Nachhaltigkeitswende fordert Unternehmen heraus
Gerade für Spezialchemieunternehmen gilt: Circular Economy = Data-driven Economy
Was, wann, wo: Das ist das entscheidende Wissen, wenn Ressourcen, Rohstoffe und Produkte im Kreis geführt werden sollen. Denn in einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft gehört die Lenkung der Materialströme genauso dazu wie die Vernetzung der einzelnen Informationsströme zwischen allen Beteiligten. Was trivial klingt, ist gerade für Unternehmen der Spezialchemie eine der größten Herausforderungen auf der Transformationsagenda für die Nachhaltigkeitswende.
Ab 2023 soll nach den Plänen der EU-Kommission der Digitale Produktpass (DPP) kommen, der zu einem Produkt Informationen über Herkunft, Rohstoffe, Reparaturfähigkeit und zur Rückführung bzw. Wertstoffsammlung enthält. Ausdrückliches Ziel ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft.
Mit Blick auf die Relevanz für die chemische Industrie ergibt sich aus diesen Anforderungen schnell eine Zweiklassengesellschaft. Aufgrund der seit Dekaden gelebten Vernetzung der Wertschöpfung von Grundstoffen bis zu Plattformchemikalien, fließen hier wie selbstverständlich auch Daten parallel zu den Materialströmen. Ganz anders sieht es aus, je näher man der Endverwendung kommt. Schon auf der Ebene der Spezialitäten wird die Anzahl der beteiligten Unternehmen, von Vorprodukten für Mischungen und Systeme sowie die Abnehmerseite sehr schnell unübersichtlich. Endgültig zerfranst die Kette, wenn es in die Endverwendung geht. Und als wäre es noch nicht genug, gehen die Produkte häufig in Materialverbünden wie in der Bauchemie auf, die noch schwerer zu erfassen sind.
Der Nutzen und Gestaltungshebel für Unternehmen liegen in Branchenlösungen
Die Komplexität innerhalb der Anwendungssegmente und ihre Andersartigkeit untereinander macht deutlich, dass die Definition eines industrieübergreifenden Ansatzes zur Vernetzung von Daten- und Materialströmen nicht Aufgabe von einzelnen Marktteilnehmern sein kann. Entsprechend gibt es bereits branchenspezifische Ansätze aus der Industrie wie das Automotive-Netzwerk Catena-X, die Madaster-Plattform in der Bauindustrie und eine Vielzahl von Start-ups wie Circularize, um die Informationsvernetzung entlang der Wertschöpfung zu realisieren.
Für einzelne Unternehmen ergeben sich daraus zwei Aktionsfelder, um den Einstieg in die Kreislaufwirtschaft und den Anschluss an die datengetriebene Vernetzung nicht zu verlieren. Dies ist einerseits die aktive Begleitung von Brancheninitiativen oder die Initiierung von eigenen Kooperationen mit vor- und nachgelagerten Unternehmen in der direkten Wertschöpfungskette. Zum anderen ist dies die konsequente Digitalisierung des eigenen Unternehmens, um alle notwendigen Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme an der „Circular & Data-driven Economy“ zu schaffen.
Als Investition in die eigene Zukunftsfähigkeit profitieren Unternehmen im Ergebnis von
- der Erfüllung regulatorischer Vorgaben,
- der Transparenz und Kontrolle von Materialströmen,
- dem besseren Zugang zu Ressourcen und Rohstoffen,
- der Chance für Innovationen und neuen Erlösquellen, wenn aus ehemaligen Abfallstoffen Wertstoffe werden.
Kreislaufwirtschaft als Anlass zur konsequenten Digitalisierung
Ansatzpunkt für die Digitalisierung mit Blick auf die Kreislaufwirtschaft: Das notwendige Datenmodell im eigenen Produkt- und Anwendungssegment verstehen. Denn im Datenmodell kommen alle Informationen zusammen, die es für eine effiziente Vernetzung entlang der Wertschöpfung mit verschiedenen Akteuren und Wertschöpfungsstufen braucht, um Produkte und Rohstoffe im Kreis zu führen. Bestandteile des Datenmodells sind Stammdaten, Bewegungsdaten und Ereignisdaten.
Die Stammdaten enthalten grundlegende und zur Identifikation notwendige Informationen zu Produkten, Herstellerunternehmen und Rohstoffen. Bewegungsdaten sind all jene Informationen, die innerhalb der Wertschöpfung oder Kreislaufführung zwischen den Akteuren ausgetauscht werden, wie z. B. Bestellungen, Auftragsbestätigungen und Begleitdokumentationen. In den Ereignisdaten ist dokumentiert, was, von wem, wann, wo und warum war. Im Lebenszyklus eines Produkts ändern oder füllen sich die verschiedenen Datenfelder in Abhängigkeit der Wertschöpfungsstufe und bis zur Rückführung in den Kreislauf.
In einem weiteren Schritt geht es darum, die eigenen Systeme und Prozesse im Unternehmen automatisiert in das Datenmodell einzubinden. In der Praxis ist das oft eine große Herausforderung und somit weiter Anlass für die Vervollständigung systemgestützter End-to-End-Prozesse im eigenen Unternehmen.
Vom Datenmodell zur Ressourceneffizienz in der Kreislaufwirtschaft
Die Grundlage für die Vernetzung von Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft: Daten fließen analog zu Produkten und Materialien im Kreis. In einer ersten Stufe ist so gewährleistet, dass relevante Daten gesammelt und zwischen Unternehmen geteilt werden. Doch nur, wenn diese auch integriert und verknüpft werden, entstehen auch Informationen für die Steuerung. Ihre automatisierte und intelligente Auswertung und entsprechende Dashboards zeigen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt mit Produkten und Materialien passiert. Dies erlaubt Eingriffe zur Steuerung der Materialströme und dem Abgleich von Bedarfen und Verbräuchen.
Wenn in einer nächsten Stufe dann zusätzlich Instrumente zur Analyse der Daten eingesetzt werden, wird das volle Potenzial zur Umsetzung der Circular Economy als Data-driven Economy ausgenutzt. Über Tools aus dem „Big Data“-Baukasten und mit KI-Anwendungen können dann Erklärungen, Prognosen und Verbesserungspotenziale zur Optimierung der Kreislauflösung identifiziert und angegangen werden.
Investitionen in die Kreislaufwirtschaft sind Investitionen in die Zukunftsfähigkeit
Für einzelne und gerade mittelständische Unternehmen mag das zuvor skizzierte Zielbild auf den ersten Blick außerhalb des eigenen Gestaltungsspielraums, Know-hows und vielleicht auch außerhalb der finanziellen Möglichkeiten liegen. Daher ist daran zu erinnern: Die Kreislaufwirtschaft kann grundsätzlich nur mit der Bündelung von Kräften verschiedener Marktteilnehmer und Kooperationen wirklich funktionieren.
"Die Kreislaufwirtschaft kann grundsätzlich
nur mit der Bündelung von Kräften verschiedener Marktteilnehmer und
Kooperationen wirklich funktionieren."
Ebenso zeigen die dynamischen Investitionen in neue Geschäfte und in anorganisches Wachstum in der chemischen Industrie, dass sowohl Möglichkeiten als auch Mittel durchaus vorhanden sind. Doch selbst, wenn der ROI aus Investitionen in die vernetzte und digitale Kreislaufwirtschaft weiter in der Zukunft liegt als bei Akquisitionen, die unmittelbar Umsatz und Profite erwirtschaften: Als Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens lohnen sie sich in jedem Fall!
Autoren: Stephan Hundertmark, Wieselhuber & Partner; Sebastian Batton, Wieselhuber & Partner
ZUR PERSON
Sebastian Batton ist Senior Manager im Bereich Digitale Transformation bei
Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Nach dem Studium der informationsorientierten Betriebswirtschaftslehre kam er 2018 mit fünfjähriger Beratungserfahrung im zu W&P, wo er die Themenfelder ‚Digitale Transformation‘ von mittelständischen Familienunternehmen und datengetriebene Ansätze verantwortet. Der Diplombetriebswirt hält regelmäßig Vorträge und verfasst praxisorientierte Beiträge zur digitalen Transformation von Unternehmen.
ZUR PERSON
Stephan Hundertmark ist Partner und Leiter Chemie & Kunststoffe bei Dr. Wieselhuber & Partner. Zusätzlich verantwortet er die Themenfelder Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sowie die zukunftsorientierte Ausgestaltung von Unternehmens- und Führungsorganisationen. Er ist Dozent an der TU München und verfasst regelmäßig praxisorientierte Beiträge zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen.
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