Chemiekonjunktur – Das US-Chemiegeschäft wächst in schwierigen Zeiten
Im Jahr 2021 legte die Chemieproduktion in den USA um 5,7 % zu
Die US-Wirtschaft hat sich im vergangenen Jahr vom pandemiebedingten Einbruch des Jahres 2020 schnell und kräftig erholt. Im Gesamtjahr 2021 konnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach einem Rückgang von 3,4 % im Vorjahr um 5,7 % zulegen. Damit gehörten die USA 2021 zu den wachstumsstärksten Industrieländern der Welt. Das gesamte Jahr 2021 war von hoher Dynamik geprägt. Der Arbeitsmarkt entwickelte sich positiv. Der Konsum stieg kräftig. Davon profitierte vor allem der Dienstleistungssektor. Im Zuge des Wegfalls von pandemiebedingten Einschränkungen stiegen die Ausgaben für Restaurantbesuche, Reisen, Sport oder Freizeitbeschäftigungen. Auch die Industrie profitierte von der gesamtwirtschaftlichen Erholung. Das Plus im Gesamtjahr lag bei 6,0 %, alle Sektoren profitierten. Vor allem der Maschinenbau und die Hersteller von Elektrogeräten verzeichneten hohe Wachstumsraten. Auch die Chemie- und Pharmaindustrie wuchs in diesem Umfeld. Vor allem die Pharmaproduktion legte im Zuge der Impfstoffherstellung kräftig zu. Im Chemiegeschäft dämpften die hingegen Winterstürme im Frühjahr und die Lieferkettenprobleme die Entwicklung (Grafik 1).
Chemiegeschäft: Schwungvoller Start, hart ausgebremst
Die Chemie- und Pharmaproduktion lag bereits Ende 2020 über dem Vorkrisenniveau. Der Start ins Jahr 2021 verlief schwungvoll. Die Winterstürme im Februar und deren Folgen stoppten jedoch den Aufschwung. Das Chemiegeschäft brach ein – deutlich stärker als zum Anfang der Coronapandemie und auch stärker als bei ähnlichen Wetterkapriolen in den vergangenen Jahren. Wirft man einen Blick auf den Verlauf, stellt man fest, dass die Produktion seit dem zweiten Quartal 2021 nahezu stagniert. Anfang 2022 ging die Ausbringungsmenge der Branche leicht zurück. (Grafik 2).
Die Kapazitätsauslastung der Branche lag 2021 mit 81,2 % sogar leicht unter dem Vorjahr. Viele Raffinerien und petrochemische Anlagen liegen in den von den Stürmen besonders betroffenen Regionen am Golf von Mexiko. In Folge des Wintereinbruchs fielen diese Anlagen über einen längeren Zeitraum aus. Texas ist dabei ein zentraler Ethylenproduzent. Über 90 % der US-Produktion der wichtigen Basischemikalie kommen aus dem Lone-Star State am Golf.
Der Start ins Jahr 2021 verlief schwungvoll.
Die Winterstürme im Februar und deren Folgen
stoppten jedoch den Aufschwung.
Das Wiederanfahren der Anlagen und eine Ausweitung der Produktion von Petrochemikalien ist ein zeitintensiver Prozess. Daher stieg die Produktion in den Grundstoffsparten nur moderat. Auch schlugen die globalen Lieferengpässe mehr und mehr auf die Wertschöpfungsketten in der Chemie durch. Engpässe bei Transportkapazitäten im Inland limitierten die Produktionsmöglichkeiten zusätzlich. Die Hersteller von Fein- und Spezialchemikalien litten besonders unter steigenden Rohstoffkosten und fehlenden Vorprodukten. Sie konnten daher nur teilweise von der Erholung im verarbeitenden Gewerbe profitieren. Im Gegenzug dazu entwickelte sich das Pharmageschäft prächtig. Durch die im Zuge der Coronapandemie massiv forcierte Herstellung von Impfstoffen legte die Pharmaproduktion mit + 11 % im Gesamtjahr kräftig zu. Für die Gesamtchemie stand in Summe ein Produktionsplus von 5,0% in den Büchern (Grafik 3).
Kräftige Preis- und Umsatzsteigerungen
Eine steigende industrielle Nachfrage, anziehende Rohstoffpreise kombiniert mit Produktions- und Lieferengpässen führten im Jahr 2021 zu rasant steigenden Erzeugerpreisen für Chemieprodukte (Grafik 4). Im Chemiegeschäft (ohne Pharma) lag das Plus bei 14,3 %, einzelne Grundstoffsparten verzeichneten Preissteigerungen von rund 30 % (Polymere, Organika). Im ersten Quartal 2022 setzte sich der Preisanstieg fort, ein Ende ist nicht abzusehen. Dementsprechend positiv entwickelten sich die Umsätze. Im Jahr 2021 verbuchte die Chemie ein Plus von 10,6 %. Die Pharmaumsätze legten dank starker Mengenentwicklung um 8,8 % zu. Auch bei den Umsätzen deutete sich Anfang 2022 eine Fortsetzung des Aufwärtstrends an.
Ausblick: Dynamik lässt spürbar nach
Die Aussichten für die US-Wirtschaft haben sich zuletzt eingetrübt. Zwar sind die USA vom Krieg in der Ukraine nur indirekt betroffen, allerdings wirken sich die verhängten Sanktionen auch auf die US-Wirtschaft aus. Sie verursachen vor allem zu stark steigenden Groß- und Einzelhandelspreisen für mineralische Brennstoffe, Mineralöle und chemische Erzeugnisse. Zwar führen die verhängten Einfuhrstopps im Gegensatz zu Europa zu keinen mengenmäßigen Engpässen, die gestiegenen Weltmarktpreise schlagen jedoch auf den offenen US-Markt ohne Verzögerung durch. In der Folge sind zuletzt die Inflationsraten kräftig angestiegen. Mittlerweile liegt die Kerninflation bei über 6 %. Diese Entwicklung trifft auf eine in Teilen ohnehin überhitze Wirtschaft. Der Arbeitsmarkt ist eng, die Arbeitslosenquote liegt nur noch 0,1 Prozentpunkte unter dem Vorkrisenniveau. Entsprechend stark stiegen zuletzt die Löhne. Diese Entwicklung zwang die US-Zentralbank (FED) dazu, Mitte März die Zinswende einzuläuten. Weitere Zinsschritte werden nach Einschätzung von Währungsexperten folgen, da die Aufwärtsrisiken für die Inflation noch einige Zeit anhalten werden. Steigende Zinsen dämpfen jedoch die wirtschaftliche Entwicklung und erhöhen das Risiko einer temporären Rezession.
Im ersten Quartal 2022 verzeichnete die US-Wirtschaft einen leichten Wachstumsdämpfer. Das Konsumentenvertrauen litt unter der hohen Inflation, die grundsätzlichen Triebkräfte für den Konsum wirken jedoch weiterhin. Die Verfassung des Arbeitsmarktes ist nach wie vor sehr gut. Zwar sind noch nicht alle Jobs, die in der Pandemie verloren gegangen sind, wieder besetzt worden. Gleichzeitig liegt die Zahl der offenen Stellen aber auf einem Rekordniveau. Entsprechend stark steigen die Löhne. Auch ist die Investitionsdynamik der Unternehmen hoch. Zuletzt investierte allein der Halbleiterhersteller Intel rund 40 Mrd. USD in vier neue Werke. Hinzu kommt das Infrastrukturpaket der US-Regierung mit einem Finanzierungsumfang von 1,2 Bio. USD. In Summe gehen wir daher davon aus, dass die US-Wirtschaft im Jahr 2022 mit rund 2,4 % wachsen kann.
Die Industrie setzte im ersten Quartal ihren Aufwärtstrend fort und kann im Gesamtjahr 2022 voraussichtlich ein Plus von bis zu 4,5 % erreichen. Dies wirkt sich positiv auf das Chemiegeschäft aus. Die Chemie- und der Pharmaproduktion legte im ersten Quartal leicht zu. Sollte die Branche von erneuten Stürmen am Golf von Mexiko verschont bleiben, ist für das Gesamtjahr ein Plus von rund 3,5 % möglich (Grafik 5).
Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen
Industrie e. V., Frankfurt am Main
ZUR PERSON
Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
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