Strategie & Management

Schädliche Patentstrategien

EU-Kommission entscheidet erstmals zu Missbrauch des Patentsystems

19.02.2025 - EU-Kommission erhebt hohes Bußgeld von 462,6 Mio. EUR gegen Teva wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung.

Der Bogen beim Taktieren mit Patentschutzstrategien wurde nach Ansicht der EU-Kommission nun überspannt. Ein hohes Bußgeld von 462,6 Mio. EUR wurde gegen das Pharmaunternehmen Teva wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung ausgesprochen. Ein Teilaspekt richtet sich auf das nicht ganz unbekannte Verhalten pharmazeutischer Firmen, in den letzten Jahren vor Patentablauf des Grundpatents eines umsatzstarken pharmazeutischen Wirkstoffs mit unterschiedlichen rechtlichen Instrumenten die eigene Marktstellung abzusichern oder auszubauen.

Vorliegend ging es um Copaxone (Glatirameracetat), ein Blockbuster zur Behandlung von Multipler Sklerose. Teva wurde mit dem Bußgeld belegt, da es seine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, um Copaxone länger vor Wettbewerb zu schützen. Glatirameracetat ist ein synthetisches Polypeptid mit immunmodulatorischer Wirkung, das zur Therapie schubförmiger Multiplen Sklerose eingesetzt wird. Das Arzneimittel ist ein synthetisch hergestelltes Eiweißgemisch und ähnelt einem Baustein der Isolierschicht im zentralen Nervensystem, dem Myelin.
Die Untersuchung der Kommission ergab, dass Teva den Patentschutz für Copaxone künstlich verlängert und systematisch irreführende Informationen über ein Konkurrenzprodukt verbreitet hat, um dessen Markteintritt und Marktakzeptanz zu behindern.

Patente sollen jedoch Innovationen schützen und den Innovatoren für einen definierten Zeitraum Markt­exklusivität für innovative Produkte einräumen. Im Gegenzug werden die Patente offengelegt und Markbegleitern steht es offen, ausgehend von dieser Offenbarung eigene innovative Produkte zu entwickeln, die mit Ablauf des Patents vermarktbar sind. Mit diesem Mechanismus sollen Innovationen getriggert und der Wettbewerb aufrechterhalten werden. Patente können u. a. für den Wirkstoff, pharmazeutische Formulierungen, wie injizierbare Formulierungen für eine subkutane Verabreichung des Arzneimittels, aber auch unter bestimmten Voraussetzungen für Dosierungen erteilt werden. 

So wurde u. a. ein europäisches Patent einer Patentfamilie von Teva für ein Arzneimittel mit einem spezifischen Behandlungsplan mit verbesserter Verträglichkeit an der Injektionsstelle erteilt. Das Stammpatent (Hauptpatent) dieser Patentfamilie wurde für ein Arzneimittel auf einen Teilaspekt davon erteilt. 2014 wurden die ersten Einsprüche von Dritten gegen die Erteilung des Stammpatents beim Europäischen Patentamt (EPA) eingelegt. Basierend auf dem Stammpatent reichte Teva fünf Teilanmeldungen beim EPA ein, von denen es eine Teilanmeldung wieder zurückzog. Alle weiteren Patente wurden erteilt und in späteren Einspruchsverfahren bis 2024 widerrufen. 

 

 

„Teva hat durch das unelegante und
nicht nachhaltige Verhalten das Patentsystem
in Misskredit gebracht.“

 


Bereits im Jahr 2021 kündigte die Kommission an: „2015 ist das Grundpatent von Teva für Glatirameracetat ausgelaufen. Die Kommission wird nun prüfen, ob Teva die Marktexklusivität von Copaxone nach Ablauf des Patents künstlich verlängert hat, indem aus strategischen Gründen Teilpatente angemeldet und wieder zurückgezogen wurden.“ Weiter gab die Kommission an: „So könnte sich der Markteintritt des konkurrierenden Generikums wiederholt verzögert haben, da dessen Hersteller jeweils ein neues rechtliches Verfahren einleiten musste. Teilpatente ergeben sich aus einem umfassenderen Hauptpatent und können Erfindungen mit wesentlichen Überschneidungen zum Hauptpatent abdecken, wodurch der Patentinhaber zuweilen die patentrechtlichen Hindernisse für den Markteintritt von Generika vervielfachen kann.“

Das Verfahren ist das „erste förmliche Prüfverfahren der Kommission im Bereich des Missbrauchs von Patentverfahren und der Herabsetzung von Konkurrenzprodukten zur Behinderung ihres Markteintritts in der Pharmaindustrie.“ 2022 erklärte die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager: „Da es noch kein Heilmittel für die chronische Krankheit Multiple Sklerose gibt, können innovative Medikamente die Lebensqualität der Patienten erheblich verbessern. Für solche wissenschaftlichen Fortschritte muss das betreffende geistige Eigentum wirksam geschützt werden. Wir haben jedoch festgestellt, dass Teva das Patentsystem möglicherweise missbraucht hat, um sich vor dem Wettbewerb zu schützen, und dass Teva möglicherweise irreführende Informationen verbreitet hat, um seinen engsten Wettbewerber zum Nachteil der Patienten und der öffentlichen Gesundheitssysteme in der gesamten EU zu diskreditieren.“

Die Thematik des Patentmissbrauchs hat daraufhin europäische Gerichte im Rahmen von einstweiligen Verfügungen in Verletzungsverfahren beschäftigt. Im Jahr 2023 hat sich das OLG Düsseldorf mit der Frage beschäftigt, ob den Patentinhaber ein Verschulden nach Vollziehen der einstweiligen Verfügung treffen kann, wenn dieses Patent zeitlich nachfolgend widerrufen wird. Grundsätzlich ist der Nachweis eines Verschuldens bei unberechtigtem Vorgehen aus Schutzrechten schwierig und ein Patentinhaber kann üblicherweise auf den Bestand des Patents vertrauen, insbesondere wenn es bereits erstinstanzlich aufrechterhalten wurde.

2024 hat der Europäische Gerichtshof (C 473/22 – Mylan vs Gilead) entschieden, dass die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die einen Ersatz des durch eine einstweilige Maßnahme verursachten Schadens vorsehen, und dies auf einer verschuldensunabhängigen Haftung des Antragstellers der einstweiligen Maßnahme beruht. Zudem ist das nationale Gericht befugt, die Höhe des Schadensersatzes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, einschließlich einer etwaigen Beteiligung des Antragsgegners an der Verwirklichung des Schadens, anzupassen.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die missbräuchliche Verwendung des Patentsystems einzelner Firmen Rechtsprechung triggert, die redliche Nutzer des Patentsystems mit unkalkulierbaren Haftungsfragen bei einer Durchsetzung patentgeschützter Innovationen konfrontiert. Teva hat durch dieses unelegante und nicht nachhaltige Verhalten das Patentsystem in Misskredit gebracht. Dadurch wird der notwendige Patentschutz innovativer Entwicklungen schwerwiegend zum Nachteil aller Nutzer des Patentsystems ausgehöhlt.

Tanja Bendele, Patentanwältin, Ruhr-IP Patentanwälte, Essen

ZUR PERSON
Tanja Bendele ist Gründungspartnerin der Kanzlei Ruhr-IP Patentanwälte und vertritt Mandanten in den Bereichen Chemie, Pharmazie, Life Sciences, Medizintechnik, 3D-Technik, Batterietechnologie und Verfahrenstechnik. Sie vertritt internationale Konzerne sowie deutsche, mittelständische Unternehmen. Die promovierte Chemikerin ist deutsche Patentanwältin und European Patent Attorney. Sie studiert Elektrotechnik und Informationstechnik. Darüber hinaus ist sie Mitglied des Vorstands der Patentanwaltskammer, Vorsitzende des Ausschusses für Patent- und Gebrauchsmustergesetz der Deutschen Patentanwaltskammer sowie Mitglied des Vorstands GRUR Bezirksgruppe West.

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