennt, dass die KI ein Molekül als geeigneten Kandidaten als pharmazeutischen Wirkstoff vorschlägt. Der Wirkstoff muss, wie bisherige Wirkstoffe, alle Phasen einer klinischen Studie erfolgreich passieren. Der Beitrag der KI besteht in dem Vorschlag des Wirkstoffs – KI haftet dem Wirkstoff nicht an. Daher sind solche Diskussionen irreführend und lenken von der Tatsache ab, dass die Entwicklung durch Vor-Screenings mittels KI neuer Therapeutika bereits Standard ist.
Während über ethische Fragen gestritten wird, testen bereits viele Firmen durch KI identifizierte Verbindungen für den medizinischen Einsatz.
Cyrus Biotechnology, USA, setzt diese Technologie ein, um neue Wirkstoffe gegen Krebs zu screenen.
Ähnlich arbeitet Singleron in Deutschland und Singapur daran, mit Hilfe von KI neue Moleküle mit idealer Bioaktivität, Selektivität und physikochemischen Wirkstoffeigenschaften zu finden. Aber auch im Bereich der Diagnostik, insbesondere bei der Bildverarbeitung, werden z.B. von Dermanostic, Siemens Healthineers oder Bayer zahlreiche KI-Algorithmen eingesetzt, um unterschiedliche Daten zur Erkennung von Mustern zu analysieren und die Ergebnisse für eine Bewertung oder eine Entscheidung zu nutzen. Dies kann bspw. in einer neuen Molekülstruktur, Diagnose oder Handlungsanleitung münden.
Ob das Ergebnis eine ausreichende Qualität und Zuverlässigkeit aufweist, hängt von den Daten ab, die der KI als Entscheidungsbasis bereitgestellt werden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedes durch KI neu identifizierte Molekül unmittelbar der neue Blockbuster wird. Eine gründliche Vorselektion der Daten vor Implementierung der KI sowie eine gut geplante und durchgeführte Labor-Evaluierung sind zwingend erforderlich, bevor die Einleitung einer klinischen Studie in Erwägung gezogen oder die Produktentwicklung initiiert werden.
„Der Beitrag der KI besteht in dem Vorschlag des Wirkstoffes – KI haftet dem Wirkstoff nicht an.“
Mehrwert durch KI nur durch das Know-how von Fachleuten
Die aktuellen Mitteilungen vermögen den Eindruck zu erwecken, dass KI alles kann. Von Chemie über klassische Pharmazie, pharmazeutische Biologie zu Biotechnologie, Diagnostik und Medizintechnik. Jedoch wird übersehen, dass erfahrene Fachleute mit ihrem langjährigen Know-how nach wie vor nicht zu ersetzen sind, um den gewünschten Mehrwert der KI zu erzielen. Dies gilt insbesondere für die Auswahl der Datenbasis.
Anderenfalls greift das Motto „Shit in – Shit out“ und eine KI-generierte Erfindung scheitert, wie auch Michael Eisenstein bestätigt: „In-house wet lab facilities are another critical component of the design process because experimental results are, in turn, used to retrain the algorithm to achieve even better outcomes in future rounds.“ Dies gilt gleichermaßen für jede andere KI-Methode und auch für DrugGPT auf Basis von Deep Learning.
Im Zeitraum 2015 bis 2022 wurden 47.161 Patente bzw. Patentanmeldungen veröffentlicht (Suchkriterien: „Machine Learning“, „Protein“ in WO, US, EP). Ob all diese valide und patentierbare Erfindungen definieren, hängt von der Qualität der Input-Daten und nachträglichen Verifizierung ab und letztlich von der Einbindung menschlicher Kompetenz im Entwicklungsprozess. Eine nicht recherchierbare Anzahl an Patenten, welche auf Small Molecules und andere Therapeutika gerichtet sind, wird auf nicht genannten Vor-Screenings mittels KI beruhen.
Es wird von den Menschen abhängen, die KI entwickeln, ob KI-Systeme zum Wohle der Gesellschaft beitragen oder an unserem Untergang beteiligt sein werden. Lars Fischer, Redakteur und Autor bei Spektrum.de, hat es bereits 2016 zutreffend formuliert: „Da sehe ich letztendlich das Grundproblem der populären KI-Apokalypse: Sie beschreibt primär die möglichen Fähigkeiten der künstlichen Intelligenzen als treibende Kraft, und ignoriert dabei weitgehend die Fähigkeit des Menschen, mit Technik allerlei Mist anzustellen. Wenn also die künstliche Intelligenz tatsächlich irgendwann am Weltuntergang mitwirkt, dann wohl nur als Instrument einer höchst menschengemachten Apokalypse.“
„Wer kontrolliert die Menschen, die KI entwickeln, und wer setzt ihnen Grenzen?"
Black-Box-KI ist nicht patentierbar
Daher sind wir sowohl vom prophezeiten Ende der Menschheit durch KI als auch der Lösung aller Probleme durch KI weit entfernt. Es stellt sich eher die ethische Frage, wer kontrolliert die Menschen, die KI entwickeln und wer setzt ihnen Grenzen? Im Patentrecht sind es die nationalen und internationalen Behörden, die anhand festgelegter Kriterien Patentanmeldungen prüfen, ob durch KI generierte Erfindungen neu und erfinderisch sind, klar und eindeutig formuliert sind, sodass die Fachwelt des betreffenden technischen Gebiets die Erfindung nacharbeiten kann. Ferner muss belegt werden, ob die realisierte Lösung der KI auch tatsächlich den technischen Effekt aufweist, der auf Basis der Daten errechnet wurde. Somit gilt weiterhin für Patente, die auf KI-Anwendungen in der Chemie über klassische Pharmazie, pharmazeutische Biologie zu Biotechnologie, Diagnostik und Medizintechnik gerichtet sind, dass reale Messwerte und reale Labordaten obligatorisch sind (EPA-Entscheidung, G2/21, 23. März 2023), um eine Erfindung als plausibel zur Erteilung zu bringen und gegenüber Angriffen Dritter zu verteidigen.
Andernfalls steht der Patentinhaber sehr schnell in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren und muss den Angriff der fehlenden Ausführbarkeit der Erfindung entkräften.
Welche strategischen Aspekte für Erfindungen zu beachten sind, die KI als Bestandteil der technischen Lösung umfassen, werden wir im zweiten Teil dieses Beitrags in der kommenden CHEManager-Ausgabe aufgreifen. Erfahren Sie, ob Ihre Erfindung mehr ist, als nur eine undefinierte Black-Box-KI.
Autorinnen:
Anna Katharina Heide, Patentanwältin, Ruhr-IP Patentanwälte, Essen
Zur Person
Anna Katharina Heide leitet die Bereiche Life Sciences und Biotech der Kanzlei Ruhr-IP Patentanwälte. Sie ist zugelassene deutsche Patentanwältin sowie European Patent, Design and Trademark Attorney, Vertreterin vor dem Einheitlichen Patentgericht und vertritt etablierte Unternehmen der Life-Sciences-Branche. Einer ihrer Schwerpunkte sind interdisziplinäre Technologien. Die promovierte Biologin ist sowohl stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Biotechnologie der Deutschen Patentanwaltskammer sowie des Business-Netzwerks für Managerinnen in den Life Sciences der Vereinigung Deutsche Biotechnologie-Unternehmen (VBU).
Tanja Bendele, Patentanwältin, Ruhr-IP Patentanwälte, Essen
Zur Person
Tanja Bendele ist Gründungspartnerin der Kanzlei Ruhr-IP Patentanwälte und leitet die Bereiche Chemie und Pharmazie sowie die zugehörigen Bereiche Life Sciences, Medizintechnik, 3D-Technik und Verfahrenstechnik. Sie vertritt internationale Konzerne sowie deutsche, mittelständische Unternehmen. Die promovierte Chemikerin ist deutsche Patentanwältin, European Patent Attorney und Vertreterin vor dem Einheitlichen Patentgericht. Sie ist Vorstandsmitglied der Patentanwaltskammer, Vorsitzende des Ausschusses für Patent- und Gebrauchsmusterrechtgesetz der Patentanwaltskammer sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Bezirksgruppe West.