Flexible Produktion mit modularen Anlagen
Einfache Integration von Modulen in übergeordnete Systeme ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor
Genauso wie die Fertigungstechnik muss sich auch die Prozessindustrie mit einer effizienteren Produktion auf schwankende Absatzmengen und steigende individuelle Produktbedürfnisse einstellen. Das können modular strukturierte Anlagen ermöglichen, für die das Module Type Package (MTP) das durchgängige Engineering standardisiert und vereinfacht. Im CHEManager Interview erläutert Hartmut Manske, Head of Automation & Robotics bei Merck in Darmstadt, die Möglichkeiten und Vorzüge der MTP Technologie. Die Fragen stellte Volker Oestreich.
CHEManager: Herr Manke, welche produktionstechnischen Anforderungen stehen hinter dem Einsatz modularer Produktionskonzepte?
Hartmut Manske: Wir werden damit in die Lage versetzt, neue Anlagen schneller produktionsbereit zu machen und erhöhen die Flexibilität bei Produktwechseln und Kapazitätsveränderungen.
Und was leistet MTP dabei?
H. Manske: Der von NAMUR, ZVEI und VDMA gemeinsam verabschiedete Standard VDI/VDE/NAMUR 2658 „Module Type Package“ definiert, wie Anlagenmodule zu beschreiben und diese auf standardisierte Art und Weise in die Prozessleittechnik der Gesamtanlage zu integrieren sind. Mit dem MTP werden also Eigenschaften von Prozessmodulen funktional beschrieben – und zwar hersteller- und technologieneutral. Die in sich abgeschlossenen Module, die von verschiedenen Herstellern stammen können, lassen sich leicht wiederverwenden und mit geringem Aufwand zu komplexen Gesamtanlagen verschalten. Die Kapselung der Funktionalitäten in den Modulen reduziert dabei die Abhängigkeiten untereinander und sichert somit das weitgehend rückwirkungsfreie Verhalten.
Können Sie das für den Nicht-Fachmann etwas vereinfachend beschreiben?
H. Manske: Man kann das MTP-Konzept in der Industrie mit einem Drucker im Privatbereich vergleichen: Der Druckerhersteller liefert mit dem Gerät einen Druckertreiber und Steuersoftware mit, die das notwendige Detailwissen über den Drucker beinhalten und diesen mit all seinen Eigenschaften in einen beliebigen Windows-PC integrieren kann. Nach der Integration kann sowohl eine manuelle Bedienung erfolgen und der Drucker von anderen Applikationen auf dem PC angesprochen werden. Übertragen auf die Produktion entspricht das Modul dem Drucker, der MTP dem Druckertreiber und der PC der Prozessleittechnik.
Für den Fachmann kann man ergänzen, dass ein MTP die Beschreibung der Datenobjekte, die Beschreibung des Bedienbildes und zukünftig die Beschreibung von Diensten umfasst. Diese Beschreibungsdatei kann von übergeordneten Systemen wie Visualisierungs- oder Prozessleitsystemen, die gerne auch Process Orchestration Layer (POL) genannt werden, eingelesen und verarbeitet werden.
Damit erreicht man dann die einfache Integration von Anlagenmodulen in Leit- und Visualisierungssysteme, die dynamische Anpassung ohne großen Engineering-Aufwand und einen einheitlichen Look and Feel auch bei Modulen verschiedener Hersteller.
In wieweit setzt Merck bereits auf die Modularisierung und wie sieht das in der Praxis aus?
H. Manske: Bisher sind zahlreiche Anlagen einem modularen Konzept folgend realisiert worden, das heißt sie sind in gleichartigen Gruppen aufgebaut und teilweise auch geometrisch genormt, aber immer noch fest verrohrt. Die modulare Technik ist also für uns nicht unbedingt neu, im Gegenteil, wir haben schon vor 20 Jahren begonnen die Modularisierung in Teilbereichen zu implementieren. Allerdings wird erst jetzt ein technologisches Gesamtkonzept verfügbar, um Plug-and-Produce-Szenarien zu realisieren. So können wir dann optimal auf Volumenveränderungen oder Marktschwankungen reagieren.
Um welche Anlagen oder Anlagentypen handelt es sich dabei konkret?
H. Manske: Hauptsächlich konzentrieren sich unsere Bemühungen auf Multi-Purpose-Anlagen, mit denen wir flexibel unterschiedliche Produktvarianten herstellen können. Damit kommen wir heute schon ziemlich schnell von der Vorfeldentwicklung in die Produktion. Wie schnell das im Einzelnen geht, hängt natürlich auch von den Produkten ab, die wir herstellen möchten. Da wir uns zukünftig auf eher kleinere Losgrößen einstellen und hierfür noch reaktionsschneller sein müssen, ist es vorteilhaft, direkt von den Laboren bzw. Technika in die Produktion springen zu können. Das Modul, das im Technikum erprobt und finalisiert wird, kann im Anschluss in die Produktion wandern und dort eingesetzt werden.
Wann sollte man modularisieren – und wann vielleicht auch nicht?
H. Manske: Das hängt maßgeblich von den Produkten und dem Produktionsprozess ab. Wenn nur eine Variante eines Produkts hergestellt wird, dann sehe ich nur in ausgewählten Fällen Bedarf zu modularisieren. Wenn aber, wie hier bei Merck, viele unterschiedliche Produkte hergestellt werden, die teilweise in Consumer-Produkten eingesetzt werden, ist es essenziell, schnell und flexibel arbeiten zu können. Das geht zukünftig nur mit modularen Anlagen, die eben dank kurzer Umrüstzeiten in der Lage sind, ein breites Spektrum an Produkten herstellen zu können.
Ich sehe auch noch weitere Aspekte: Bei uns gibt es Produktionsanlagen, die im Laufe eines Jahres lediglich in bestimmten Produktionsschritten einige Monate gebraucht werden. Trotzdem stehen sie das ganze Jahr über im Gebäude und nehmen Raum ein, der während dieser Zeit natürlich viel besser nutzbar wäre. Wenn wir in der Lage sind, hier Module in die Anlage zu bringen, die eine gewisse Zeit laufen und dann wieder abgebaut und gelagert werden können, um sie in späteren Produktionszyklen wieder zu nutzen, wäre das ein immenser Vorteil. Wir könnten umbauten Raum sparen und unsere Produktionsgebäude wesentlich kleiner halten.
Ich möchte noch einmal auf MTP zurückkommen: Inwieweit unterstützt oder ermöglicht MTP die von Ihnen angesprochenen Modularisierungsszenarien?
H. Manske: Stand jetzt ist das leider noch nicht vollständig der Fall, auch wenn wir alles verwenden würden, was im Moment definiert und standardisiert worden ist. Wir befinden uns noch in der Erprobungsphase und haben bereits erste kleinere Anlagen gebaut. An diesen Anlagen wollen wir lernen, wie wir mit dem MTP umgehen müssen.
Große Herausforderungen stellen sich derzeit noch, wie wir konkrete Aufgabenstellungen mit aktuell verfügbaren Produkten und Techniken lösen können, ob wir eine spezielle intermodulare Kommunikation benötigen, oder wie wir unsere Modulschnitte anlegen müssen.
Gibt es standardisierte Größenklassen für Module, ähnlich wie bei Containern für Schiff, Schiene und Straße?
H. Manske: Aktuell sind die Module, die wir gebaut haben, kleiner. Wir denken aber natürlich auch in diesen Standardmaßen, um die Module mit gängigen Transportmitteln und Hebezeugen bewegen zu können. Im Labormaßstab, der bei uns momentan noch im Fokus ist, können wir aber natürlich auch wesentlich kleiner denken.
Es ergibt aber auch einen viel praktischeren Grund, in standardisierten Größen zu denken. Heute kaufe ich zum Beispiel eine Vakuumpumpe und habe einen enormen Engineering-Aufwand, um sie in die Anlage zu integrieren. Würde mein Anlagenbauer eine standardisierte Pumpe als Modul inklusive eines MTP in einigen Varianten anbieten, könnte ich sie mit einem gewissen Rahmenmaß schon im Vorfeld in die Anlage einplanen und direkt aktivieren. Bis es so weit ist, müssen wir allerdings nicht nur viel Praxiserfahrung sammeln, sondern auch noch sehr viel Standardisierungsarbeit leisten. Ganz wesentliche Aspekte des MTP sind ja noch nicht final festgelegt, wie zum Beispiel die Safety oder die Security, die bei Modulkonzepten sicherlich noch mal genau betrachtet werden müssen.
Was sind denn besondere Herausforderungen für modulare Safety- und Security-Konzepte?
H. Manske: Vor allem bei der funktionalen Sicherheit stellt sich die Frage, wie wir die Flexibilität mit einbeziehen können. Schon bei den Bestandsanlagen stehen wir vor dem Problem, dass wir, wenn wir Multi-Purpose-Anlagen modularisieren, auch die Grenzwerte auf den Sicherheitssystemen verändern können müssen Diese Thematik wird gerade unter dem Stichwort Safety-MTP in der Fach-Community diskutiert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Auf Seiten der IT Security wird vor allem die veränderte Infrastruktur eine Hürde sein. Um die Modularisierung wirklich realisieren zu können, wird es einen Process Orchestration Layer geben, der sich nicht nur on premise, sondern auch in einer Cloud befinden kann. Je nachdem auf welchen Unternehmenslevel dieser Layer gelegt wird, müssen ganz andere Security-Aspekte betrachtet werden, um die Sicherheit der Produktion zu gewährleisten. Das ist aber keineswegs ein reines IT-Thema, sondern auch eng mit dem notwendigen Explosionsschutz prozesstechnischer Anlagen und weiteren regulatorischen Anforderungen verbunden – besonders, wenn bestimmte Chemieanlagen zukünftig zu den kritischen Infrastrukturen gezählt werden.