Strategie & Management

Erfolgsfaktor Mensch

Mit aktivem Change- und Learning-Management die S/4HANA-Migration erfolgreich gestalten

14.06.2023 - Der Umstieg auf S/4HANA bedeutet für viele Unternehmen eine starke Veränderung der bestehenden Prozesslandschaft. Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten und die Investition nachhaltig abzusichern, ist ein systematisches und anwenderorientiertes Change- und Learning-Management unerlässlich.

Mit der Umstellung auf S/4HANA stehen viele Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche vor einem tiefgreifenden Umbau ihrer über Jahre gewachsenen Prozesslandschaften. Damit dies gelingt, müssen die Mitarbeitenden von Beginn an aktiv eingebunden werden. Ein systematisches Change- und Learning-Management bildet dabei die Grundlage für eine nachhaltige Optimierung der Unternehmensprozesse.

Die Umstellung auf ein neues ERP-System ist weit mehr als eine reine Softwareablösung. Zum einen, weil es sich gerade in der Prozessindustrie meist um hochindividualisierte Systemlandschaften handelt, die tief in die Prozesse des Unternehmens hineinreichen. Zum anderen, weil in der Regel nahezu alle Beschäftigten des Unternehmens von der Systemumstellung betroffen sind. 

Umso wichtiger ist es, bei der Neugestaltung von ERP-Prozessen neben den technischen Aspekten auch den Faktor Mensch nicht außer Acht zu lassen. Nur wenn die Mitarbeitenden frühzeitig eingebunden und ausreichend qualifiziert werden, kann ein reibungsloser Übergang gewährleistet und die erwarteten Prozessverbesserungen nachhaltig realisiert werden. Umgekehrt kann mangelnde Akzeptanz bei den Anwendern die Erfolgsaussichten eines Projektes dramatisch verschlechtern.
Ein systematischer Trainingsansatz sollte dabei verschiedene Ebenen des geplanten Migrationsprojekts – mit den geeigneten In­strumenten – adressieren, und zwar die Prozessebene, die Systemebene und die Datenebene.

Prozessebene
Typischerweise nutzen Unternehmen die Umstellung ihres ERP-Systems als Chance, bestehende Datensilos aufzubrechen, gewachsene Prozesse zu überprüfen und neu auszurichten. Daher sollten auch die Trainings zunächst auf Ebene dieser Soll-Prozesse ansetzen. Ziel ist es, das Verständnis für die Notwendigkeit und die Funktionsweise der Prozessänderung zu schärfen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die neuen Prozesse auch nach dem Go-Live des neuen Systems nachhaltig gelebt werden.
Hierfür eignen sich z. B. Classroom bzw. Virtual Classroom Trainings, in denen rollenspezifische Prozess­inhalte durch Trainer vermittelt werden. Alternativ oder ergänzend können auch interaktive Web-based Trainings eingesetzt werden, die aus geführten Selbstlerneinheiten bestehen. Diese bieten neben einer hohen Skalierbarkeit und Flexibilität auch den Vorteil, dass sie über den Go-Live hinaus, z. B. für die Einarbeitung neuer Beschäftigter, genutzt werden können.

Systemebene 
Sind die Prozesse bekannt, erfolgt der Transfer auf die Systemebene. Dabei geht es um die Frage, wie bestimmte Prozesse bzw. Prozessschritte aus Anwendersicht im neuen System abgebildet werden. Auch hier gilt es, auf die jeweiligen Rollen abgestimmte Lerninhalte bereitzustellen, die sich an den tatsächlichen Bedürfnissen der jeweiligen Nutzergruppen orientieren. 
Hierbei können unterschiedliche web-basierte Lernmethoden zum Einsatz kommen. Neben Klickanleitungen oder Videos, die bestimmte Prozessschritte zeigen, bieten sich insbesondere interaktive Formate an, die die User in Form eines digitalen Assistenten virtuell durch den Prozess im Echtsystem führen. Diese Form der Trainings bietet den Vorteil, dass die Anwendern über die initiale Befähigung im Rahmen des Go-Lives hinaus jederzeit auf eine bedarfsgerechte Prozessunterstützung direkt im Echtsystem zugreifen können.


Datenebene
Die Datenebene schließlich befasst sich mit den einzelnen Feldfunktionen und den dahinterstehenden Werten, die die User kennen und verstehen müssen, um korrekte Eingaben im System vornehmen zu können.
Auch hier können interaktive Formate zur Unterstützung des Schulungsprozesses eingesetzt werden. Über Feldhilfen werden den Usern auf Wunsch Erklärungen und weiterführende Informationen zu einzelnen Elementen im System angezeigt. Der zentrale Vorteil solcher Live-Hilfen gegenüber statischen systemseitigen Hinweisen besteht darin, dass sie sehr leicht editierbar sind und damit die Wartung stark vereinfachen.

Verbesserte Prozess-Governance
Entscheidend für den nachhaltigen Erfolg des Migrationsprojektes ist, wie gut die Prozesse von den Anwendern im neuen System akzeptiert und gelebt werden, z. B. im Hinblick auf Fragen wie: Werden die Prozessstandards eingehalten? Gibt es Prozessabweichungen oder Paral­lelprozesse?
Vor diesem Hintergrund kann ein kontinuierliches Trainingsmanagement dazu beitragen, eine funktionierende Prozess-Governance über den Go-Live hinaus zu etablieren. Dabei sollte zum einen durch eine enge Verzahnung mit dem HR-Bereich sichergestellt werden, dass neue Mitarbeitende im Rahmen ihres Onboardings verpflichtend entsprechend ihrer IT-Rolle geschult werden. Zum anderen sollten die Schulungen so eng mit dem Change- und Request-Management verzahnt werden, dass Änderungen im System oder in den zugrundeliegenden Prozessen automatisch in den Trainingsunterlagen abgebildet werden.
Gerade in hochregulierten GxP-Umfeldern wie der chemischen oder pharmazeutischen Industrie mit spezifischen Nachweis- und Dokumentationspflichten für Schulungen und Unterweisungen ist eine solche systematische Nachverfolgung der durchgeführten Maßnahmen besonders relevant. Umgekehrt können Unternehmen durch einen verzahnten Ansatz ihren Dokumentationspflichten direkt im bestehenden System nachkommen.

Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Trainingsmanagement
Unternehmen, die ein nachhaltiges Change- und Trainingsprogramm aufsetzen möchten, sollten dabei folgende Aspekte berücksichtigen:
Rollenbasierte Lernpfade: Je besser die Trainingsmaßnahmen auf die Anforderungen und Bedürfnisse der jeweiligen Rollen abgestimmt sind, desto effizienter können sie gestaltet werden und desto höher ist die Akzeptanz bei den Usern.
Frühzeitige Einbindung der User: Zwischen dem Abschluss der Systemkonfiguration, dem Testing und dem Go-Live bleibt oft nicht genügend Zeit für die Qualifizierung der Mitarbeitenden. Eine frühzeitige und verzahnte Integration ist die Basis für einen reibungslosen Systemwechsel.
Aktives Change-Management: Die Umstellung auf ein neues ERP-System ist in der Regel mit großen Prozessveränderungen verbunden. Neben der reinen Wissens- und Kompetenzvermittlung muss durch begleitende Kommunikation und Change-Management Akzeptanz geschaffen werden.
Updatefähigkeit der Trainingsunterlagen: Aktuelle Schulungsunterlagen bilden die Grundlage für eine kontinuierliche Anwenderschulung und -befähigung. Die Materialien sollten daher von vornherein so konzipiert werden, dass sie ohne großen Aufwand überarbeitet werden können.

Fazit
Das Zeitfenster für die Ablösung bestehender SAP ERP-Lösungen wird immer kleiner. Viele Unternehmen der Prozessindustrie arbeiten daher derzeit an Migrationsstrategien für den Umstieg auf S/4HANA oder andere Lösungen. Um eine nachhaltig erfolgreiche Implementierung und wertschöpfende Nutzung des neuen Systems sicherzustellen, müssen die Mitarbeitenden von Beginn an als erfolgskritischer Faktor berücksichtigt werden. Ein systematisches und proaktives Change- und Trainingsmanagement ist dabei ein zentraler Baustein für den nachhaltigen Projekterfolg.


Stefan Baltzer, Senior Manager, Competence Center Training & Enablement, MSG Industry 
Advisors AG, Köln-Hürth
 

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Zur Person

Stefan Baltzer ist Senior Manager bei MSG Industry Advisors. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der Entwicklung von Trainings-, Change und Kommunikationskonzepten und deren Umsetzung insbesondere in IT-Großprojekten. Zudem etabliert er Trainingsorganisationen und implementiert digitale Trainingsinfrastrukturen. Der Diplomökonom begann seine Karriere zunächst in einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut, wo er sich u. a. mit IT-Projektmanagement beschäftigte. Seit 2014 ist er als Berater in Kundenprojekten eingesetzt und begleitet dort IT-Einführungsprojekte verschiedenster Branchen.

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