Logistik & Supply Chain

Binnenschifffahrt – Impulse für die Zukunft

Die Stärkung des Systems Wasserstraße ist für das Erreichen der Klimaziele unerlässlich

18.04.2023 - Interview mit Steffen Bauer, CEO, HGK Shipping über die Modernisierung von Schiffen und zur Zukunft des Systems Wasserstraße.

HGK Shipping, führendes Binnenschifffahrtsunternehmen in Europa, weist einen Flottenbestand von über 350 eigenen und gecharterten Binnenschiffen auf. Das Unternehmen befördert pro Jahr rund 44 Mio. t Fracht – von flüssigen chemischen Produkten und verflüssigten Gasen über Trockengüter bis zu Breakbulk. Vom Fahrtgebiet her liegt der Fokus auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen sowie dem angeschlossenen Kanalsystem, um die wichtigsten Industrieregionen in den Benelux-Staaten, Frankreich und Deutschland zu verbinden. HGK Shipping betreibt ein eigenes Design Center zur Entwicklung neuartiger Schiffstypen und Antriebsarten. Steffen Bauer, CEO von HGK Shipping, stellte sich den Fragen von Birgit Megges zur Modernisierung der Schiffe und zum Thema Zukunft und Förderung des Systems Wasserstraße.

CHEManager: Herr Bauer, warum hat die Entwicklung neuer Schiffstypen eine so hohe Priorität, dass HGK Shipping ein eigenes Design Center betreibt?

Steffen Bauer: Wenn wir Mengen und neue Waren auf das Binnenschiff verlagern wollen, müssen wir die Herausforderungen der Zeit gemeinsam mit unseren Kunden angehen, so wie erst kürzlich im Schiffsdesign mit BASF und Covestro.

Unser Design Center verleiht uns eine im Markt einzigartige Innovationskraft, um Industrie und Verlader auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und zu höherer Versorgungssicherheit trotz Klimawandel zu begleiten und zu unterstützen.

Die Forschung und Entwicklung neuer Schiffsdesigns ist allerdings personal- und kostenintensiv. Kleine Reedereien und Schifferfamilien, die einen Großteil der Binnenschifffahrtsbranche in Europa ausmachen, können hier aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht aktiv werden. Die HGK Shipping wiederum, als größtes Binnenschifffahrtsunternehmen Europas, ist in der Lage, derartige Investitionen zu tätigen. Und wir sind auch willens, für die Branche insgesamt Lösungen zu entwickeln. Dank unserer Neubauten können wir unseren Kunden der chemischen Industrie langfristig die passenden Lösungen anbieten. Dies wird auch für die Zukunft der Binnenschifffahrt insgesamt entscheidend sein.

Um das System Wasserstraße langfristig wettbewerbsfähig zu halten, ist es darüber hinaus notwendig, die Digitalisierung voranzutreiben. Im Bereich teilautonome Binnenschifffahrt arbeiten wir aktuell mit Seafar und der Reederei Deymann zusammen an einem Testbetrieb auf deutschen Wasserstraßen.

Sie arbeiten bei den Entwicklungen eng mit ihren Kunden aus der Chemieindustrie zusammen. Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit beim Schiffsdesign?

S. Bauer: Die Anforderungen unserer Kunden sind hier klar definiert. Als Logistikdienstleister sind wir ein wichtiger Baustein in der Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette bis zum Jahr 2050. Nachhaltigkeit ist auch in unserer eigenen Strategie eine tragende Säule. Wir streben eine Dekarbonisierung unseres Unternehmens und unserer Tätigkeiten bereits bis zum Jahr 2035 an.

Die Binnenschifffahrt ist, gerechnet auf den Tonnenkilometer, per se bereits ein sehr umweltfreundlicher Verkehrsträger. Ein durchschnittliches Binnenschiff ersetzt rund 150 bis 180 Lkw, ein Containerbinnenschiff der größten Klasse holt sogar bis zu 500 Lkw von der Straße. Neben Skaleneffekten, der Sicherheit und der Zuverlässigkeit des Systems Wasserstraße ist Nachhaltigkeit eines der Hauptargumente, die für diesen Verkehrsträger sprechen. Auch auf EU-Ebene hat man erkannt, dass die Binnenschifffahrt das Potenzial hat, bei der Dekarbonisierung des Güterverkehrs eine zentrale Rolle zu spielen. Im Rahmen des EU Green Deal fordert sie einen Zuwachs des Wasserstraßenanteils am Modal Split um 25%, bis 2050 um 50%.

 

„Die Niedrigwasserproblematik beeinflusst unsere Entwicklungen grundlegend."

 

Welche Lösungen sind Ihrer Ansicht nach beim Thema Nachhaltigkeit für die Zukunft am zielführendsten?

S. Bauer: Aktuell setzen wir als Brückentechnologie auf effiziente dieselelektrische Antriebe, mit denen sich der Ausstoß von CO2 im Vergleich zu den aktuell genutzten herkömmlichen Antrieben um bis zu 30 % reduzieren lässt. Auch der Ausstoß anderer Schadstoffe wird signifikant reduziert, NOx zum Beispiel um 70 %. In der Zukunft könnten Wasserstoff oder Wasserstoffderivate eine entscheidende Rolle spielen. Wir engagieren uns hier in mehrfacher Hinsicht: Wir sind in Projekten zur Erprobung von Wasserstoffantrieben aktiv. Unsere Besatzung testet beispielsweise derzeit die „Elektra“, das erste wasserstoffbetriebene Schubboot der Welt, in Fahrt. Darüber hinaus sind wir an Forschungsprojekten im Rheinland zu diesem Thema beteiligt. Nicht zuletzt arbeitet unser Team im Design Center an Lösungen für den Transport von Wasserstoff, um diesen Energieträger für die Industrie entlang der Wasserstraßen verfügbar zu machen.

Ob reiner Wasserstoff oder Wasserstoffderivate tatsächlich die Energieträger der Zukunft sind oder andere emissionsfreie Antriebstechnologien diese Stelle einnehmen, können wir noch nicht abschließend sagen. Daher konzipieren wir unsere Schiffe technologieoffen – also „Future-Fuel-Ready“. Sie sind unter anderem mit einem Leerraum in den Mittelschiffen ausgestattet, in der Fachsprache ein Void Space, in welchen zukünftig Wasserstoffspeicherlösungen oder auch andere Antriebssysteme installiert werden können.

Ein weiteres hochaktuelles Thema in der Binnenschifffahrt sind die immer häufiger auftretenden Niedrigwasserperioden. Wie stark beeinflusst diese Problematik Ihre Entwicklungen?

S. Bauer: Die Niedrigwasserproblematik beeinflusst unsere Entwicklungen grundlegend. Verlässliche Lieferketten sind die Grundlage für den langfristigen Erfolg des Chemiestandorts Deutschland. Im Sommer 2022 haben wir wieder erlebt, dass die Schiene keine ausreichenden Kapazitäten liefern kann, um die Mengen der Binnenschifffahrt zusätzlich aufzunehmen. Und auch die Kapazitäten auf der Straße sind, von der negativen Klimabilanz mal abgesehen, begrenzt. Dabei sind Schiffe für viele Werke eines der wesentlichen Transportmittel sowohl in der Rohstoffversorgung als auch in der Auslieferung und Verteilung ihrer Produkte. Oft entfallen bis zu 50 % der Transporte auf das Binnenschiff. Anhaltende Niedrigwasserperioden gefährden also die Planungssicherheit.

Damit wird deutlich, dass es ein Hauptziel unserer Entwicklungen sein muss, eine möglichst hohe Tragfähigkeit unserer Schiffe auch bei geringem Tiefgang zu erreichen. Unsere jüngsten Neubauten können beispielsweise bis zu einem Pegelstand von 40 cm am Kölner Pegel sowie 25 cm bei Kaub eingesetzt werden und damit selbst bei extremem Niedrigwasser fahren.

 

Moderne Schiffe benötigen auch eine funktionierende Wasserstraßeninfrastruktur. Wie bewerten Sie diese und welche Maßnahmen sollten Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um die Infrastruktur zu stärken?

S. Bauer: Eine leistungsfähige Logistik ist das Rückgrat jeder Industrie. Die Infrastruktur auf Deutschlands Wasserstraßen ist aber tatsächlich an vielen Stellen marode und entspricht nicht mehr den Anforderungen aktueller Güterströme. Veraltete Technik, Schleusen und Anlagen müssen flächendeckend modernisiert werden, um künftige Sperrungen zu vermeiden. Flüsse und Kanäle müssen erhalten und ausgebaut werden, um die steigenden Verkehrsströme auch langfristig aufnehmen zu können. Ein Beispiel ist hier die Vertiefung der Fahrrinnen am Mittelrhein, die auch bei Niedrigwasser einige Abhilfe schaffen könnte.

Nicht zuletzt müssen Binnenhäfen und Hinterland-Hubs modernisiert und trimodal angeschlossen werden, um eine sinnvolle Verkehrsverlagerung zu ermöglichen. Auch ein Ausbau schwerlastfähiger Terminals wäre zu begrüßen, denn die Binnenschifffahrt bietet für Großraum- und Schwergutverkehre einen idealen Transportweg. All dies wird bereits lange diskutiert und die Dringlichkeit ist bekannt. Neben den hier notwendigen Investitionssummen fehlen zudem noch immer insbesondere Ingenieure in der Verwaltung, die die entsprechenden Aufgaben zeitnah umsetzen könnten.

An welchen Stellen wünschen Sie sich die Unterstützung von Seiten der Politik?

S. Bauer: Ich würde mir zunächst wünschen, dass die Bundesregierung dem Zusammenspiel aller Verkehrsträger und deren Beitrag zur Dekarbonisierung des Gütertransports in Deutschland – allen voran die Schlüsselrolle der Binnenschifffahrt – die angemessene Bedeutung zukommen ließe. Bestes Beispiel, dass dies aktuell nicht geschieht, ist die kürzlich veröffentlichte Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums. Sie sagt bis 2051 einen deutlichen Anstieg des Güterverkehrs auf der Straße und neue Rekorde für die Schiene voraus, während die Wasserstraße stagniert. Bundesverkehrsminister Volker Wissing drängt auf den Ausbau der Straßeninfrastruktur und nachrangig der Schiene. Die Untersuchung berücksichtigt dabei viele Aspekte wie die vorhandenen Potenziale der Verkehrsverlagerung oder die logistischen Folgen der Energietransformation und Kreislaufwirtschaft nicht oder nur unzureichend.

Das konsequente Ausschließen des Systems Wasserstraße ist für den Wirtschaftsstandort Deutschland fatal. Eine leistungsfähige Industrie benötigt alle Verkehrsträger zur Ver- und Entsorgung. Nicht ohne Grund haben sich große Teile der deutschen Industrie in den Wirtschaftszentren entlang des Rheins, der Donau und des westdeutschen Kanalnetzes angesiedelt. Die Bundesregierung muss aufpassen, dass sie nicht den Niedergang des Systems Wasserstraße einleitet und dann in einigen Jahren feststellt, dass ein wichtiges Kernelement zum Erreichen der Klimaziele fehlt.

Eine zukunftsweisende Ertüchtigung der Wasserstraßeninfrastruktur und eine zielgerichtete Förderung von Innovationen sind wichtige Elemente, um den Verkehrs­träger Binnenschifffahrt zu stärken und zu entwickeln. Insofern wäre es wünschenswert, dass die Politik hier möglichst schnell die passenden Rahmenbedingungen schafft. Was wir dabei aber nicht vergessen sollten: Auch die Branche selbst ist in der Verantwortung, sich neu aufzustellen.  

In Ihren Augen ist die Binnenschifffahrt für das Erreichen der Klimaziele also essenziell?

S. Bauer: Absolut. Deutschland und Europa brauchen ein leistungsfähiges System Wasserstraße, um die Klimaschutzziele für 2030 und 2050 zu erreichen. Der Güterverkehr wird steigen, das ist gewiss – und die Wasserstraße hat als einziger Verkehrsträger sowohl freie Kapazitäten als auch den im Vergleich niedrigsten CO2-Ausstoß pro transportierte Tonne. Selbst wenn im Straßenverkehr vollständig emissionsfreie Lkw und die passende Infrastruktur zur Verfügung stünden, gäbe es nicht ausreichend Fahrpersonal, das die Lkw-Fracht bewegt. Und selbst wenn das Schienennetz auf den wichtigen Strecken zwischen den Seehäfen und dem Hinterland signifikant erweitert werden könnte, wären die Genehmigungsverfahren und Bauarbeiten zu langwierig, um bis zur ersten Klimastufe Ergebnisse liefern zu können. Darüber hinaus müssen die Mengen, die sonst über die Schiene laufen, während der Baumaßnahmen auf andere Verkehrsträger verlagert werden. Auch hier kommt aus Kapazitäts- und Umweltgesichtspunkten nur das System Wasserstraße in Frage.

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Zur Person

Steffen Bauer steht seit dem 1. August 2020 an der Spitze von HGK Shipping. Zuvor war der Diplomkaufmann mehrere Jahre als Geschäftsführer der Imperial Shipping Holding und Chief Operat­ing Officer der Imperial Shipping Group mit operativer und kaufmännischer Gesamtverantwortung für alle Tochtergesellschaften und Beteiligungen der Gruppe sowie in verschiedenen Positionen bei Lehnkering tätig.

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