Edelmetalle und ihr Potenzial für Zukunftsthemen
Wie Edelmetallkatalysatoren in vielen Feldern der Chemie neue Synthesewege ermöglichen
Die Herausforderungen der heutigen Chemie sind so vielfältig wie die globalen Herausforderungen. Doch was hat die Lösung von Problemen wie Welternährung, Klimakrise oder Krankheitsbekämpfung damit zu tun? Sie alle brauchen neue Synthesen, um wirksamere oder alternative Lösungswege zu finden. Innovative Edelmetallkatalysatoren sind oft der Schlüssel dazu. Sie helfen ebenso dabei, fossile durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, wie neue Wirkstoffmoleküle in Pharma-, Agro- oder Feinchemie zu bilden.
Viel Erfahrung steckt in der Laborentwicklung und ihrer Überführung hin zur Industrieproduktion. Immer wichtiger werden dabei die stabile Beschaffung seltener Rohstoffe sowie nachhaltige Lieferketten mit Edelmetall-Recycling. Um einen Einblick zu geben, werden im Folgenden exemplarisch Anwendungsgebiete der Edelmetall-Katalyse vorgestellt.
Katalysatoren für chemische Synthesen in der Pharma-, Agro- und Feinchemie
Die Bedeutung wirksamer Medikamente gegen neue Krankheitserreger wurde in den letzten Jahren weltweit überdeutlich: Der Bedarf an neuen Wirkstoffen (Active Pharmaceutical Ingredients) ist riesig. Dabei ist das „Zusammenbauen“ wirksamer Pharmazeutika eine diffizile Aufgabe. Im Prozess muss nicht nur das richtige Molekül, sondern selektiv auch die richtige Variante gebildet werden. Homogene Edelmetallkatalysatoren sind die Präzisionswerkzeuge, mit denen Pharmaforscher ihre Architektur bis ins Detail ausarbeiten.
In der Agrochemie schafft der Fokus auf Umweltschutz den Bedarf für Innovation. Bei stetigem Bevölkerungswachstum und vor dem Hintergrund des Klimawandels müssen immer mehr Lebensmittel unter immer schwierigeren Bedingungen produziert werden. Pflanzenschutzmittel müssen andererseits umweltschonender werden.
Homogene Katalysatoren werden wegen ihrer ausgesprochen hohen Reaktivität in der chemischen Industrie schon lange genutzt. Zur Lösung der aktuellen Herausforderungen kommen sie nun besonders in asymmetrischen Hydrierungen oder zur direkten Bildung von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen, den sog. C-C-Kupplungen zum Einsatz.
„Das Recycling von Edelmetall-Katalysatoren sollte integraler Planungsbestandteil jedes chemischen Prozesses sein.“
Katalysator-Komplexe für die asymmetrische Hydrierung
Asymmetrische Hydrierungen gewinnen an Bedeutung, weil sie eine Lösung für das Problem der Chiralität bieten. Viele biologisch aktive Moleküle sind chiral – sie existieren als Bild und Spiegelbild (sog. Enantiomere), wobei häufig von zwei Enantiomeren nur eines biologisch aktiv ist. Mit herkömmlichen Methoden stellt man oft beide Enantiomere her. Sie müssen aufwändig getrennt und das „falsche“ Enantiomer entsorgt werden.
Dank asymmetrischer Hydrierung mit homogenen Edelmetallkatalysatoren wird nur das wirksame Enantiomer hergestellt. Durch gezielte Ligandenauswahl wird in metallorganischen Iridium-, Rhodium- oder Ruthenium-Komplexen die räumliche Umgebung des Katalysators so gestaltet, dass der Wasserstoff nur von einer Seite mit dem Zielmolekül reagiert. Dabei kommen häufig Cyclooctadien-Komplexe in Kombination mit chiralen Phosphinen zum Einsatz.
Palladium Komplexe und Phosphin-Liganden für C-C-Kupplungsreaktionen
Ein weiteres Werkzeug bei der Synthese ist die Möglichkeit, direkt Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen über eine C-C-Kupplungsreaktion auszubilden. Dies galt lange Zeit als heiliger Gral der organischen Chemie und wurde durch die homogene Katalyse mit Palladium-Komplexen möglich. Für die Entdeckung dieser Reaktionsklasse wurde den Chemikern Suzuki, Heck und Negishi 2010 der Nobelpreis verliehen.
Die Auswirkung von C-C-Kupplungen auf die Synthese komplexer Wirkstoffmoleküle kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Statt langer, linearer Syntheseketten sind konvergente Synthesen einsetzbar, bei denen zunächst einzelne Teilmoleküle aufgebaut und dann mittels einer C-C-Kupplung zusammengefügt werden. Dies bringt Vorteile bei der Auswahl der Ausgangsstoffe und optimiert die Gesamtausbeute.
Als C-C-Kupplungskatalysatoren werden überwiegend Palladium-Komplexe mit verschiedenen Phosphin-Liganden eingesetzt. Heraeus bietet eine Auswahl an ein- und zweizähnigen Phosphinen, die je nach Substrat besondere Stärken aufweisen. Auch können chirale Phosphine eingesetzt werden, um gezielt Enantiomere herzustellen.
Heterogene Edelmetallkatalysatoren für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe
Fossile Rohstoffe waren und sind noch der vorherrschende Grundstoff für die chemische Industrie. Gegenwärtig fließen rund 9 % des weltweit geförderten Erdöls in die chemische Industrie und bilden die Grundlage zur Herstellung einer Vielzahl von Produkten, wie Kunststoffe, Medikamente oder Farben. Angesichts des Klimawandels wird jedoch die Herstellung von nachhaltigen Chemikalien immer bedeutender.
Heraeus hat ein Entwicklungsprogramm für edelmetallbasierte, heterogene Katalysatoren initiiert, die auf die Umwandlung von verschiedenen erneuerbaren Rohstoffen wie Biomasse, CO2 oder Kunststoffabfällen in hochwertige, nachhaltige Chemikalien abzielen. Diese Chemikalien haben einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck und eine bessere Ökobilanz als ihre auf fossilen Energieträgern basierenden Gegenstücke. Heraeus entwickelt und optimiert oft Katalysatoren für solche Umwandlungsprozesse zusammen mit Partnern oder Prozessinhabern.
Edelmetallkatalysatoren für die effiziente Umwandlung von Lignin
Lignin wurde bisher bevorzugt in der Papierherstellung als Energiequelle genutzt. Die einzigartige Struktur und die chemischen Eigenschaften des Polymers ermöglichen jedoch auch die Herstellung einer breiten Palette von Chemikalien unseres alltäglichen Lebens und kann daher als eine der wichtigsten aromatischen Ressourcen für eine biobasierte Chemieindustrie angesehen werden. Eine Herausforderung bestand bisher darin, die Makromoleküle des Lignins im industriellen Maßstab in entsprechende kleine Bausteine, die sog. Monomer- und Oligomer-Einheiten, aufzuspalten.
Heraeus Precious Metals hat in einer Kooperation mit der Johannes Kepler Universität Linz einen industriellen Edelmetall-Katalysator entwickelt, der genau diese Aufspaltung gezielt ermöglicht. Durch die Verwendung eines heterogenen Katalysators auf einem Hydrotalcit als Trägermaterial mit einer Edelmetallbeladung von 5 % Platin und 1 % Nickel ist eine vollständige Umwandlung von Lignin möglich, um Zugang zu diesen organischen Bausteinen zu bekommen.
Nachhaltigkeit durch Recycling verbrauchter Edelmetallkatalysatoren
Das Recycling von Edelmetallkatalysatoren sollte integraler Planungsbestandteil jedes chemischen Prozesses sein. Allein aus wirtschaftlichen Überlegungen unverzichtbar, haben recycelte Edelmetalle zudem einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck.
Wiedergewinnungsraten von 90–99 % durch einen technologisch versierten Partner machen den Einsatz von Edelmetallkatalysatoren besonders wirtschaftlich. So müssen lediglich die Recyclingverluste ersetzt werden. Etwa ein Drittel aller im Umlauf befindlichen Edelmetalle ist recycelt, der Rest wird aus neu geschürften Erzen gewonnen. Der CO2-Fußabdruck von recycelten Edelmetallen fällt um bis zu 98 % geringer aus.
Wichtige Kriterien für die Auswahl eines Partners sind neben der Wiedergewinnungsrate auditierbare Prozesse und ausreichende Kapazitäten, damit das Edelmetall schnell wieder zur Verfügung steht. Daneben muss der Partner auch Ersatzmengen zuverlässig und marktgerecht liefern können und Kriterien an Compliance und notwendigen Zertifizierungen erfüllen.
Lösungen aus einer Hand
Die Beschaffungsstrategie vieler Unternehmen zielt nicht erst seit den jüngsten geopolitischen Krisen auf die Diversifizierung der Lieferketten. Dennoch sollte bei der Auswahl einzelner Partner in allen Tier-Stufen darauf geachtet werden, dass diese den Edelmetall-Kreislauf aus Beschaffung, Verwendung und Rückgewinnung abdecken können. Mit einem ausgeprägten internationalen Footprint, strategischen Partnerschaften und redundanten Produktionsstätten tragen führende Edelmetall-Experten so zur Sicherung der Lieferketten ihrer Kunden maßgeblich bei.
Detlef Gaiser, Technical Sales Manager, Heraeus Deutschland GmbH & Co. KG, Hanau
Dominik Sperzel, Global Head of Sales – Heterogenous Catalysis, VP, Heraeus Deutschland GmbH & Co. KG, Hanau
Detlef Gaiser hatte seit 1998 verschiedene technische Funktionen in den Bereichen Innovation, Operations und Technical Sales in der chemischen Industrie inne. Seit gut sechs Jahren ist der promovierte Chemiker für den Technical Sales der Edelmetall-Salze und der homogenen Edelmetall-Katalysatoren bei Heraeus zuständig. Sein Interesse gilt dem Einsatz homogener Edelmetall-Katalysatoren für Pharma und Feinchemie sowie dem möglichen Einsatz von Edelmetallen in der Halbleiterindustrie.
Dominik Sperzel ist seit mehr als zehn Jahren für Heraeus tätig. Er hatte verschiedene kaufmännische Funktionen in den Bereichen Precious Metal Trading, Chemical Products, Supported Catalysts, Emission Catalysts sowie Precious Metals Recycling inne. Eines seiner Themenschwerpunkte sind die neu entstehenden Herausforderungen für Katalysatoren im Bereich der Wasserstoffwirtschaft und der grünen Chemie.