Schulterschluss zwischen Industrie und Binnenschifffahrt
und Nachgefragt Interview mit Steffen Bauer, CEO der HGK Shipping
Die Binnenschifffahrt als umweltfreundlicher und sicherer Transportmodus zeichnet sich dort nicht selten für rund die Hälfte aller Verkehre in Rohstoffversorgung und Auslieferung verantwortlich. Sie ist damit ein essenzieller Faktor in den Bemühungen der Industrie um die Dekarbonisierung ihrer Prozesse und die Sicherung des Wirtschaftsstandorts. Unterstützung erfährt die Chemie hier von Branchengrößen wie der HGK Shipping. Gemeinsam mit ihren Kunden entwickeln die Experten des Binnenschifffahrtsunternehmens zukunftsfähige Konzepte und Schiffsdesigns, die den Herausforderungen des Klimawandels begegnen, zugleich langfristige Versorgungssicherheit versprechen und die Binnenschifffahrt damit ein Stück weit neu erfinden.
Wollen Unternehmen die eigenen Klimaziele und zugleich die Vorgaben der Bundesregierung erreichen, müssen sie Treibhausgas- und Schadstoffemissionen in allen Bereichen reduzieren. Geprägt von kleinen Reedereien und Schifferfamilien mit einem oder wenigen eigenen Schiffen ist die Binnenschifffahrt eine eher traditionelle Branche. Darüber hinaus haben die Schiffe eine lange Lebenszeit und einen hohen Investitionswert. Die Schwelle für kurzfristige Modernisierungen ist entsprechend hoch. Anders sieht es bei HGK Shipping aus, die bereit ist, in Vorleistung zu gehen. Als größtes Binnenschifffahrtsunternehmen in Europa verfügt sie über eine Flotte von rund 350 eigenen und gecharterten Schiffen für den Transport von Trockengütern, Gasen und chemischen Produkten.
Branchenstandards in der Schiffsentwicklung
Seit Jahren betreibt die HGK Shipping ein eigenes Designcenter mit einem Team von Experten und Ingenieuren, die die Konzeption, Grundidee und das Engineering für zukunftsweisende Schiffskonstruktionen entwickeln. Dabei arbeiten sie nicht nur eng mit den Transportmanagement-Abteilungen inhouse zusammen, sondern auch mit den Kunden. An erster Stelle stehe dabei, die Anforderungen der Kunden zu erfüllen, sagt die Geschäftsführerin der HGK Gas Shipping, Anke Bestmann. Sie hat auch die Entwicklung der „Gas 94“ mit begleitet. Das Niedrigwasser-Gastankschiff wurde im Auftrag der BASF eigens konzipiert und gebaut. Seit es im Herbst 2021 in Dienst gestellt wurde, trägt es selbst bei kritischen Pegeln auf dem Rhein zur sicheren Rohstoffversorgung des BASF-Standorts Ludwigshafen bei.
Versorgungssicherheit trotz Niedrigwasser
Hauptziel der Entwicklung war die hohe Tragfähigkeit bei geringem Tiefgang, denn neben den aktuellen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts gefährden vor allem anhaltende Niedrigwasserperioden zunehmend die Planungssicherheit auch der Chemieindustrie. Verkehrsträger wie die Schiene oder Pipelines bieten nicht genügend Kapazitäten, um auszuweichen, und auch die Kapazitäten auf der Straße sind, mal ganz abgesehen von den hohen Schadstoffemissionen, sehr begrenzt. Denn ein durchschnittliches Binnenschiff transportiert in etwa die Ladung von 150 bis 180 Lkw.
„Die HGK Shipping ist ein langjähriger Partner der BASF und konnte uns mit ihrer innovativen Konzeption für ein Niedrigwasser-Gastankschiff aus dem hauseigenen Design Center überzeugen“, sagte Barbara Hoyer, Vice President Domestic Deliveries, BASF, anlässlich der Schiffstaufe.
Die „Gas 94“ ist so konstruiert, dass sie selbst bei einem Pegel bei Kaub von 30 cm immer noch 200 t verflüssigter Gase befördern kann. Möglich wird dies durch die optimierten Auftriebseigenschaften des Schiffskaskos, die durch eine ausgefeilte Anordnung von Komponenten wie Ladungsbehälter und Antriebstechnologie erzielt wurden. Der 110 m lange Gastanker ist mit 12,5 m zudem breiter als die üblichen Schiffe der HGK Shipping-Flotte.
Alternative Antriebe tragen zu Dekarbonisierung bei
Das tiefgangoptimierte Design wird mit einem diesel-elektrischen Antrieb kombiniert, der den Ausstoß von Schadstoffen wie CO2 und NOx deutlich reduziert. So unterstützt die Gas 94 sowohl die BASF als auch HGK Shipping dabei, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Die „Gas 94“ ist aber nicht das einzige Schiff der Reederei, das Niedrigwasseroptimierung mit einem alternativen Antrieb kombiniert. Seit Juni 2022 befördert der Typ-C-Tanker „Synthese 18“ flüssige Chemieprodukte auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen. Das innovative Niedrigwasser-Tankmotorschiff der HGK Shipping kann bei einem Tiefgang von nur 1,05 m immer noch 300 t Zuladung transportieren.
Neben der „Synthese 18“ hat die Reederei weitere Schiffe im Fokus und in Planung, die Niedrigwasseroptimierung mit einem alternativen Antrieb kombinieren. Auch sie wurden in Zusammenarbeit mit Kunden aus der chemischen Industrie entwickelt und sind bereits in Bau, darunter auch zwei Typ-C-Tanker, die „H2-ready“ sind. Das bedeutet, sie sind u.a. mit einem sog. „Void Space“ – d.h. einem Leerraum in den Mittelschiffen der beiden Neubauten, ausgestattet, in welchen zukünftig Wasserstoffspeicherlösungen installiert werden können. Auch diese beiden neuen Schiffe sollen im Bereich Liquid Chemicals zum Einsatz kommen und sind speziell auf die hohen Kundenanforderungen an Nachhaltigkeit und Innovation in diesem Segment zugeschnitten.
Zusammenarbeit ist der Schlüssel
Flexibilität in der Versorgung stand wiederum bei einem Projekt mit Ineos im Fokus. Vier Mega-Barges zum Transport von Butan sind aus der Zusammenarbeit entstanden. Sie zählen zu den größten und modernsten ihrer Art in Europa und verkehren zwischen den europäischen Ineos-Standorten in Antwerpen und Köln.
In der engen Kooperation zwischen Logistik und Industrie sind Konzepte entstanden, die sowohl für die Chemie als auch die Binnenschifffahrt Meilensteine bedeuten und den Weg in eine nachhaltige Zukunft weisen.
Nachgeragt Interview:
Drei Fragen an Steffen Bauer, CEO der HGK Shipping
Mehr Verkehr auf Wasserstraßen
An einer Nutzung aller nachhaltigen Transportmittel führt letztendlich kein Weg vorbei. CHEManager fragte bei Steffen Bauer, CEO der HGK Shipping nach, welche Möglichkeiten die Binnenschifffahrt hier bietet und wie sie den Chemikalientransport nachhaltiger machen kann.
CHEManager: Wie muss sich die Binnenschifffahrt weiterentwickeln, um den Chemiestandort Deutschland langfristig zu sichern?
Steffen Bauer: Es ist unstrittig: Um Klimaziele zu erreichen und zugleich die steigenden Gütermengen zu bewältigen, müssen mittel- und langfristig mehr Verkehre auf das System Wasserstraße verlagert werden. Wichtige Schlüsselbegriffe sind hier Innovation und Nachhaltigkeit, dazu zählt eine Modernisierung und Erneuerung der Flotte unter Klimaaspekten ebenso wie die Digitalisierung der Prozesse und die Vernetzung aller Akteure auf und entlang der Wasserstraßen, aber auch die Modernisierung und der Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur.
Wo sehen Sie die Rolle der HGK Shipping in diesem Prozess?
S. Bauer: Wir haben uns „Driving Innovation & Sustainability“ als Leitmotiv gesetzt. Mit unserem Designcenter und unserer Stellung am Markt sind wir in der Lage und willens, eine Vorreiterrolle für die Branche einzunehmen. Um den Verkehrsträger Binnenschifffahrt insgesamt zu fördern, sind wir bereit, Investitionen in Innovationen zu tätigen. Damit wir mit der chemischen Industrie auf Augenhöhe agieren und ihr auch langfristig die passenden Lösungen anbieten können, führen wir unser strategisches Neubauprogramm für unsere unternehmenseigene Binnenschiffsflotte zielstrebig fort. Wir investieren in innovative und nachhaltige Schiffsdesigns, die wir passend für die Anforderungen unserer Kunden in unserem eigenen Design-Center entwickeln und mit Partnern umsetzen. Auf unserer Agenda steht dabei auch das Thema „Wasserstoff“ – sowohl als Antriebskonzept als auch als Transportgut – sowie die Entwicklung weiterer Produktströme, darunter beispielsweise der Transport von CO2 oder von Ammoniak als ideales Trägermedium für Wasserstoff.
Welche Maßnahmen müssen auf politischer Ebene erfolgen, um auch künftige Mengen der chemischen Industrie auf die Wasserstraße zu bringen?
S. Bauer: Die Grundlage für eine weitere Verlagerung von Verkehren von der Straße auf das Binnenschiff ist, dass das System Wasserstraße leistungsfähig und zuverlässig ist. Dazu gehört, die Infrastruktur gezielt zu ertüchtigen, Bauvorhaben kurzfristig umzusetzen und das notwendige Personal bereitzustellen. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn die Modernisierung und nachhaltige Erneuerung der Flotte noch gezielter und umfassender auch finanziell gefördert würden. Für die weitere Digitalisierung müssen die notwendigen Voraussetzungen wie eine flächendeckende 5G-Übertragung geschaffen werden.