Modulare Anlagen zulassen
Überlegungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
Die chemische Industrie steht vor der Herausforderung, immer kleinere Produktmengen nach immer spezifischeren Kundenanforderungen immer schneller herzustellen. Die „Losgröße 1“ als strategisches Leitbild ist nicht mehr Theorie. Um mit dieser Anforderung umzugehen, bedarf es neuer Produktionskonzepte. Ein solches Konzept bieten modulare Produktionsanlagen an. Dieser Begriff meint hier chemische Produktionseinrichtungen, bei welchen chemische Teilprozesse wie Trennen oder Vermischen in technisch selbständigen Einheiten stattfinden, den Modulen. Ein Modul kann aus mehreren technischen Geräten bestehen; zum Modul werden diese dadurch, dass sie im Sinne einer dezentralen Organisation den jeweiligen Teilprozess vollständig selbst durchführen, einschließlich eigener Automatisierungs- und Steuerungstechnik.
Module definieren eine Bandbreite von Eingangsbedingungen, zu denen sie beschickt werden dürfen, beispielsweise Stoffe, Temperaturen und Drücke, und auch innerhalb eines Moduls kann der Teilprozess innerhalb einer gewissen, konstruktiv vorgegebenen, Bandbreite variiert werden. Dadurch kann ein Modul seinen jeweiligen Teilprozess unterschiedlichen Gesamtprozessen zur Verfügung stellen. Diese Variabilität eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, die einzelnen Module flexibel in unterschiedlichen Kombinationen miteinander zu verbinden. Insgesamt können dadurch mit vergleichsweise geringem Aufwand chemische Herstellungsprozesse realisiert werden. Die genehmigungsrechtliche Besonderheit liegt in dem Bestreben der Betreiber, möglichst eine einzige immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erhalten, durch welche alle denkbaren Gruppierungen des Systems abgedeckt werden. Ob dies auf Grundlage des geltenden Rechts möglich ist oder ob Gesetzesänderungen angestrebt werden müssen, ist Gegenstand dieses Beitrags.
Rahmengenehmigung
Das Immissionsschutzrecht, welches den Schutz der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen und Gefahren regelt, findet sich im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und den dazugehörigen Verordnungen (BImSchV). Diese Rechtsmaterie stellt eine Reihe von technischen Anlagen abhängig von ihrer Art und Dimensionierung unter einen Genehmigungsvorbehalt. Wie sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ergibt, handelt es sich dabei um Anlagen, die auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen. Welche Anlagen genehmigungsbedürftig sind, ergibt sich aus der 4. BImSchV. Unter anderem gehören dazu Anlagen zur Herstellung chemischer Produkte im industriellen Umfang (Nr. 4.1 Anhang 1 der 4. BImSchV), also praktisch gesehen ein erheblicher Teil der Anlagen, um die es hier geht.
Das Genehmigungserfordernis schließt alle betriebsnotwendigen Anlagenteile und Verfahrensschritte sowie damit im Zusammenhang stehende Nebeneinrichtungen ein (§ 1 Abs. 2 der 4. BImSchV). Zur genehmigungsbedürftigen Anlage gehören damit etwa auch Verbindungsleitungen und die Anlagensteuerung. Auf die konkrete technische Gestaltung kommt es nicht an, das Genehmigungserfordernis gilt für jede Anlage mit dem jeweils in Anhang 1 der 4. BImSchV beschriebenen Zweck. Erfüllt eine konkrete genehmigungsbedürftige Konstruktion die rechtlichen Genehmigungsanforderungen nicht, darf sie daher selbst dann nicht betrieben werden, wenn sie technisch machbar und unternehmerisch sinnvoll erscheint.
Genehmigungsrechtlich gibt es für modulare Anlagen keine spezifische Regelung, weder positiv noch negativ. Damit steht die Frage im Raum, ob modulare Anlagen durch das geltende Immissionsschutzrecht überhaupt zugelassen werden können oder ob die angestrebte Flexibilität schon grundsätzlich über das geltende Recht hinausgreift. Klar ist, dass die normale immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht hinreicht, die auf eine unveränderliche Prozesskette mit unveränderlichen Einsatzstoffen abzielt. Modulare Anlagen liegen im Spektrum der technischen Möglichkeiten weit davon entfernt. In solchen Genehmigungen erschöpft sich das geltende Recht freilich nicht. Es kennt vielmehr auch Rahmengenehmigungen, die in § 6 Abs. 2 BImSchG geregelt sind. Mit diesem Instrument schafft der Gesetzgeber Raum für variable technische Gestaltungen auf Grundlage einer einzigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Er spricht von „Anlagen, die unterschiedlichen Betriebsweisen dienen oder in denen unterschiedliche Stoffe eingesetzt werden (Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen).“ Auch solche Anlagen sind zu genehmigen, wenn die noch darzustellenden Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen, und es ist juristisch geklärt, dass der Gesetzgeber die Rahmengenehmigung nicht auf die Alternative zwischen unterschiedlichen Betriebsweisen oder unterschiedlichen Stoffen beschränkt. § 6 Abs. 2 BImSchG nennt lediglich wichtige Anwendungsfälle[1] und ermöglicht die Genehmigung auch anderer, nicht ausdrücklich genannter Alternativen, etwa zur Beschaffenheit von Anlagen.[2]
Deshalb ist möglich, eine Anlage zugleich als Mehrzweck- und Vielstoffanlage zu genehmigen. Rechtlich denkbar sind darüber hinaus auch unterschiedliche technische Detaillierungen, die durch eine einzige immissionsschutzrechtliche Genehmigung zugelassen werden. Daher ist möglich, auch modulare Anlagen durch Rahmengenehmigungen zuzulassen: Ihr Zweck liegt in einer flexiblen Kombination aus unterschiedlichen chemischen Verfahrensschritten, es werden unterschedliche Stoffe eingesetzt, und die Beschaffenheit der Anlage kann durch Rekombination von Modulen geändert werden. Modulare Anlagen sind daher als Mehrzweck- und Vielstoffanlagen im Sinne des § 6 Abs. 2 BImSchG einzustufen und fallen damit prinzipiell in das Regime des geltenden Immissionsschutzrechts. Sie sind auf dieser Grundlage an den für alle Anlagen geltenden Genehmigungsvoraussetzungen zu messen und können bei positivem Ergebnis auf Grundlage einer Rahmengenehmigung zugelassen werden.
Antragsunterlagen: Angabe aller Varianten?
Bei modularen Anlagen stellt sich wegen der angestrebten Flexibilität die Frage, inwieweit das Bild innerhalb des Rahmens bei Antragstellung gemalt sein muss. Die herkömmliche Vorstellung liegt darin, bei Mehrzweck- und Vielstoffanlagen die in Betracht kommenden Varianten im Antrag und in der Rahmengenehmigung konkret und abschließend zu beschreiben. Dies stößt jedoch angesichts der Verschaltungsmöglichkeiten modularer Anlagen an Grenzen. Verschaltung meint dabei Aspekte wie die Reihenfolge der Module, die eingesetzten Stoffe, die angewendeten Temperaturen oder Drucke. Praktisch gesehen ist unmöglich, jede Kombination im Antrag darzustellen und zu bescheiden: Bereits ein System mit nur fünf Modulen bietet 5x4x3x2x1, also 120 Kombinationen an, unter der Prämisse, dass ein einziger, stets gleicher, Stoff eingesetzt würde, was blanke Theorie ist. Hinzu kommt, dass nicht einmal feststeht, ob die modulare Anlage stets mit der gleichen Menge Module betrieben wird. Nimmt man an, dass auch Kombinationen aus vier der fünf Module denkbar sind, vergrößert sich die Menge nicht nur um weitere 4! Fälle, weil ex ante nicht feststehen muss, welches der fünf Module herausgenommen wird. Ein sinnvolles Genehmigungsverfahren für chemische Industrieanlagen lässt sich bei Einzelbetrachtung dieser Fälle nicht durchführen. Auf weitere Aspekte wie Reaktionstemperatur und -druck muss man gar nicht eingehen: Weder für Antragsteller noch für Behörden wären solche Verfahren handhabbar. Die Frage lautet daher, mit welchem Detaillierungsgrad eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu beantragen bzw. zu erteilen bzw. wie tiefenscharf die technische Funktionsfähigkeit und Sinnhaftigkeit möglicher Varianten im Genehmigungsverfahren darzulegen ist.
Die Einzelheiten des Genehmigungsverfahrens regelt die 9. BImSchV. Deren § 3 bestimmt, was grundsätzlich im Antrag enthalten sein muss, unter anderem „Angaben über Art und Umfang der Anlage“ (§ 3 Nr. 4 der 9. BImSchV). Darunter sind nicht Details zu verstehen, sondern eine allgemeine, grundlegende Beschreibung mit Leistungsangaben.[3] Ferner sind dem Antrag „die Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen erforderlich sind“ (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der 9. BImSchV). Zwingend gefordert sind die in den §§ 4a bis 4d der 9. BImSchV aufgezählten Angaben (so ausdrücklich § 4 Abs. 1 Satz 3 der 9. BImSchV). Diese Rechtsnormen fordern an keiner Stelle, alle denkbaren Betriebsweisen einer technischen Anlage im Antrag einzeln zu benennen. Im Gegenteil lässt § 4a Abs. 1 Nr. 3 der 9. BImSchV als die Vorschrift, welche Angaben zu Betriebsweisen behandelt, ausdrücklich zu, „das vorgesehene Verfahren oder die vorgesehenen Verfahrenstypen“, „Einsatzstoffe oder -stoffgruppen“ sowie „Zwischen-, Neben- und Endprodukte oder ‑produktgruppen“ zu benennen. Die Vorschrift spricht die Anlagen- und Betriebsbeschreibung sowie Fließbilder an[4], aber ihre Formulierung zeigt, dass sie auch an die Rahmengenehmigung denkt, indem sie von Typen, Stoff- und Produktgruppen spricht.[5] § 4a der 9. BImSchV fordert demnach nicht die Angabe einer einzigen festen, unveränderbaren Prozesskette oder aller denkbaren Betriebszustände. Die 9. BImSchV fordert vielmehr die Angabe von Verfahren und Anlagenbestandteilen. Dies erscheint durch die Beschreibung der einzelnen Module, ihrer Betriebszustände und Sicherungen sowie der Verbindungen zwischen den Modulen möglich. Angesichts der vielen Varianten, die bei modularen Anlagen denkbar sind, müssen die Antragsunterlagen dazu nicht nur die einzelnen Module mit ihren technischen Eigenschaften, Betriebsgrenzen und jeweiligen Teilprozessen genau beschreiben, sondern auch die Eigenschaften der Einsatzstoffgruppen und die organisatorischen Abläufe bei Neuverschaltungen.
Gegenüber Anträgen für Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen verlagern sich also größere Anteile der Verfahrensbeschreibung auf die Beschreibung der Teilprozesse, welche in den einzelnen Modulen stattfinden. Das ist eine Neuigkeit, aber aus rechtlicher Sicht kein Mangel. Mit Blick auf die gesetzlichen Schutzziele ist vielmehr maßgeblich, dass der Genehmigungsbehörde hinreichend präzise Angaben darüber zur Verfügung gestellt werden, was der Anlagenbetreiber zu tun beabsichtigt. Diese Absicht liegt bei modularen Anlagen in einer größeren Flexibilität als in herkömmlichen chemischen Herstellungsanlagen. Dies bedeutet nicht, dass modulare Anlagen in Widerspruch zum Genehmigungsrecht stünden, sondern dass die Anforderungen an die Darlegung des Anlagenbetriebs im Antrag sich verändern. Voraussetzung aus genehmigungsrechtlicher Sicht ist dann, dass die Modulhersteller die erforderlichen Angaben mitliefern, um die Genehmigungsvoraussetzungen darzulegen. So etwas kennt man heute aber schon aus anderen Bereichen, etwa Windkraftanlagen. Diese werden nicht typengenehmigt, die Hersteller liefern aber anlagenbezogene Unterlagen für das Genehmigungsverfahren mit. In Bezug auf modulare Anlagen befindet sich mit der VDI 2776 eine Norm in der Entstehung, welche die Voraussetzungen für dieses dezentrale Anlagendesign durch Klärung wichtiger Grundsatzfragen schaffen soll.
Welche Angaben schließlich in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen sind, regelt § 21 der 9. BImSchV. Unter anderem gehört dazu die „genaue Bezeichnung des Gegenstandes der Genehmigung“ (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BImSchV). Dabei geht es um die hinreichende Bestimmtheit der Genehmigung. Jede staatliche Regelung muss ihren Inhalt so exakt erkennen lassen, dass ihre Adressaten wissen können, was gestattet ist und was nicht. Aus jeder immissionsschutzrechtlichen Genehmigung muss klar hervorgehen, was die Behörde zulässt. Bestimmtheit erfordert freilich nicht zwingend einen hohen Detaillierungsgrad: Das Wort „alles“ ist abstrakt, aber eindeutig. Bei modularen Anlagen lässt sich der inhaltliche Umfang der Genehmigung durch die Angaben zu den Modulen und sonstigen Anlagenbestandteilen sowie Stoff- und Produktgruppen und organisatorischer Abläufe abgrenzen. Die Angabe aller theoretisch denkbaren Verschaltungen der Module ist also auch unter diesem Gesichtspunkt entbehrlich, denn sie ergibt sich als Ableitung aus den Angaben zu den Elementen, welche kombiniert werden können. Das ist geradezu typisch für Rahmengenehmigungen. Würden alle Varianten konkret betrachtet, würde es sich im Grunde genommen nicht mehr um eine Rahmengenehmigung handeln, denn die Genehmigung würde dann gar keinen Rahmen mehr zulassen, sondern eine Aufzählung einzelner Varianten. Rechtlich möglich ist also, einen Rahmen mit bestimmten Parametern zu beantragen, der dann selbstverständlich durch den Anlagenbetreiber einzuhalten ist, im Genehmigungsverfahren aber in allen Varianten benannt werden muss.
Genehmigungsvoraussetzungen
Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass für eine durch solche Unterlage beschriebene Anlage die Genehmigungsvoraussetzungen bejaht werden können. Materiell genehmigungsfähig ist eine Anlage, wenn sichergestellt ist, dass die grundlegenden immissionsschutzrechtlichen Pflichten aus § 5 BImSchG und ggf. für die Anlage einschlägigen immissionsschutzrechtlichen Verordnungen erfüllt werden; andere öffentlich-rechtliche Vorschriften sowie der Arbeitsschutz dürfen der Genehmigung nicht entgegenstehen (§ 6 Abs. 1 BImSchG). Mit den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist beispielsweise das Baurecht gemeint, das am konkreten Standort betrachtet werden muss. Hinzu kommt das Produktsicherheitsrecht, insbesondere das Recht der überwachungsbedürftigen Anlagen. An dieser Stelle geht es um das andere, immissionsbezogene Feld, denn dass Module und Verschaltungen technisch sicher und auch sonst rechtskonform gebaut werden müssen, darf als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ob die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 – 4 BImSchG geregelten allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Anforderungen – Vermeidung von und Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen, Gefahren, Nachteile und Belästigungen nach dem Stand der Technik, Vermeidung und einwandfreie Bewirtschaftung von Abfällen, sparsamer Energieeinsatz – gewahrt sind, muss die Behörde im Genehmigungsverfahren prüfen. Bei Rahmengenehmigungen erstreckt sich diese Prüfung gemäß § 6 Abs. 2 BImSchG auf „alle erfassten Betriebsweisen und Stoffe“. Die Genehmigungsvoraussetzungen müssen für sämtliche Betriebs- und Stoffvarianten gegeben sein.[6]
Es ist die Herausforderung der Antragstellung, diese Prüfung handhabbar zu machen, denn bei genauer Betrachtung handelt es sich nicht um eine qualitative Besonderheit modularer Anlagen. Auch bei herkömmlichen technischen Anlagen müssen Betreiber verdeutlichen, welche Leistungsgrenzen die einzelnen Anlagenbestandteile haben, wie sie zusammenwirken und wie Gefahren vorgebeugt wird. Bei Rahmengenehmigungen arbeitet man daher mit abdeckenden Betrachtungen, orientiert an den gefahrenträchtigsten Stoffen bzw. Betriebsbedingungen. Dieser Ansatz lässt sich auch auf modulare Anlagen übertragen; der Unterschied liegt in der größeren Zahl an Varianten, die so weit wie möglich konkret und im Übrigen typisierend und abdeckend darzulegen sind. Ziel muss sein, der Besorgnis entgegenzutreten, mit einer einmal erteilten Genehmigung sei ein Anlagenbetrieb möglich, welchen die Behörde vorab nicht anhand der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen überprüft habe.
Deshalb müssen die relevanten Eigenschaften der in Betracht kommenden Stoffgruppen beschrieben werden, also etwa Toxizität und wassergefährdende Eigenschaften. Dabei kann auf vorhandene Typisierungen wie zum Beispiel die Wassergefährdungsklassen oder die Gefahrenmerkmale zurückgegriffen werden. Gegenüber dem überkommenen Bild von Vielstoffanlagen ist insoweit vor allem neu, dass nicht vorab der nach bestimmten Eigenschaften gefährlichste Stoff konkret benannt und abdeckend für die Genehmigung zugrundegelegt werden kann. Insoweit lässt sich aber Abhilfe durch die Angabe abstrakter gefährlichster Stoffeigenschaften schaffen, welche gehandhabt werden sollen.
In Bezug auf die Teilprozesse wird das erforderliche Schutzniveau weitgehend durch das jeweilige Modul sichergestellt. Dies muss sich aus den Antragsunterlagen hinreichend deutlich und bestimmt ergeben. Gleiches gilt für die vorstellbaren Betriebszustände der einzelnen Module, vermittelt über die Angabe von Ein- und Ausgangsbedingungen sowie der Angabe, welche Vorgänge innerhalb des Moduls und innerhalb welcher Bandbreiten vorkommen können. Die für eine abdeckende Betrachtung notwendigen Maxima bzw. konservativen Annahmen können für jedes einzelne Modul formuliert werden, so dass insgesamt eine Bewertung für die Gesamtanlage möglich ist, auch wenn deren konkrete Zusammensetzung bei Antragstellung nicht abschließend feststeht. Dadurch muss für die Behörde nachvollziehbar auszuschließen sein, dass Betriebszustände auftreten, welche die Auslegung der einzelnen Module überschreiten. Darüber hinaus muss dargelegt werden, wie mit Störfällen umgegangen wird, in welchen unvorhergesehen die Auslegungsgrenzen eines oder mehrerer Module überschritten werden.
Hinsichtlich der organisatorischen Abläufe für die Änderung der Verschaltung müssen Antragsteller verdeutlichen, wie sie sicherstellen, dass keine Prozesse in Gang gesetzt werden, welche die vorhandenen Sicherungen überfordern. Es muss ein Planungs- und Kontrollregime installiert sein, welches die Ein- und Ausgangsbedingungen der eingesetzten Module bei den Verschaltungen garantiert. Darüber hinaus ist denkbar, bei der Betrachtung der Anlagensicherheit und von Immissionen auch von der unmittelbaren Umgebung Kredit zu nehmen, so vor allem von dem Anlagengebäude oder -containment mit seiner Infrastruktur. Auch dadurch können Sicherheitseinrichtungen in gewissen Ausmaß abdeckend für jede denkbare Modulkonstellation dargelegt werden. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Immissionsbegrenzung gegenüber der Umwelt, insoweit müssen aber ohnehin Gesichtspunkte des Arbeitsschutzes bedacht werden.
Durch die Flexibilisierung vergrößert sich also der Kreis der in Betracht kommenden Reaktionen und daraus resultierender Gefahren. Dies lässt sich jedoch durch die Beschreibung der konkreten Betriebsbedingungen und -grenzen der modularen Anlage beherrschen. Auch in Bezug auf die materiellen Genehmigungsvoraussetzungen besteht also kein prinzipielles rechtliches Problem modularer Anlagen.
Verbindungsleitungen und Verschaltung der Gesamtanlage
Um aus Modulen eine modulare Anlage zu machen, müssen mehrere Module miteinander verbunden werden. Soll dabei die genehmigungsrechtliche Betrachtung weitgehend auf die Module konzentriert werden, so setzt dies voraus, dass zwischen den Modulen, also in den Verbindungsleitungen, kein immissionsschutzrechtlich relevanter Vorgang stattfindet. Dies lässt sich zum Teil technisch und rechtlich dadurch beherrschen, dass Ausgangsbedingungen des abgebenden Moduls definiert werden. In die Verbindungsleitungen gelangt bei einer solchen Konzeption nur, was aus dem abgesicherten Modul herauskommt, so dass die Definition des abgebenden Moduls für die Betrachtung der Verbindung zugrunde gelegt werden kann. Wenn diesbezüglich eine abdeckende Betrachtung aus technischer Sicht möglich ist, erscheinen die Verbindungen genehmigungsrechtlich von untergeordneter Bedeutung. Ein grundlegender Unterschied zu herkömmlichen Anlagen und erst recht zu Rahmengenehmigungen bisheriger Sichtweise besteht ohnehin nicht, denn auch in diesen Fällen werden Zwischenprodukte von einem zum nächsten Teilprozess übergeben.
Möglich erscheint allerdings, dass chemische Reaktionen noch nicht vollständig abgeklungen sind, wenn ein Zwischenprodukt aus einem in das nächste Modul weitergegeben wird. In diesem Fall muss die Verbindung so gestaltet sein, dass sie nicht nur dem Zwischenprodukt standhält – das ist selbstverständlich und immer erforderlich – sondern darüber hinaus auch eventuell weiter laufenden chemischen Reaktionen. Ähnlich wie bei den Modulen erscheint aber auch hier prinzipiell denkbar, die Verbindungsleitungen so zu dimensionieren, dass sie einer Bandbreite von Belastungen sicher standhalten. Aus operativer Sicht dürfte ohnehin eine Standardisierung von Verbindungsleitungen angestrebt werden, die eine möglichst flexible Variation ermöglicht. Dies dürfte nahelegen, die Bedingungen für die Übergabe zwischen den Modulen so weit wie möglich abstrakt festzulegen. Dann können die Verbindungsleitungen abdeckend eingesetzt werden, und dies ermöglicht, sie im Genehmigungsverfahren abdeckend zu betrachten.
Unter diesen skizzierten Voraussetzungen erweisen sich auch die Verbindungsleitungen nicht als grundlegendes Problem der immissionsschutzrechtlichen Zulassung modulare Anlagen. Ähnlich ist es mit der Überlegung, Module könnten untereinander fehlerhaft verknüpft werden. Das ist durch technische und organisatorische Maßnahmen so weit als möglich auszuschließen. Vor allem aber entsteht das notwendige Maß an Sicherheit insoweit durch die Forderung, jedes einzelne Modul inhärent sicher auszugestalten und durch Eingangsbedingungen, welche das Modul selbst kontrollieren muss, gegen unzulässige Betriebsbedingungen abzusichern.
Einfügen neuer Module
Die bisherigen Überlegungen unterstellen, dass im ursprünglichen Genehmigungsantrag alle einzusetzenden Module dargestellt werden. Die Flexibilisierung ergibt sich dann aus der Möglichkeit, diese Module innerhalb ihrer eigenen Betriebsbereiche unterschiedlich einzusetzen, ihre Verschaltung untereinander und damit die Teilprozesse zu verändern und aus der Menge der Module jeweils nur einen Teil einzusetzen. Nicht abgebildet ist dabei der Fall, dass ein Anlagenbetreiber nach Genehmigung einer solchen modularen Anlage beabsichtigt, ein weiteres Modul hinzuzufügen, welches im Genehmigungsverfahren nicht als Teil der modularen Anlage in Betracht gezogen wurde.
Aus immissionsschutzrechtlicher Sicht sind auch diese Fälle beherrschbar. Es liegt dann der Wunsch nach einer Änderung der genehmigten Anlage vor. Solche Änderungen sind anzeigepflichtig, wenn sie unwesentlich sind (§ 15 BImSchG) und genehmigungsbedürftig, wenn die Anlage wesentlich geändert wird (§ 16 BImSchG). Wesentlich sind Änderungen der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können, also vor allem für die Frage nach Immissionen, Gefahren, Nachteile und Belästigungen. So bestimmt es § 16 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BImSchG ausdrücklich. Diese Formulierung wird oft in den Satz gekleidet, wesentlich sei eine Änderung, wenn sich die Frage nach der Genehmigungsfähigkeit der Anlage neu stelle.[7]
Ausblick
Diese Überlegungen nehmen nicht in Anspruch, die genehmigungsrechtlichen Fragen zu modularen Anlagen abschließend zu klären. Sie legen dar, dass modulare Anlagen grundsätzlich aus rechtlicher Sicht möglich sind, indem anstelle einer konkreten Prozesskette Parameter für die einzelnen Module und die weiteren Betriebsmerkmale festgeschrieben werden. Dies schafft einerseits eine bedeutend größere Variationsmöglichkeit und begrenzt andererseits den Gesamtrahmen. Letztlich handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung des immissionsschutzrechtlich etablierten Instrumentes der Rahmengenehmigung. Anders als bislang üblich wird der Rahmen bei modularen Anlagen aber wesentlich durch recht autarke Module definiert. Dies steht nicht in Widerspruch zur gesetzgeberischen Konzeption des Immissionsschutzrechts, stellt aber neue Anforderungen an die Darlegung im Antragsverfahren und im Genehmigungsbescheid. Es geht darum, die wirtschaftlich notwendige Flexibilität zu ermöglichen, sie aber konzeptionell soweit zu reduzieren, dass die zu Recht hohen Standards des Immissionsschutzrechts und der technischen Anlagensicherheit handhabbar bleiben. Um dies zu leisten, müssen aus rechtlicher Sicht
- die Einzelmodule inhärent technisch sicher sein, das heißt, die aus dem in ihnen ablaufenden Prozess entstehenden Risiken einhegen,
- die Module eigene Ein- und Ausgangskontrollen vorsehen, um die definierten Betriebsbedingungen des Moduls abzusichern,
- die Schnittstellen zwischen den Modulen einen definierten Betriebsbereich aufweisen, der durch die Ausgangskontrollen der Module abgesichert wird,
- die Anlagengebäude oder –container Risiken aus Stoffaustritten sowie die betrieblichen Immissionen auffangen, die nicht durch die Module selbst eingeschlossen werden,
- die Betriebsorganisation sicherstellen, dass die zulässigen Parameter eingehalten werden und dass Fehler rechtzeitig bemerkt werden.
Etwaigen Besorgnissen hinsichtlich der Möglichkeit zur effektiven Überwachung kann dabei durch Nebenbestimmungen im Genehmigungsbescheid begegnet werden. Beispielsweise könnte angeordnet werden, Neuverschaltungen unter Angabe der konkreten Betriebsweise und Stoffe anzuzeigen. Dafür reicht die für Rahmengenehmigungen geschaffene ausdrückliche Regelung in § 12 Abs. 2b BImSchG zwar nicht aus, weil sie entsprechende Auflagen nur innerhalb der genehmigten Betriebsweise ermöglicht und auch die Betriebsweise bei modularen Anlagen ggf. verändert werden soll. Diese besondere Regelung versperrt aber nicht den Zugriff auf die allgemeine Möglichkeit, Auflagen gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zu erlassen, wenn dies zur Sicherstellung der gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen notwendig ist. Zudem mag bei modularen Anlagen der Auflagenvorbehalt als immissionsschutzrechtliche Besonderheit helfen, also die Option der Behörde, auch nachträglich noch Auflagen zu erlassen (§ 12 Abs. 2a BImSchG).
Modulare Anlagen sind damit auf Grundlage des geltenden Immissionsschutzrechts zulassungsfähig. Gesetzliche Neuregelungen sind für modulare Anlagen damit grundsätzlich entbehrlich; ob inkrementelle Anpassungen erforderlich sind, wird die Zeit zeigen. Klar ist, dass die Genehmigungsverfahren neue Herausforderungen bergen, die sich nicht am Reißbrett lösen lassen, sondern erst im laufenden Geschehen. Wie immer, wenn Neuland betreten wird, ist man, um ein bekanntes Bild zu zitieren, ein wenig wie Seefahrer, „die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen“[8] nicht hilflos, aber mit einer Aufgabe konfrontiert, die man nur auf dem Weg zum Ziel lösen kann.
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Literaturverzeichnis
[1] Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.
[2] Dietlein, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 92. EL Februar 2020, § 6 BImSchG Rn. 59; Enders, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, 55. Edition Stand: 01.07.2020, § 6 BImSchG Rn. 31.
[3] Feldhaus, Verordnung über das Genehmigungsverfahren, 2007, § 3 Rn. 3.
[4] Dietlein, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 92. EL Februar 2020, § 4a 9. BImSchV Rn. 12.
[5] Feldhaus, Verordnung über das Genehmigungsverfahren, 2007, § 4a Rn. 3.
[6] Dietlein, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 92. EL Februar 2020, § 6 BImSchG Rn. 60.
[7] Siehe nur Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 16 Rn. 11.
[8] Neurath, Protokollsätze, in: Erkenntnis
Whitepaper Modulbasierte Produktion von ZVEI
2013 wurde im ZVEI-Fachbereich ‚Messtechnik und Prozessautomatisierung des Fachverbands Automation‘ der Arbeitskreis ‚Modulare Automation‘ gegründet mit der Zielsetzung, eng mit dem des Namur-Arbeitskreis AK1.12 zu kooperieren und eine gemeinsame Antwort der Arbeitskreismitglieder auf die NE 148 zu formulieren. Im Laufe der Arbeit des Arbeitskreises hat es sich als zielführend herausgestellt, den Diskussionsstand für weitere Gespräche mit der Namur in einem Papier festzuhalten. Das daraus resultierende Whitepaper fokussiert sich auf Leittechnik und Instrumentierung.
White Paper modulare Anlagen von ProcessNet
Im White Paper "Modulare Anlagen" hat der gleichnamige temporäre ProcessNet-Arbeitskreis bereits Ende 2016 aktuelle Entwicklungen auf Basis von Projektergebnissen ausgewertet und zusammengefasst. Die Experten aus Industrie und Hochschule fordern vor allem eine Vereinheitlichung nicht nur der Nomenklatur, sondern auch der verwendeten Apparate, um eine Grundlage für eine breite Anwendung dieser Technologie in der Industrie zu schaffen. Das Papier ist in deutscher (https://processnet.org/dechema_media/modulareanlagen.pdf) und englischer Sprache (https://processnet.org/dechema_media/modularplants.pdf) verfügbar.
Gemeinsamer Statusreport "The Age of Modular Production “
Im März 2019 haben die Fachverbände Namur, ProcessNet, VDMA und ZVEI gemeinsam den Status Report „Process INDUSTRIE 4.0: The Age of Modular Production - On the doorstep to market launch” vorgelegt. Der ausschließlich in englischer Sprache verfügbare Bericht fasst Motivation, Marktpotenzial, Konzept und aktuellen Status sowie die Ergebnisse von Pilotprojekten zusammen.
Neu: VDI-Richtlinie 2776 Blatt 1 Modulare Anlagen
Modulare Anlagen halten immer weiter Einzug in die chemische Industrie. Diese Entwicklung wird durch drei Hauptziele modularer Anwendungen getrieben: größere Flexibilität, kürzere Entwicklungszeiten und Kostenvorteile. Die neue Richtlinie VDI 2776 trägt diesem Fortschritt im Anlagenbau Rechnung, indem sie einheitliche Standards setzt und Industrie-übergreifende Lösungen aufzeigt.
Die Richtlinie VDI 2776 Blatt 1 Verfahrenstechnische Anlagen; Modulare Anlagen; Grundlagen und Planung modularer Anlagen, die im November 2020 als deutsch-englischer Weißdruck erschienen ist, beschreibt den Planungsprozess für modulare Anlagen und definiert die grundlegenden Begriffe zu Verständnis und Planung von modularen Anlagen. Sie gibt Hilfestellungen für die erfolgreiche Konzeption von modularen Anlagen im kontinuierlichen und diskontinuierlichen Betrieb in der pharmazeutischen, chemischen, biotechnologischen und petrochemischen Industrie
Die Richtlinie richtet sich an Behörden; Prüfinstitute; Anlagenbauer; Apparatehersteller, Modulhersteller; Messtechnikhersteller; Betreiber; Automatisierer, Systemintegratoren; Hochschulen, Forschungsinstitute; Anlagenplaner, Planungsdienstleister; Logistik-, Supply-Chain-, Utility-Versorger.
Aktuell werden Folgeblätter der VDI-Richtlinien erstellt, die im nächsten Jahr als Entwurf publiziert werden sollen: VDI 2776 Blatt 2 beschreibt Auslegung und Design modularer Anlagen, VDI 2776 Blatt 3 befasst sich mit den sicherheitstechnischen Aspekten der modularen Anlagen.
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