Anlagenbau & Prozesstechnik

Immersive Training

AR und VR als Ausbildungskatalysatoren in der Prozessindustrie

17.08.2022 - Die Arbeitswelt steht vor einem Generationenwechsel.

Fortschrittliche Lernmethoden machen dabei die Ausbildung für die Generation von Mitarbeitenden mit digitalem Hintergrund besonders attraktiv. In risikoreichen Sektoren, wie der Kohle-, Öl- und Gasindustrie (Coal, Oil and Gas, COG) werden Schulungen bereits häufig mit Simulatoren unterstützt oder finden vollständig in digitaler Umgebung statt.

Immersive Training bietet Fachleuten ein interaktives Lernzentrum. Indem mögliche Szenarien simuliert werden, können virtuell praktische Erfahrungen in risikoreichen Situationen gesammelt werden.

Was ist Immersive Training?

Immersive Training basiert auf Technologien, wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR), um erfahrungsorientiertes Lernen in einer sicheren, kontrollierten und virtuellen Umgebung zu ermöglichen. Die Auszubildenden können handelsübliche Spiel-Peripheriegeräte wie etwa Konsolen-Controller und VR-Headsets wie die Oculus Rift aufsetzen, um Zugang zu maßgeschneiderten Schulungsprogrammen zu erhalten. Dies kann das Lernen bei neuen und auch erfahrenen Mitarbeitenden unterstützen.

Die Vorteile der digitalen Ausbildung wurden in einigen Branchen bereits erkannt und sich zunutze gemacht. Schulungen für Piloten verwenden bspw. Flugsimulatoren, um zu verstehen, wie Flugzeuge in verschiedenen Umgebungen und unter wechselnden Bedingungen funktionieren.

Innerhalb der Chemiebranche werden mit Hilfe des Immersive Training, durch die Simulation chemischer Prozesse, vergleichsweise Energie und Rohstoffe eingespart. Somit bietet die virtuelle Schulung erhebliche Nachhaltigkeitsvorteile. AR- und VR-Schulungen können auf unterschiedlichste Art eingesetzt werden. So bieten sie bspw. eine Einführung in Anlagen und Installationen, gewährleisten allgemeine Sicherheit und Leistung und verringern das Unfallrisiko. Die Notwendigkeit, Anlagen für reale Schulungen abzuschalten, fällt ebenfalls weg. Innerhalb des virtuellen Trainings wird ein digitaler Zwilling geschaffen, welcher physische Anlagen, Prozesse und Unternehmen virtuell nachbildet. Dieser zugängliche und sichere Zwilling kann mit Hilfe von Laserscan-Daten in weniger als 60 Tagen funktionsfähig konstruiert werden.

Relevanz der digitalen Neuerung

Da immer mehr erfahrene Bediener und Ingenieure in den Ruhestand gehen, ist der Bedarf an neuen Schulungsmethoden gestiegen. Wie andere Industriezweige sieht sich auch die Chemiebranche mit einem Generationswechsel in der Belegschaft konfrontiert und muss ihr Fachwissen zunehmend an jüngere Arbeitnehmer weitergeben. Bis vor kurzem hat sich der Sektor jedoch weitgehend auf traditionelle Schulungsmethoden verlassen, welche die Digital Natives, die bald die Mehrheit der Belegschaft ausmachen werden, nicht wirklich ansprechen. Hingegen bietet eine digitale Umgebung ein attraktives Schulungsumfeld für Millennials und Arbeitnehmer der Generation Z, da diese mit 3D-Welten aufgewachsen sind.

Zudem wird die Industrie 5.0 von einer massiven Personalisierung, dem Erlebnisdesign und einer stärkeren Zusammenarbeit der Mitarbeitenden geprägt sein. Anpassungsfähigere, bedarfsorientierte Lernerfahrungen werden geschaffen, die das Vertrauen der Mitarbeitenden stärken und zu mehr Kreativität, Autonomie und Leistung führen. Das Immersive Training ist dabei nicht nur eine Datendarstellung, sondern bietet Einblicke und Wissen, das Unternehmen hilft, das Verhalten des industriespezifischen Prozesses besser zu verstehen.

Die Digitalisierung und die Erstellung eines digitalen Anlagenzwillings sind außerdem entscheidende Elemente bestehender Industriebetriebe, die deren zukünftige Rentabilität und Nachhaltigkeit beeinflussen. Alten, veralteten oder anderweitig nicht nachhaltigen Anlagen wird damit ermöglicht, sich in effiziente, energiesparende und nachhaltige Anlagen zu verwandeln.

Vereinheitlichung der Lernerfahrung

Die VR- und AR-Schulungsumgebungen können die Vereinheitlichung der vielen Systeme eines Unternehmens zu einer einzigen, sicheren Datendrehscheibe des Chemieunternehmens wandeln und helfen, die Vorteile des immersiven Lernens zu nutzen. Eine solche einheitliche Umgebung reduziert den Zeit- und Arbeitsaufwand für den Austausch detaillierter technischer Daten und beschleunigt das Lernen, indem geschäftsspezifische Ergebnisse ermöglicht werden.

Digitale, maßgeschneiderte Lösungen stärken das Vertrauen der Unternehmen in ihre Mitarbeitenden auf mehreren Ebenen. Diese lernen schnell, sich in den Anlagen zurechtzufinden und können die Auswirkungen von Fehlentscheidungen leicht nachvollziehen. Zudem lernen Auszubildende, wie Sicherheit und Zuverlässigkeit die Anlagenleistung verbessern, ohne Gesundheit und Produktivität zu beeinträchtigen.

 

Fallbeispiel Shell

In Raffinerien und Chemieanlagen können durch die simulationsgestützte Ausbildung also die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Was dies konkret bedeutet, wird an dem Fall Shell verdeutlicht.

Die Shell Oil Company arbeitet bereits seit Längerem mit den Immersive-Training-Alternativen. Brent Kedzierski, Leiter der Abteilung Lernstrategie und Innovation bei Shell, ist zuversichtlich, dass dies die zukünftige Ausbildungslösung für Raffinerien ist. „Bei der Indus­trie 5.0 geht es darum, menschliche Wahrnehmung, Zusammenarbeit und Kreativität mit der intelligenten Produktion zu verbinden. Der Fortschritt wird nicht nur an der Verbindung von Daten zwischen dem Internet of Things (IoT) gemessen, sondern auch daran, wie die Konnektivität die menschliche Erfahrung verbessert. Im Zeitalter der Massenpersonalisierung wird es darum gehen, eine große Wirkung zu erzielen, und zwar für jeden Einzelnen“, sagt Kedzierski. Diese Harmonie soll physische, ökologische und psychologische Sicherheitskompetenz sichern. Der Erfolg dieses Vorhabens lässt sich bereits feststellen, da das Operations Mastery Project von Aveva und Shell den Preis für den „Best Health, Safety or Environmental Contribution“ bei den 2020 Hydrocarbon Processing Awards gewonnen hat.

Das Operations Mastery Project umfasst VR-Schulungssysteme, die Azubis helfen bzw. dabei unterstützen, Sicherheitskompetenzen für den Betrieb von Raffinerien und Chemieanlagen zu erwerben. Verhaltenstechniken, die in tagtäglichen Situationen zu Höchstleistungen führen, werden virtuell erlernt. Somit kann in einem schnelllebigen industriellen Umfeld sichergestellt werden, dass Teams die bestmögliche Entscheidung treffen.

Cloud-Lösungen in Betracht ziehen

Die Möglichkeiten von Immersive Training kommen jedoch erst richtig zur Geltung, wenn sie in Cloud-basierten Lösungen verankert sind. Vor Ort installierte Simulatoren sind mit hohen Investitionskosten verbunden und können jeweils nur eine Gruppe von Auszubildenden schulen. Bei einer abonnementbasierten Cloud-Lösung hingegen werden die Kosten auf die Betriebskosten verlagert, welche der Schulungsaktivität und den Budgets entsprechen. Darüber hinaus ermöglichen Cloud-Lösungen die Ausbildung für eine wesentlich größere Gruppe von Mitarbeitenden. Somit können multidisziplinäre und geografisch getrennte Teams gleichzeitig an denselben Daten arbeiten und interaktive Projekte durchführen. Ein weiterer Vorteil ist die zeitliche Konstante, welche durch das Vor-Ort-Lernen verhältnismäßig klein gehalten wird. Die eingesparten Ressourcen können wiederum in die Schulung investiert werden – Return on Investment (ROI).

Technologien wie AR und VR in den akademischen oder industriellen Ausbildungsalltag von Millennials und der Generation Z zu integrieren, ist somit nicht nur sinnvoll, sondern auch ratsam. Denn dies gestaltet die Ausbildung für Digital Natives grundlegend attraktiver und stellt auch, wie zuvor festgestellt, eine positive Entwicklung für Arbeitgeber dar.

Autor: Stephen Reynolds, Industry Principal – Chemicals, Aveva Group plc, Cambridge, England

 

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