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Bioökonomie statt Kohle und Erdöl

Investitionen und Ansiedlungen beflügeln Neuausrichtung des mitteldeutschen Chemiedreiecks

08.06.2021 - Im mitteldeutschen Chemiedreieck werden derzeit hunderte Millionen Euro in die Bereiche Batterietechnik, Wasserstoff und Bioraffinerien investiert. Das Land Sachsen-Anhalt fördert gezielt neue Firmenansiedlungen.

Die erste Lithium-Raffinerie Deutschlands will AMG Lithium im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen errichten. Ende April 2021 gab das Frankfurter Unternehmen bekannt, auf einem neu erworbenen Grundstück bis 2025 eine Produktionsanlage für Lithiumhydroxid (LiOH) in Batteriequalität zu bauen. LiOH ist der wichtigste Rohstoff zur Herstellung von Kathodenmaterialen, die in Zellen für Lithium-Ionen-Batterien verbaut werden. Die Jahreskapazität wird nach Angaben von Stefan Scherer, Geschäftsführer der AMG Lithium, zunächst bei 20.000 t liegen. „Die Grundstücksgröße ist aber so bemessen, dass wir in den Folgejahren durch weitere Module die jährliche Kapazität auf bis zu 100.000 t steigern können“, so Scherer.

Grüne Chemie

Die Ansiedlung ist ein wichtiger Baustein in der Neuausrichtung des mitteldeutschen Chemiedreiecks, das die Standorte Bitterfeld-Wolfen, Schkopau, Leuna, Zeitz (alle Sachsen-Anhalt) und Böhlen (Sachsen) umfasst. Um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen, muss auch in der Chemie der Einsatz von Braunkohle, Gas und Erdöl drastisch reduziert werden. Sachsen-Anhalt konzentriert sich in der grünen Chemie auf die Bereiche Batterietechnik, Wasserstoff und Biochemie.

Nur einige Kilometer entfernt von der geplanten Lithium-Raffinerie will der amerikanisch-chinesische Konzern Farasis ein neues Batteriezellenwerk bauen. Auch Farasis hat bereits Grundstücke im Umfang von 60 ha erworben, auf denen eine 600 Mio. EUR teure Zellenfabrik entsteht, die ab 2024 u. a. Daimler mit Batterien versorgen soll. Der Stuttgarter Autokonzern hat sich auch an Farasis beteiligt. Ursprünglich wollte Farasis bereits ab 2022 in Bitterfeld-Wolfen produzieren, doch die Pläne verzögerten sich. Geschäftsführer Sebastian Wolf betonte zuletzt jedoch, dass die Großinvestition umgesetzt werde. Zunächst sollen Batteriesysteme für bis zu 100.000 Elektroautos im Jahr hergestellt werden. Farasis wird laut Wolf aber nicht nur einen reinen Produktionsstandort aufbauen, sondern ein komplettes Batterie-Kompetenzzentrum. „Wir wollen den gesamten Batterie-­Life-Cycle von der Entwicklung über die Herstellung bis zum Recycling an einem Standort bündeln“, kündigte er an und ergänzte: „Mittelfristig wollen wir den Standort weiter ausbauen, so dass bis zu 2.000 Arbeitsplätze entstehen könnten.“ Der Batteriezellen-Hersteller kann mit einer Förderung von 30 Mio. EUR durch das Land Sachsen-Anhalt rechnen.

Klimaschonende Wirtschaft

Die Landesregierung will in den kommenden Jahren verstärkt Ansiedlungen in der Chemie- und Energiebranche fördern.

„Wir haben gute Chancen, dass die Produkte, die für eine klimaschonende Wirtschaft nötig sind, in unserer Region produziert werden“, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). So lässt derzeit bereits der finnische Konzern UPM im Chemiepark Leuna Europas größte Bioraffinerie bauen, in der auf Holzbasis chemische Grundstoffe hergestellt werden sollen, aus denen dann bspw. Kleidungsstücke, Autoreifen, Möbel und PET-Flaschen gefertigt werden.

Das 550 Mio. EUR teure Werk soll 2022 seinen Betrieb aufnehmen und eine Jahreskapazität von 220.000 t besitzen (siehe Beitrag gegenüberliegende Seite). „Durch UPM werden sich weitere Firmen aus dem Biochemiebereich am Standort ansiedeln“, sagt Christof Günther, Chef der Chemieparkgesellschaft InfraLeuna. Es gebe konkrete Absichten. Für neue Ansiedlungen müssten sogar Flächen außerhalb des Chemieparks erschlossen werden.

Ein Vorteil des Standorts: Gerade kleine und mittelständische Firmen können mit dem Fraunhofer-Zen­trum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP) kooperieren. Das CBP unterstützt Firmen dabei, biotechnologische und chemische Verfahren vom Labor in Industrieproduktion umzusetzen. „Firmen können bei uns auf vorhandene Pilotanlagen wie etwa Bioreaktoren und etablierte Infrastrukturen sowie hochqualifiziertes Personal zur Verfahrensentwicklung und dem Anlagenbetrieb zurückgreifen“, wirbt CBP-Leiter Gerd Unkelbach für sein Zentrum. Das CBP habe eine langjährige Expertise in der „Skalierung von Bioraffinerieverfahren“.

Forschung und Innovationen fördern

Die neue Entwicklung birgt aber auch Risiken. Wegen der Elektro­mobilität wird der Kraftstoffverbrauch sinken, was auch die Total-Raffinerie in Leuna trifft. Die Kunststoffproduktion könnte aufgrund hoher Energiepreise in den Nahen Osten und Asien abwandern. Der Wirtschaftsforscher Joachim Ragnitz vom IFO-Institut in Dresden empfiehlt, insbesondere Forschung und Innovationen zu fördern. „Vor allem junge, innovative Firmen sollten unterstützt werden“, sagt Ragnitz.

Aufgrund der niedrigen Zinsen bräuchten etablierte Konzerne kaum noch staatliche Finanzhilfen. „Start-ups auch in der Chemie sind aber auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Sie weisen dafür zumeist eine hohe Produktivität auf und schaffen gut bezahlte Arbeitsplätze“, so Ragnitz.

Wasserstoff als Rohstoff und Energieträger

Als wichtiger Rohstoff und Energieträger der Zukunft soll im Chemiedreieck Wasserstoff zur Verfügung stehen. Ebenfalls in Leuna baut aktuell der Gasehersteller Linde für 60 Mio. EUR die weltgrößte Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff. Dafür wird Ökostrom genutzt. Noch etwas ambitionierter sind die Pläne des Leipziger Gaskonzerns VNG. In Bad Lauchstädt – wenige Kilometer von Leuna entfernt – soll der in zehn Windkraftanlagen erzeugte Strom zunächst in einer Elektro­lyse­anlage Wasserstoff erzeugen, der anschließend in einer 1.000 m tiefen Kaverne gespeichert wird. VNG treibt das Projekt mit Partnern wie Uniper voran. Bisher wird in den unterirdischen Kavernen vor Ort Erdgas gespeichert. VNG-Vorstandschef Ulf Heitmüller nennt die Wasserstoffstrategie ein „echtes Kraftpaket für die Energiewende“. VNG hofft auf eine schnelle Förderung, denn finanziert ist das 100 Mio. EUR teure Projekt noch nicht. Was das Bad-Lauchstädt-Projekt für die Energiewirtschaft und die Chemie interessant macht: Die Kapazität des Wasserstoffspeichers übertrifft die in Deutschland in Pumpspeicherkraftwerken gepufferte Energie um das Vierfache. Erstmals wäre ein großer Stromspeicher verfügbar.

Doch auch die Planungen für den „Energiepark Bad Lauchstädt“ haben sich zuletzt verzögert, da die Förderbedingungen eine Realisierung erschweren. „Als global agierendes Unternehmen mit großen Produktionsstandorten in Deutschland brauchen wir heute verlässliche politische Rahmenbedingungen für Investitionen in die kohlenstoffarmen Technologien von morgen, wie Wasserstoff und Kunststoffrecycling“, sagt daher auch Dow-Deutschland-Chef Ralf Brinkmann. Dazu gehöre auch eine „zuverlässige und kostengünstige Versorgung mit grünem Strom, der in großen Mengen verfügbar sein muss.“

Aktuell deckt der große Dow-Chemiepark in Schkopau, in dem u. a. Chlor, Kunststoffe und Kautschuk hergestellt werden, seinen enormen Strombedarf noch aus dem benachbarten Braunkohle­kraftwerk Schkopau. Fraunhofer-­CBP-Chef Unkelbach ist jedoch überzeugt, dass der Strukturwandel für Sachsen-Anhalt eine Chance ist, in Deutschland eine Modellregion für eine nachhaltige Chemie zu werden.

Autor

Steffen Höhne, Wirtschafts­journalist, Halle (Saale)

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